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Porträt Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

Mitten im Leben

Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche feiert ihren 50. Geburtstag

vonAndrea Kerner,

„Mir ist es wichtig, die musikalische Vielfalt der Kirchenmusik zu zeigen“, sagt Helmut Hoeft, seit 1982 Kirchenmusiker an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und sowohl künstlerisch wie auch organisatorisch verantwortlich für die musikalische Programmgestaltung. „Wir sind offen für alle musikalischen Sprachen und Formen. Und zwar aus Überzeugung und nicht aus Not.“ Neben den allwöchentlich stattfindenden Orgelvespern und Bach-Kantatengottesdiensten finden hier Klavier- und Orgelkonzerte, Kammermusik, aber auch Gospel- und Jazzkonzerte statt. Hoeft hat einige Festivals ins Leben gerufenen, darunter das internationale Orgelimprovisationsfestival und das Jazzfestival IN SPIRIT. Wichtigste Protagonisten der kirchenmusikalischen Programmgestaltung sind neben der großen Schuke-Orgel die in der Gedächtnis-Kirche beheimateten oder ihr nahestehenden Chöre. Jeder Chor setzt dabei eigene Akzente im Repertoire, gemeinsam ist ihnen die Konzentration auf geistliche Musik. Die Verpflichtung zur Pflege der Kirchenmusik ist in den Stiftungsstatuten der Kirche festgeschrieben. Finanziert wird das Programm überwiegend durch Spenden, Kollekten und Vermietungen.

Die vom zweiten Kaiser Wilhelm 1895 eingeweihte, nach dem ersten Kaiser Wilhelm benannte Gedächtniskirche zählt zu Berlins symbolträchtigsten Wahrzeichen. Der 1943 im Bombenhagel weitgehend zerstörte neoromanische Bau mit dem höchsten Kirchturm Berlins war das Wahrzeichen des gleichermaßen vornehmen wie vergnügungssüchtigen „Neuen Westens“ von Berlin, nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Überreste für Verwüstung und Zerstörung, aber auch den Überlebenswillen der Inselstadt West-Berlin.

Am 17. Dezember 1961, nur wenige Monate nach dem Bau der Berliner Mauer, wurde der Neubau im Rahmen eines Festgottesdienstes von Bischof Otto Dibelius eingeweiht. Der Zeremonie waren jahrelange Diskussionen über das Schicksal von Berlins berühmtester Ruine vorausgegangen, die am Ende die halbe Stadt erfasst und in Aufregung versetzt hatten. Eugen Eiermann hatte 1957 den Architekturwettbewerb zur Neugestaltung für sich entschieden. Sein Entwurf sah den Abriss der Ruine vor, was einen Aufstand der Wirtschaftswunder-Wutbürger provozierte. Schlussendlich beugte sich der Architekt dem öffentlichen Druck und bezog zumindest den „hohlen Zahn“ in seine Komposition mit ein. Das neu gebaute Ensemble aus Glockenturm und Kirchenoktogon („Lippenstift und Puderdose“), Kapelle und Foyer nimmt die Turmruine in die Mitte, die einzelnen Bestandteile sind aufeinander bezogen und doch in Distanz zueinander angeordnet.

Charakteristikum der Kirche sind die gerasterten Wände aus über 20.000 Glasfenstern von Gabriel Loire, die den Innenraum tagsüber in blaues Licht tauchen und nachts den Bau bunt illuminiert erscheinen lassen. Im Inneren ist nur der Geräuschpegel der vielen Besucher wahrzunehmen, aufgrund der doppelwandigen Konstruktion bleibt der Lärm von Straßen und Verkaufsbuden rund um die Kirche außen vor. Die trockene Raumakustik ist für Chöre und Organisten eine stete Herausforderung, Jazzensembles profitieren dagegen davon.

Zum fünfzigsten Geburtstag des Neubaus am 17. Dezember singt der Bach-Chor Kantanten aus dem Weihnachtoratorium und die Uraufführung eines Weihnachtspsalms von Winfried Radeke – eine Reminiszenz an 1961, als der frisch gegründete Chor die Einweihung musikalisch umrahmte.

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