Wagner: Die Walküre – Der Ring des Nibelungen
Nachdem am Ende von „Rheingold“ die Götterburg Walhall bezogen wurde, menschelt es im zweiten Teil der „Ring“-Tetralogie gewaltig.
© gemeinfrei

Der Walkürenritt. Gemälde (Ausschnitt) von Johan Gustaf Sandberg
„Es handelt sich um Inzest und Ehebruch – man ist begeistert.“ Mit diesem Bonmot resümierte Loriot eines der schönsten und zugleich verstörendsten Liebesduette der Operngeschichte („Loriot erzählt Richard Wagners Ring des Nibelungen“, Deutsche Grammophon, 2 CDs). Doch bis zu dieser Sauerei am Ende des 1. Akts der Oper „Die Walküre“ vergeht erst einmal eine Stunde, in der die Handlung aus dem „Rheingold“ fortgesetzt wird, wenn auch die göttliche Szenerie vorerst der weltlichen weichen muss: Siegmund sucht als Sohn Wotans seine verlorene Zwillingsschwester Sieglinde und kommt an der Wohnstätte Hundings an – nicht ahnend, dass dieser Sieglinde einst geraubt und geehelicht hat und sie nun bei sich gefangen hält.
Die Geschwister begegnen einander, ohne sich zu erkennen. Allein Hunding erkennt in dem jungen Mann Sieglindes Bruder und fordert diesen zum Zweikampf am nächsten Morgen auf. Nachdem sich Hunding zur Ruhe gelegt hat, erzählt Sieglinde Siegmund von einem Schwert im Stamm einer Esche, das von einem mysteriösen Fremden vor langer Zeit dort hineingestoßen war. Die Waffe sei demjenigen bestimmt, der es herauszuziehen vermag, was bislang niemandem gelang. Siegmund indes zieht es mühelos aus dem Stamm, woraufhin sich beide Geschwister erkennen und in besagte inzestuöse Ekstase verfallen.
Normen und Werte verpflichten selbst die Götter
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Der zweite Aufzug versetzt den Hörer wieder zurück in die göttlichen Sphären, wo Wotan noch immer daran arbeitet, sich des Rings zu bemächtigen, der noch immer im Besitz Fafners ist. Da dem Göttervater per Vertrag die Hände gebunden sind, Fafner zu töten, setzt er seine Hoffnungen auf Siegmund. Ihm soll Wotans Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, im bevorstehenden Kampf beistehen. Jedoch sind auch Götter an Normen und Werte gebunden, zu denen auch Treue in der Ehe gehört, die das Geschwisterpaar ganz offenkundig gebrochen hat. Wotans wird daher von seiner Ehefrau Fricka umgestimmt und gibt die Planänderung zugunsten Hundings an Brünnhilde weiter.
Die jedoch widersetzt sich dem Göttervater, weshalb er selbst eingreifen muss und Siegmunds Schwert mit seinem Speer zerschlägt. Brünnhilde wird – als Strafe für ihren Ungehorsam – ihres Walkürenstatus’ beraubt, zum Menschen degradiert und in einen „wehrlosen Schlaf“ versetzt, umringt von einer Feuerwand. Demjenigen, der diese durchschreitet, soll sie fortan als Weib dienen. Natürlich zählt Wotan dabei insgeheim auf jenen Helden, den Sieglinde demnächst gebären wird: Der Inzest aus dem ersten Akt nämlich zeigt seine Wirkung.
Kurzweilige Länge
Trotz einer Aufführungsdauer von knapp vier Stunden ist die zweite Oper der Ring-Tetralogie bemerkenswert kurzweilig: Regisseure können sich an dem hoch dramatischen und atmosphärisch dichten Werk regelrecht austoben, während die Musik gleichzeitig anspruchsvoll und eingängig ist – auch abseits des „Walküren-Ritts“, der zu den meist zitierten Film- und Fernsehmusiken gehört.
Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Walküre“
Am 26. Juni 1870 wurde „Die Walküre“ im Königlichen Hof- und Nationaltheater uraufgeführt, womit in der Spielzeit 1869/70 immerhin die erste Hälfte der Tetralogie dort auf die Bühne kam. Erst mit der Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses 1876 erklangen dann auch erstmals „Siegfried“ und „Götterdämmerung“.
Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 4 Posaunen, Pauken, Xylorimba, Glockenspiel, Rührtrommel, Becken, Triangel, Tamtam, Harfe, Klavier/Celesta, Streicher
Spieldauer: ca. 3 ¾ Stunden
Referenzeinspielung
Wagners „Ring“ komplett auf Schallplatte zu bannen war seinerzeit schwieriger als gedacht. Während der Weimarer Republik versuchte man sich an einem etwas umfangreicheren Auszug der Tetralogie, kam aber auch dann auf 122 Schellackseiten. So entstanden die ersten vollständigen Studioeinspielungen erst in den fünfziger und sechziger Jahren, etwa unter dem Dirigenten Hans Swarowsky in Nürnberg. Als wäre das Vorhaben zu dieser Zeit nicht ohnehin schon ambitioniert genug, verließen viele Musiker der Tschechischen Philharmonie während der Aufnahmetermine im August 1968 fluchtartig das Studio, da aufgrund des Einmarschs der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei die Grenzen zu schließen drohten. Doch die ortsansässigen Nürnberger Orchestermusiker halfen aus, und so konnte doch noch der gesamte „Ring“ eingespielt werden.
Wagner: Die Walküre
Wagner: Die Walküre
Wagner: Die Walküre
Wagner: Die Walküre
Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)
Wagner: Die Walküre
Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)
Wagner: Die Walküre
Zoltán Nyári (Siegmund), Sami Luttinen (Hunding), Kihun Yoon (Wotan), Ann-Beth Solvang (Sieglinde), Nancy Weißbach (Brünnhilde), Melanie Lang (Fricka), Hendrik Vestmann (Leitung), Paul Esterhazy (Regie)
Wagner: Die Walküre
Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)
Wagner: Die Walküre
Wagner: Die Walküre (Premiere)
Sébastien Rouland (Leitung), Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka (Regie)
Wagner: Die Walküre
Sébastien Rouland (Leitung), Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka (Regie)
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(UA Bayreuth 1876)
Heftiges Unwetter. Ein urzeitliches, um eine starke Esche gezimmertes Haus. Ein junger Held, waffenlos, flüchtet herein und bricht am Herd zusammen. Die junge Frau des Hauses, allein (ihr Gatte Hunding kämpft draußen) pflegt ihn. Kaum Worte, aber die Motive im Orchester sprechen: Das „Annäherungsmotiv“, das „Zuneigungsmotiv“ und das innige „Liebesmotiv“ (Violoncello) lassen uns ahnen, was vorgeht.
Im ersten Akt gelang Wagner ein hinreißend sinnliches Liebesduett: Hunding, heimgekehrt, schläft. Der Flüchtling und die junge Frau erkennen sich als seit ihrer Kindheit getrennte Zwillinge: Siegmund und Sieglinde. Von der Glut ihrer Gefühle springt die Haustür auf, und die Frühlingsnacht lacht herein: Winterstürme wichen dem Wonnemond. Sieglinde zeigt Siegmund das tief in der Esche steckende Schwert, er ruft es an als Nothung, zieht es heraus und legt es ihr als Brautgabe zu Füßen. Dann fällt gerade noch rechtzeitig der Vorhang.
Im zweiten Akt wird der Zusammenhang mit dem Ring-Zyklus klar. Göttinmutter Fricka faltet Gottvater Wotan zusammen, denn natürlich steckt er hinter allem: Er hat das Zwillingspaar mit einem Menschenweib gezeugt, und er hat das Schwert für Siegmund vorgesehen. Fricka fordert als Strafe für Ehebruch und Inzest den Tod Siegmunds im Kampf mit Hunding.
Wer im Publikum Das Rheingold versäumt hat, sollte jetzt gut aufpassen! Erda hatte Wotan die Götterdämmerung angekündigt. Betroffen und fasziniert besuchte er sie in der Tiefe und zeugte mit ihr Brünnhilde, seine Lieblingswalküre. Diese schmettert mittlererweile ein prachtvolles Hojotohoh und reckt dabei Speer und Schild. Ihr erklärt er raunend, warum sie Siegmund nicht schützen darf. Leise legen die Violinisten im Orchestergraben die Instrumente weg und sinken auf den Stühlen zusammen – sie haben 10 Minuten Pause, schon viel geleistet und noch viel vor sich!
Die „Todesverkündigung“ Brünnhildes an Siegmund, der auf der Flucht mit Sieglinde rastet, ist in Dichtung, Gesangsduktus, Komposition und Instrumentation vollendet. Bewegt von Siegmunds Todesbereitschaft will die Walküre ihm doch zum Sieg verhelfen, da zertrümmert Wotans Speer das Schwert Nothung, und Hunding tötet den wehrlosen Siegmund.
Im dritten Akt reiten neun singende Walküren durch die Luft – wenn man die Augen schließt, sieht man es vor sich. Welch eine Partitur! In den Holzbläsern pfeift es, in den Streichern peitscht es, in den Blechbläsern prescht es … Wütend treibt Wotan die Walküren auseinander. Er will Brünnhilde bestrafen. Diese weist Sieglinde die Richtung des schützenden Waldes, gibt ihr die Stücke des Schwertes mit, denn sie werde einen Helden gebären … dann erwartet sie ihr Urteil. Wotan will sie in magischen Schlaf versenken, aus dem sie irgendwann ein Mann wecken soll. Brünnhilde weiß auch schon, wer: Siegfried, den Sieglinde im Schoß trägt. Wotan küsst sie zum Abschied, dann sinkt sie mit dem chromatischen „Schlafmotiv“ zu Boden. Auf Wotans Weisung legt Feuergott Loge einen schützenden Feuerzauber um den Walkürenfelsen, den nur durchschreiten kann, wer Wotans Speerspitze nicht fürchtet. Die Figuren und Passagen des Feuerzaubers entflammen auch die Finger der Harfenisten und Streicher! In die Schlusstakte mischt sich das Motiv der Todesverkündigung – wem gilt es?
(Mathias Husmann)