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Opern-Kritik: Oper Chemnitz – Das Rheingold

„Wollt ihr den totalen Konsum?“

(Chemnitz, 3.2.2018) Das erste von vier verschiedenen weiblichen Regieteams zeigt konsequent wie beklemmend den „Ring“-Vorabend als Zivilisationsdämmerung im Warenrausch

vonRoland H. Dippel,

Zum Stadtjubiläum „875 Jahre Chemnitz“ gibt es an der Oper einen neuen „Ring des Nibelungen“, der auf die jahrelang erfolgreiche Produktion des früheren Chefregisseurs Michael Heinicke folgt. Vier Regisseurinnen setzen sich bei diesem Kraftakt im Lauf eines Kalenderjahrs mit Richard Wagners gesellschaftskritischer Tetralogie auseinander. Spannend ist aufgrund der engen Produktionsfolge, dass die szenischen Teams, die bei der Pressekonferenz Anfang Dezember 2017 das erste Mal miteinander in Kontakt kamen, mit Ausnahme dem der „Götterdämmerung“ gar nicht die Sichtweise der vorausgehenden Stücke aufgreifen oder reflektieren können. Auf „Das Rheingold“ folgen „Die Walküre“ (Regie: Monique Wagemakers) ab 24. März, „Siegfried“ (Regie: Sabine Hartmannshenn) ab 29. September, „Götterdämmerung“ (Regie: Elisabeth Stöppler) ab 1. Dezember 2018. Die musikalische Leitung der Premieren teilen sich der scheidende Felix Bender und der neue Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo.

Kantabel und durchsichtig

Bei der Premiere des Vorabends „Das Rheingold“ gibt es lauten Jubel für die Musik. Deutliche Buhs, die sicher auch Bestürzung und Betroffenheit artikulieren, mischen sich unter die Zustimmung für die Szene. Dieses „Rheingold“ hat es in sich: Spannungs- und Anspruchspotential sind enorm, die musikalische Messlatte weit oben. Für Guillermo García Calvo ist es nach Oviedo bereits der zweite „Ring“. Der Spanier bringt frische Farben in die wagnererprobte Robert-Schumann-Philharmonie, die das freudig aufgreift. Man hört es deutlich. Guillermo García Calvo favorisiert einen durchsichtigen Zug, der die führende Rolle der Blechbläser in Richard Wagners sinfonischer, klangmalender Entwicklung der Partitur plastisch und differenziert herausmodelliert. Bis in die kräftigsten Aufwallungen agiert er sehr sängerfreundlich. Aus der ariosen Prosa heraus entdeckt er in der unendlichen Melodie immer wieder andere strophenförmige Gebilde. Der meist sehr guten Textverständlichkeit schadet diese den Solisten gestattete und sinnfällige Kantabilität nicht. Vorbildlich sind die reaktionssicheren Verzahnungen von Szene und Musik: Guillermo García Calvo zeigt einen intelligenten und dabei tieflotenden Theaterpuls.

Turbokapitalistische Horrorszenarien

Szenenbild aus "Das Rheingold"
Das Rheingold/Theater Chemnitz © Kirsten Nijhof

Dadurch macht er die bitterbösen Visionen einer ganz nahen Zukunft wenigstens um eine kleine Nuance erträglicher. Im Vergleich zu den Hauptprobenfotos des Programmheftes hat man die Ähnlichkeiten der Figuren mit internationalen Spitzenpolitikern lieber doch geglättet, das Geschehen aber nicht entschärft. Die Protagonisten des Weltgeschehens sind in Verena Stoibers Regie ein einziges Horrorszenarium und die „seligen Götter“ eine bildungsferne Superreichen-Meute, die Ressourcen und Finanzen ihren allerbilligsten Lüsten opfert. Am Ende bleiben sie gefangen in einer Burg Walhall, die als Betonmauer die Öffnung zum Rest der Welt verschließt. Die Riesen, letzte Vertreter eines „haptischen“ bzw. traditionellen Arbeitsverständnisses, schippern Aktenberge in einer Schubkarre herbei.

„Richtige“ Arbeit gibt es nämlich nicht mehr: Nibelheim ist nach Sicht der Bühnenbildnerin Sophia Schneider ein Versanddepot, in dem Kinder Schnürsenkel in Schuhe fädeln und sich Prostituierte trostlos feilbieten. Männer sind dumpfe Machtbolzen, Frauen psychisch deformierte Zicken wie die leere First Lady Fricka (Monika Bohinec) und die eklig infantile Shopping-Queen Freia (Maraike Schröter). Ein trauriger Riss geht durch die sich rasant entzivilisierende, verrohte Welt: Der Grund des Rheins gleicht einer fast jugendstilhaften Naturszenerie. Oder ist das nur ein cineastisch reproduzierter Mythos, den Fricka und Wotan, nachdem sie sich im Vorspiel durch das Parkett zu ihren Kinosesseln durchkämpfen, neben Loge ansehen?

Ursünde im Unterwasser-Dschungel

Szenenbild aus "Das Rheingold"
Das Rheingold/Theater Chemnitz © Kirsten Nijhof

Die unschuldig nackten Rheintöchter schwingen an Seilen wie Tarzans Jane. Das weniger kalkuliert kokette, mehr idyllisch naturhafte Spiel raubt dem mit einem fast hinderlichen Riesengemächt ausgestatteten, borstigen und abgrundtief hässlichen Satyr Alberich (Jukka Rasilainen) den allerletzten Rest Besinnung. Wahrscheinlich führt nur das intensive Spiel zu den einzigen vokalen Unebenheiten des Abends. Das Rheingold sind die wallenden Haare der Rheintöchter, die Alberich brutal „skalpiert“. Diese Urszene trennt die Geschlechter für immer. Visuell liegt das genau zwischen den jugendstilhaften „Ring“-Illustrationen Arthur Rackhams und „Indiana Jones“. Als lässig aufgemotzten Aufsteiger begegnet man später Alberich wieder, der als ein Jack the Ripper seines Warenhauses die von ihm angestellten Sex-Lohnabhängigen schlachtet: So verflucht er die Liebe schon vor dem Verlust des Ringes an Wotan. Wenn ihn Wotan und Loge gebunden abschleppen, taucht der hier besonders heftig geschundene Mime in das kommerzielle Frauen-„Paradies“ ein. Immer wenn das Gold oder der Ring weiterwandern, fließt echtes (Theater-) Blut.

Sex-Gier und Sekt-Gier

Szenenbild aus "Das Rheingold"
Das Rheingold/Theater Chemnitz © Kirsten Nijhof

Sex-Gier und Sekt-Gier im Wechsel. In dieser Verrohung schaffen Waren lediglich Kurzzeit-Befriedigung. Fafner (James Moellenhoff) tötet Fasolt (Magnus Piontek) mit einem Golfschläger, kann den ganzen Elektro- und Fashion-Plunder gar nicht abschleppen. Nur eine einzige anrührende Szene gibt es, wenn die bewegend ausladende Bernadett Fodor als Erda den verantwortungslosen Finanzmagnaten Wotan (Kristían Cser) mit seinem greisen Alter Ego konfrontiert. Trübe Zukunft! Verena Stoiber und Sophie Schneider, die in Chemnitz keinen weiteren „Ring“-Teil gestalten werden, kann es egal sein, ob oder wie dieser Abschaum Erlösung findet. Eine traurigere Welt ist nicht denkbar. Gesungen wird durchgehend auf beeindruckendem bis hohem Niveau, wenn auch, kompatibel zum Bühnengeschehen, vokal markante Farben weitaus häufiger sind als balsamische Fülle des Wohllauts. Star der Premiere ist eindeutig Benjamin Bruns, der den Feuergott Loge zum berührungsscheuen Neurotiker macht: Wenn er eine der anderen Figuren berührt, reibt er sich sofort zwanghaft die Hände. Man versteht genau warum.

Pessimistische Zukunftsschau

Ein konsequenter und beklemmender Musiktheater-Abend, der zielstrebig auf die Grenze zum Unerträglichen zusteuert und eine pessimistische Zukunftsschau in markante Bilder bannt. Zeitgemäß stimmig lässt dieses „Rheingold“ George Bernard Shaws Gleichung „Walhall ist Wallstreet“ hinter sich und zeigt den Rutsch in den Abgrund des „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“.

Oper Chemnitz
Wagner: Das Rheingold

Guillermo García Calvo (Leitung), Verena Stoiber (Regie), Sophia Schneider (Bühne & Kostüme), Kristían Cser (Wotan), Matthias Winter (Donner), Petter Wulfsbeg Moen (Froh), Benjamin Bruns / Edward Randall (Loge / Mime), Monika Bohinec / Bernadett Fodor (Fricka), Maraike Schröter (Freia), Bernadett Fodor (Erda), Edward Randall / Benedikt Nawrath (Mime), Magnus Piontek (Fasolt), James Moellenhoff (Fafner), Guibee Yang (Woglinde), Sylvia Rena Ziegler (Wellgunde), Sophia Maeno (Floßhilde), Robert-Schumann-Philharmonie

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