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Kommentar zur Ausladung Lahav Shanis und den Münchner Philharmonikern in Gent

Der Konzertsaal als Tribunal

Die Ausladung von Lahav Shani und den Münchner Philharmonikern in Gent ist weit mehr als ein Kniefall vor Aktivisten. Sie markiert einen kulturpolitischen Tabubruch – und reiht sich in eine lange Traditionslinie des Antisemitismus ein.

vonGregor Burgenmeister,

Gent, September 2025. Das Flanders Festival sagt das Konzert der Münchner Philharmoniker ab. Begründung: Lahav Shani, ihr Dirigent, habe sich nicht vom „genozidalen Regime in Tel Aviv“ distanziert. In seiner Mitteilung verweist das Festival ausdrücklich auf die „öffentliche Meinung“ und die „Emotionen“, die der Auftritt des in Tel Aviv geborenen Musikers angeblich hervorrufe. Man habe diese berücksichtigen müssen und daher das Konzert gestrichen. Damit erklärte das Festival Stimmungen und politischen Druck zum Maßstab seiner Entscheidungen. Genau darin liegt der eigentliche Skandal: Es handelt sich nicht um ein bloßes Nachgeben, sondern um die bewusste Übernahme antisemitischer Narrative.

Die Münchner Philharmoniker und die Stadt München reagierten mit klaren Worten: „Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit von der Bühne, dem Konzertsaal oder anderen öffentlichen Orten zu verbannen, ist ein Angriff auf wesentliche europäische und demokratische Werte.“ Intendant Florian Wiegand sprach von einer „unvorstellbaren Entscheidung im Herzen Europas“. Kulturreferent Marek Wiechers hob Shanis integratives Wirken hervor, Oberbürgermeister Dieter Reiter stellte klar: „Die Stadt München und ich persönlich stehen an der Seite der Münchner Philharmoniker und ihres künftigen Chefdirigenten.“

Auch auf Bundesebene sorgte die Entscheidung für Aufsehen. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hatte bereits am Vortag im BILD-Interview gewarnt: „Das ist dann schon ein bisschen wie in den 30er Jahren: Juden dürfen hier nicht auftreten, Juden dürfen hier nicht rein.“ Am Tag nach der Absage sprach er in einer Stellungnahme von einer „Schande für Europa“ und einem „dunklen Kapitel“, das im Widerspruch zu allem stehe, „was europäische Kultur ausmacht“.

Denn der Skandal reicht tiefer. Der hier gezeigte Antisemitismus wurzelt im christlichen Antijudaismus, kulminierte im nationalsozialistischen Vernichtungswahn und wurde vom Großmufti von Jerusalem in Hitlers Berlin weitergetragen. Über Radio Zeesen, einen deutschen Kurzwellensender, verbreitete er Hetze in die arabische Welt, warb für die Waffen-SS, verhinderte die Rettung jüdischer Kinder. Er verknüpfte europäischen Judenhass mit islamischer Rhetorik. Dieses Erbe lebt fort – in der Charta der Hamas, die nahezu wortgleich alte Verschwörungstheorien und Vernichtungsparolen wiederholt.

Und Europa? Macht diesen Hass wieder salonfähig. Unter dem Etikett „Postkolonialismus“ wird Israel zur Kolonie erklärt, im Gestus eines vermeintlichen Antifaschismus zum faschistischen Staat verdreht. Akademien, Intellektuelle, Kulturinstitutionen – sie berufen sich auf Moral und Freiheit und reproduzieren doch die uralten Muster der Ausgrenzung. Ihre Haltung ist nicht moralisch, sondern verlogen. Wer Israel als „genozidales Regime“ diffamiert, ist kein Kritiker, sondern ein williger Vollstrecker von Hitlers Erbe.

Das Festival von Gent hat nicht nur ein Orchester und dessen Dirigenten ausgeladen, sondern die Kultur selbst beschädigt. Eine Brücke ist eingerissen, der Konzertsaal zum Tribunal geworden. Gent hat sich entschieden: für die Parolen der Hamas, gegen die Freiheit der Kunst. Das ist nicht Kritik, das ist Ausgrenzung – eine kulturelle Intifada im Herzen Europas.

Und es ist die Schande von 2025, dass jüdische Künstler auf europäischen Bühnen wieder ausgeschlossen werden – ein Menetekel, das über unserer Kultur leuchtet.

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