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Porträt Glasharmonika

„Gläsernes Heiligenhaus der Tonmuse“

Das Musikinstrumentenmuseum feiert den 250. Geburtstag der Glasharmonika

vonKlemens Hippel,

Im Dunkel der Geschichte verborgen ist der Ursprung fast aller Instrumente. Nur die Glasharmonika bildet da eine Ausnahme: Im Jahre 1761 erfand Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, dem wir auch den Blitzableiter verdanken, dieses ebenso ungewöhnliche wie klangschöne Instrument. Wer die Oper liebt, hat es vielleicht schon einmal gehört. In seiner 1919 uraufgeführten Frau ohne Schatten hat Richard Strauss eine Glasharmonika vorgeschrieben. Und wie viel entrückter, aus der Welt gefallen, klingt die Wahnsinnsarie in Donizettis Lucia di Lammermoor, wenn sie mit Glasharmonika (statt wie heute meist mit Flöten) begleitet wird! Doch abgesehen von solchen Auftritten schläft das Instrument schon lange einen Dornröschenschlaf.

Dabei war es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine überaus populäre Erfindung. Der Klang von in Schwingungen versetzten Gläsern war schon seit Jahrhunderten bekannt gewesen, und mancher Virtuose hatte mit ihm sein Publikum gewonnen. Doch erst Franklin, der während seiner Londoner Jahre diese Klänge erlebte und davon fasziniert war, kam auf die Idee, Glasglocken verschiedener Größe (und daher mit unterschiedliche Tonhöhe) konzentrisch auf einer drehbaren Walze zu montieren, sodass man nicht mehr zahlreichen einzelnen Gläsern, sondern nur einem Instrument diese Töne entlocken musste. 24 Glocken im Halbtonabstand umfasste Franklins Instrument, das demnach einen Tonumfang von zwei Oktaven hatte. Gespielt wurde es durch die Reibung der angefeuchteten Finger am Glas.

Mit diesem Instrument traf Franklin genau den Geschmack seiner Zeitgenossen. Einige der einflussreichsten Denker der Zeit waren Fans der Harmonika: Christian Friedrich Daniel Schubart meinte, „der gefühlvolle Spieler“ sei „für dieses Instrument wie geschaffen“, Jean Paul nannte sie ein „gläsernes Heiligenhaus der Tonmuse“, und Franz Anton Mesmer behandelte gar seine Patienten damit. Ebenso interessiert waren manche Komponisten: Leopold Mozart wünschte sich ein eigenes Instrument, und sein Sohn Wolfgang hat es nicht nur als Spieler ausprobiert, er komponierte auch für die Glasharmonika.

Ob es auch die angeblich mit dem Instrument verbundene Gefahr war, die die Epoche inspirierte? Mit zahlreichen nervösen Störungen von Spielern und Publikum wurde es in Verbindung gebracht (nicht zufällig wählte Donizetti es gerade für die Wahnsinnsarie Lucias), sogar der Komponist und Glasharmonika-Virtuose Karl Leopold Röllig warnte, man solle es nicht um Mitternacht spielen und sich ihm überhaupt nur bei guter Gesundheit und guter Stimmung nähern. Das Publikum wurde jedenfalls reihenweise hysterisch: „Für jedes Mädchen von einiger Erziehung wäre es höchst unschicklich gewesen, nicht auf passable Weise in Ohnmacht zu fallen“, lässt E.T.A. Hoffmann seinen Kapellmeister Kreisler bemerken. Seit das Instrument im Laufe des 19. Jahrhunderts aus der Mode kam, ist derartiges allerdings nicht mehr beobachtet worden – auch nicht im Musikinstrumentenmuseum, dessen Glasharmonika um 1810 entstand.

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