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Opern-Kritik: Nationaltheater Mannheim – Ariadne auf Naxos

Ariadne in Hollywood

(Mannheim, 27.4.2024) In der Ausweichspielstätte Alte Schildkrötfabrik des Nationaltheaters Mannheim inszeniert Yona Kim „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Die Besonderheiten des Hauses schöpft die Regisseurin spielerischen Mitteln souverän ab. Die gesamte Besetzung wie auch das Orchester finden zu einem herzerwärmenden süßlichen Strauss-Klang.

vonPatrick Erb,

Das Nationaltheater Mannheim bespielt während der Sanierung seines Haupthauses mehrere Ersatzspielstätten, darunter die Alte Schildkrötfabrik im Mannheimer Stadtteil Neckarau. Wo früher Puppen in einer voluminösen, aber gar nicht so breiten Industriehalle mit Tonnengewölbe zusammengenäht wurden, umrundet jetzt eine Amphitheater-Tribüne ein schmales Bühnenprovisorium. Zuschauende in den hinteren Reihen blicken in spitzem Winkel auf die Bühne, das Geschehen im Vordergrund ist kaum einsehbar. Fehlende Hinterbühne und technische Hilfsmittel ermöglichen und erfordern einen kreativen Umgang – das Haus ist ein Experimentierkasten, und Regisseurin Yona Kim versteht den Umgang damit.

Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“
Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“

Eine Bühne im Weitwinkel

Bekanntermaßen streiten im Vorspiel von Richard Strauss‚ „Ariadne auf Naxos“ Operntruppe und Tanztruppe über die Bedeutung ihrer Werke. Zwei Stücke sollen gespielt werden: Den Tänzern ist dabei die tragische „Ariadne“ zu langweilig, während die Komponistin, wunderbar aufgeschlossen verkörpert durch Jelana Kordić, ihr Werk durch das heitere Tanzstück nicht ernstgenommen sieht. Am Ende erzwingt der Auftraggeber, dass beides – Komödie und Tragödie – gleichzeitig gespielt werden soll.

Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“
Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“

Yona Kim, die den Studiobühnen-Charakter der Alten Schildkrötfabrik verstanden hat, macht den hochkulturellen Disput zum Streit am Filmset. Kameras begleiten die gesamte Oper und strahlen sie auf einer Breitbildleinwand aus, simultan zum Bühnengeschehen selbst. Problemlos gelingt durch die Filmbrille der stark betonte Einsatz von barocken Gewändern, Puder und Perücken, die als deutliche Brechungen zum Vorspiel notwendig sind, da es an bühnengestalterischen Mitteln bekanntermaßen mangelt.

Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“
Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“

Multiperspektive

Die Zuschauenden erhalten so einen multiperspektivischen Zugang zum Stück: auf der Bühne die „Ariadne“, am Seitenrand Reaktionen der Filmcrew, über die Kamera Blicke in die Vorbereitungsräume der Darstellerinnen und Darsteller und schließlich auch der Blick durch die hohen Fenster der Fabrik. Durch die vielen Parallelaktionen auf der breit gezogenen Bühne sieht jeder ein anderes Bild der Inszenierung. Schwierig fällt da die Entscheidung, ob man das Theaterstück auf der Bühne in Farbe oder dramatisch aufbereitet durch die Kamera in Schwarzweiß sehen möchte – den hinteren Plätzen hilft es aber allemal.

Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“
Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“

Die Riege der Stars

Nicht nur die Inszenierung überzeugt mit ihrer Multiperspektive. Jede Rolle ist treffend besetzt und bringt das Klangprofil mit, das instinktiv zur Figur passt. Vor allem Estelle Kruger, Maria Polańska und Natalila Shumska entführen als Nymphen-Trio mit ihren grazilen und weichen Vokalisen in die Welt antiker Sagenvorstellungen. Andreas Hermann wächst als Bacchus nicht nur aufgrund seines gelben Lamborghinis, mit dem er zum Set fährt, zum Star heran. Mit sehnsuchts- und leidgeplagten Liebesbekundungen an Ariadne erfüllt der Tenor den Raum. Schließlich überraschen Amelia Scicolone als Tänzerin Zerbinetta und Julia Faylenbogen als Ariadne am meisten. Scicolone findet mit kristallklaren Vokalkoloraturen zu einer perfekten Akzentuierung, wohingegen Faylenbogens Stimme mehr jenen melancholisch-süßlichen Charakter verströmt, den man sich bei Strauss wünscht, zudem hat sie ein bahnbrechendes Volumen. Beiden Sängerinnen ist der größte Applaus zu Recht teilgeworden.

Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“
Szenenbild zu „Ariadne auf Naxos“

Orchester mit Farbe

Eine experimentelle Besonderheit des Abends trifft auch das Orchester, das aufgrund des knapp bemessenen Platzes unter der Tribüne positioniert ist. Zwar findet die musikalische Leitung des Abends, Jānis Liepiņš, anfangs etwas schleppend in die charakterreiche Sprache von Strauss, doch spätestens in der Mitte des Vorspiels verschmelzen Bühnenraum und Orchester zu einer Einheit und finden zum karamellsüßen Klang der „Ariadne“. Schade, dass nicht mehr Zuschauende in die kleine Halle gepasst haben, um dieser gelungenen Premiere beizuwohnen.

Nationaltheater Mannheim
R. Strauss: Ariadne auf Naxos

Jānis Liepiņš (Leitung), Yona Kim (Regie), Jan Freese (Bühne), Falk Bauer (Kostüme), Benjamin Lüdtke & David Braun (Video & Kamera), Damian Chmielarz (Licht), Cordula Demattio (Dramaturgie), Barbara Bernt, Thomas Jesatko, Jelana Kordić, Andreas Hermann, Niklas Mayer, Christopher Diffey, Jordan Harding, Lennart Kost, Amelia Scicolone, Julia Faylenbogen, Ilya Lapich, Rafael Helbig-Kostka, Bartosz Urbanowicz, Raphael Wittmer, Estelle Kruger, Maria Polańska, Natalila Shumska, Statisterie und Orchester des Nationaltheaters Mannheim

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