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OPERN-KRITIK: THEATER BREMEN – DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN

Völker, stürmt die Theater

(Bremen, 18.5.2024) Am Theater Bremen leistet der Chor Großartiges: „Die Liebe zu den drei Orangen“ wird zu einer inszenierten Saalschlacht. Frank Hilbrichs Regiekonzept korrespondiert mit der Musik Prokofjews vortrefflich, und die Bremer Philharmoniker finden den genau passenden Ton dazu.

vonPatrick Erb,

Welches Theaterstück soll man nun aufführen – ein komisches oder ein tragisches? Bedarf es eher der Liebe oder der Banalität? Bekanntermaßen streiten in Sergej Prokofjews metatheatralischem Märchenstück „Die Liebe zu den drei Orangen“ Vertreter aus verschiedenen Lagern über die Frage der würdigen Theaterform. Am Theater Bremen wiederum wird diese Plenumsdiskussion nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf den Rängen ausgefochten; vereinzelt springen die Chorsängerinnen- und Sänger des Ensembles aus den Sitzen des Zuschauerraums hervor, viele andere stürmen den Saal und die Balkone – eine Saalschlacht mit Flugblättern und Demoschildern ist voll im Gange.

Schon im Prolog zeichnet sich ab, dass der Bremer Theaterchor mit seinem mitreißenden Surroundsound nicht nur vortrefflich Zuschauende in die Sessel presst, sondern als Darstellerkollektiv von zentraler Bedeutung ist für das wirre Bühnenspiel. Begeistert verfolgen die Theatergäste das Spektakel, geblendet vom grellen Bühnenlicht weiß dabei jeder: Die fünfte Gruppe der Lächerlichen wird sich durchsetzen. Am Ende schmeißen die Darstellenden auf der Bühne eine große rote Pappziegelwand um und geben so den Blick auf die Welt des Stücks frei.

Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“
Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“

Spielerische Umdeutungsfreiheiten

Was hinter den Steinen schnell sichtbar wird, ist, dass Regisseur Frank Hilbrich hier kein zuckersüßes Pastellgemälde der Commedia dell‘arte malen möchte. Der sieht „Die Liebe zu den drei Orangen“ mehr in einer schlichten nostalgischen N64-Videospielwelt der 90er verortet und setzt damit die rhythmisch meist kleinteilige und gern auch mal an die Hörgewohnheiten aneckende Musik Prokofjews in ein Verhältnis zu den groben Klötzen, die das Bühnenbild als Seitenwände flankieren und in steilem Fluchtpunkt auf den Hintergrund zulaufen. Hier findet vor allem der Dirigent des Abends, Sasha Yankevych, einen profilierten Zugang zur Musik, indem er die Bremer Philharmoniker gleich einer gut geölten Maschine in Gang hält, ohne dass die rhythmischen Spitzen in der Partitur verschleiert werden.

Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“
Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“

Der akzentuierte, beinahe impressionistische Popartcharakter des sowjetischen Komponisten spiegelt sich indes in der schrillen Farbigkeit der Kostüme, mehr noch später in den essentiellen Orangen, aber vor allem in den Fassadenklötzen wieder – ein Traum in Neon- und Primärfarben. Auch hier finden die verschiedenen Instrumentengruppen der Bremer Philharmoniker einen distinktiven Ton, der den starken Farbkontrast betont – gute Voraussetzungen also für eine märchenhafte Klang- und Lebenswelt.

Tableau grotesque

In dieser Welt krankt der Prinz an einer starken Depression. Nur wenn er herzlich zum Lachen gebracht werden kann, tritt die Genesung ein. Fast schon ironisch dabei ist, dass mit Ian Spinetti ein Tenor gewählt wurde, dessen herausragende lyrische Stimmqualität den gebürtigen Brasilianer eher zum Protagonisten einer französischen Revolutionsoper macht. Seine elegischen Schmerzens- und Unglücksbekundungen auf dem höchsten Heldentenorniveau wirken daher umso amüsanter.

Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“
Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“

Die Heilung findet dieser dann auf einem Ball zu seiner Erheiterung, bei dem neben Donald Duck und Minnie Mouse auch andere Gäste aus der Märchenwelt geladen sind. Wo der Hofnarr und Ronald-McDonald-Clown Truffaldino (Fabian Düberg) nach allen Formen der Unterhaltungskunst scheitert, verstaucht sich die Hexe Fata Morgana gehörig im Streit mit diesem den Fuß, was den Prinzen sichtlich zum Auslachen motiviert. Das findet Fata Morgana, der Nadine Lehner ihren treffend zynischen Sopran leiht, allerdings nicht witzig und verflucht den Prinzen in einer von Rachegelüsten sprudelnden Arie. Der Prinz wird dazu verdammt, sich unstillbar in Orangen zu verlieben – der zweite Teil und das Abenteuer beginnt.

Von überlebensgroßen Orangen und Spaghetti-Monstern

Der unstillbaren Sehnsucht nach Orangen unterworfen, pustet Hofzauberer Tschelio (Elias Gyungseok Han) Prinz und Truffaldino in ferne Länder, wo sie bei der Bass-Köchin (Hidenori Inoue) die Orangen stehlen müssen. Als wäre hier das Maß an Absurdität nicht mehr zu steigern, scheint diese gerade Spaghetti zuzubereiten – das Theater Bremen verwandelt sich in diesem Moment unter Einsatz von viel Nebelmaschinen zu einem gigantischen Pasta-Kochtopf, aus dem sich die Köchin gleich einem Spaghetti-Monster erhebt. Doch den kühnen Dieben gelingt die Flucht: Mit ihren wachsenden Orangen verirren sich die Helden in eine Wüste; der Durst befördert das Unvermeidliche und die Orangen müssen geschlachtet werden. Die darin befindlichen Prinzessinnen verdursten ihrerseits tragisch.

Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“
Szenenbild zu „Die Liebe zu den drei Orangen“

Zum Glück des Publikums geschieht das bei den ersten beiden Prinzessinnen Linetta und Nicoletta (Nathalie Mittelbach & Adèle Lorenzi) kompensierend beim Singen eines nektarsüßen Duetts. Damit nicht auch die dritte Prinzessin Ninetta stirbt (Elisa Birkenheier), muss indes der Chor mit einem Wassereimer eingreifen, zu traurig wäre da der Tod der letzten Verbliebenen. Der Chor wendet schließlich auch das gesamte Stück zum Happy End, was diesen am Premierenabend nicht nur gesanglich zu einem sympathischen Ensemble macht.

Theater Bremen
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen

Yasha Yankevych (Leitung), Frank Hilbrich (Regie), Sebastian Hannak (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüme), Christian Kemmetmüller (Licht), Karl Bernewitz (Chor), Frederike Krüger (Dramaturgie), Hidenori Inoue, Ian Spinetti, Nathalie Mittelbach, Michael Zehe, Fabian Düberg, Michał Partyka, Elias Gyungseok Han, Nadine Lehner, Adèle Lorenzi, Elisa Birkenheier, Yuxiang Liu, Chor des Theater Bremen, Bremer Philharmoniker

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