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Opern-Kritik: Münchener Biennale – Das geopferte Leben

Zurück zu den Wurzeln

(München 20.5.2014) Der katalanische Komponist Hèctor Parra deutet den Orpheus-Mythos aufregend neu

vonPeter Krause,

Welch eine Verantwortung für einen jungen Komponisten: Nicht weniger als den Abschluss einer Ära galt es auszufüllen mit einer abendfüllenden Oper – der letzten von fünf Uraufführungen, mit denen Peter Ruzicka nun seine Intendanz der Münchener Biennale abschloss, die er anno 1988 von keinem geringeren als Hans Werner Henze übernommen hatte. Sein ganzes Vertrauen zur Gestaltung dieses symbolträchtigen Abends hatte der künstlerische Leiter des Festivals für neues Musiktheater in den katalanischen Komponisten Hèctor Parra gesetzt. Dem Druck von Erwartungen, in seinem Auftragswerk nunmehr Abrundendes, gar Abschließendes, zu sagen, hielt der in Paris lebende, frischgebackene Familienvater auf erfrischende Weise stand.

Das Verblüffende dabei: Parra, gleichermaßen geprägt durch das Pariser Labor der zeitgenössischen Musik IRCAM wie durch seine Faszination für Monteverdi und die barocke Klangsprache, geht in Das geopferte Leben auf zwei Setzungen zurück, die Festivalgründer Henze einst sowohl als Anspruch seines eigenen Opernschaffens formuliert als auch als Erwartung an die von ihm im Rahmen der Biennale präsentieren jungen Komponisten herangetragen hatte: Die Präferenz für die Literaturoper wie jene für narrative Strukturen, somit eines gleichsam klassischen Erzählens.

Prägnant klarer und starker Text

Ruzicka regte stattdessen weit mehr offenere, dramaturgisch durchlässigere, auch spartenübergreifende Formen an, die er auch in diesem Biennale-Durchgang zumal mit Die Befristeten nach Elias Canetti in der Inszenierung von Nicola Hümpel beherzt in die Tat umsetzte, wobei freilich die Komposition von Biennale-Urgestein Detlev Glanert zur (natürlich ungewöhnlich exquisiten wie gewitzten) Schauspielmusik degradiert wurde. Glanerts Mut und Demut, sich der Szene unterzuordnen, war dabei erstaunlich. Peter Ruzickas letzter Protegé aber kehrt in seiner Oper zu den Wurzeln des Festivals zurück. Eine Verbeugung nicht zuletzt vor Hans Werner Henze.

Das Libretto der Oper stammt mit Marie NDiaye von einer Autorin, die durch Erzählungen und Romane bekannt wurde. Sie verfasste es in französischer Sprache, die Oper basiert indes auf einer Textfassung von Claudia Kalscheuer in deutscher Sprache, da der Komponist, begeistert von der Lyrik Paul Celans, die poetische Intensität des Deutschen als Kunst-Sprache besonders schätzt. Der verdichtete, prägnant klare und starke Text erzählt von einem Mann, der von den Toten zurückkehrt zu Frau und Mutter. Der wiederum weibliche Tod ist bei ihm und stellt die beiden Damen vor eine prekäre Aufgabe: Wenn die Liebe einer der beiden stark genug sei, werde der Tod den Mann im Leben lassen.

Elektra-Tragik und Salome-Trotzigkeit  

NDiaye und Parra entwickeln daraus ein intensives Psycho-Musiktheater-Kammerspiel – einfühlsam in der Zeichnung der vier sehr heutigen Figuren, assoziationsreich in den Bezügen zu Opfer- und Orpheus-Mythen. Und der Komponist erweist sich als ein grandioser Seelen-Seismograph. Seine Musik gräbt sich hinein in die Abgründe dieser drei aneinander Gescheiterten. Bezeichnenderweise sind nicht das entfremdete Liebespaar, sondern die Mutter und die Todin die ausgeprägtesten Charaktere. Elektra-Tragik und Salome-Trotzigkeit im Lichte der Gegenwart neu schärfend ist Sigrun Schell in bedrückender Präsenz und vokal enorm dramatischer Brünnhilden-Schärfe eine über den Verlust des Sohnes fantastisch frustrierte Muttergestalt, die sich mit Konsequenz in ihren Opfertod für den am Leben bleibenden Sohn rettet.

Lini Gong als ruhig berechnende, erotisch ambitionierte Todin beglaubigt mit ihrem atemberaubend grenzenlosen Zerbinetta-Koloratursopran, wie nah sich „la morte“ und „l’amore“, Tod und Liebe wirklich sind. Sally Wilsons aufregend kühler, gleichwohl reicher Mezzo passt perfekt zur modernen, frei von jeder romantischen Überhöhung empfindenden Gattin. Ihren Mann empfängt sie bei seiner Rückkehr aus dem Totenreich also kaum mit offenen Armen. Alejandro Lárraga Schleske gibt ihn als anrührend introvertierten, baritonwarmen Schmerzensmann.

Ja, Hèctor Parra hat mit Das geopferte Leben eine moderne Sängeroper geschrieben. Der Gesang von blühender Emphase trifft im Gasteig dabei auf atmende, pulsierende, duftige, wo es sein muss auch wohldosiert wie wohl ausgehört harte Klänge aus dem doppelten Orchester. Die Verwebung von Freiburger Barockorchester und ensemble recherche nutzt der Katalane zu fesselnden, farbenschillernden Eingebungen. Und seine musikalische Genauigkeit, die Peter Tilling am Pult mustergültig umsetzt, trifft auf eine szenische Präzision der psychologischen Ausformung der Charaktere, für die Vera Nemirova verantwortlich zeichnet. Das koproduzierende Theater Freiburg darf sich glücklich schätzen über diese den Spielplan bereichernde Opernschöpfung. Die Münchener Biennale setzt ein Ausrufezeichen zum Abschluss einer Ära!

Münchener Biennale – Gasteig (Carl-Orff-Saal)

Parra: Das geopferte Leben

Peter Tilling (Leitung), Vera Nemirova (Inszenierung), Stefan Heyne (Ausstattung), Heiko Voss (Dramaturgie), Alejandro Lárraga Schleske, Lini Gong, Sally Wilson, Sigrun Schell, Freiburger Barockorchester, ensemble recherche

Weitere Termine am Theater Freiburg (Theaterhalle): 27. & 31.5., 1.6.

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