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Bachs Johannes-Passion in Stuttgart

Wie ist der Einzelne mit der Welt verstrickt?

Szenische Adaption von Bachs Johannes-Passion betont die Dramatik des Werks.

vonSabine Näher,

Wann immer die Sprache auf den Vergleich der Matthäus- mit der Johannes-Passion kommt, wird erstere als die kontemplative, letztere als die dramatische bezeichnet. So mancher Gottesdienstbesucher soll sich bei der Uraufführung der Johannes-Passion am Karfreitag, den 7. April 1724, auch eher im Opernhaus als in der Leipziger Nikolaikirche gewähnt haben.

Dabei ist die Grundkonstruktion die gleiche: Im Mittelpunkt steht der Evangelist, der den Evangelienbericht vorträgt – ob als neutraler Beobachter oder leidenschaftlich Involvierter ist Deutungssache, der Chor hat die Doppelfunktion, in den bewegten Turba-Chören das Volk in all seinen Gemüts- und Erregungszuständen abzubilden und in den Chorälen als übergeordnet-kommentierende Instanz aufzutreten, und die Gesangssolisten bringen mit ihren Arien auf frei gedichtete Texte schließlich diverse subjektive Reaktionen auf das Passionsgeschehen ein.

Stoff für eine szenische Ausgestaltung scheint allemal gegeben, und zwar in beiden Fällen. Gleichwohl ist es meist die Johannes-Passion, die – dem überlieferten Verdikt gemäß – szenisch aufgeführt wird. So etwa 2014 in Berlin, 2019 in Hamburg oder 2022 in Leipzig. Doch nicht nur Musikmetropolen gehen das Wagnis ein: 2018 brachte die Christophorus-Kantorei Altensteig, eine Kleinstadt im Nordschwarzwald, die Passion auf die Bühne. Und nun geht es das Opernhaus Stuttgart an.

Leidensgeschichte Jesu Christi hat eine universale politisch-vergemeinschaftende Seite

„Zentrale Funktion des Ritus, der im Kollektiv begangenen kultisch-religiösen Feier, ist seit eh und je, symbolischen Kitt herzustellen, mit dem sich Gruppen eines gemeinsamen Ursprungs erinnern – so wurde einst das europäische Theater aus dem griechischen Kultus geboren“, lässt das Opernhaus verlauten.

„Auch in Bachs Johannes-Passion hat die Wiedererzählung der Leidensgeschichte Jesu Christi eine universale politisch-vergemeinschaftende Seite: Die Frage nach der Herkunft Jesu spaltet (…). In den herzerschütternden musikalischen Andachtsbildern vertiefen sich die einen in die menschlichen Dimensionen des Leidens Jesu, finden darin Trost und Stärke. Andere zweifeln an seinem göttlichen Ursprung, verlieren ihre Empathie, klagen an und toben.“ Man darf gespannt sein, wie Regisseur Ulrich Rasche dies auf die Bühne bringt.

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