Wagner: Die Walküre – Der Ring des Nibelungen

Nachdem am Ende von „Rheingold“ die Götterburg Walhall bezogen wurde, menschelt es im zweiten Teil der „Ring“-Tetralogie gewaltig.

© gemeinfrei

Der Walkürenritt. Gemälde (Ausschnitt) von Johan Gustaf Sandberg

Der Walkürenritt. Gemälde (Ausschnitt) von Johan Gustaf Sandberg

„Es handelt sich um Inzest und Ehebruch – man ist begeistert.“ Mit diesem Bonmot resümierte Loriot eines der schönsten und zugleich verstörendsten Liebesduette der Operngeschichte („Loriot erzählt Richard Wagners Ring des Nibelungen“, Deutsche Grammophon, 2 CDs). Doch bis zu dieser Sauerei am Ende des 1. Akts der Oper „Die Walküre“ vergeht erst einmal eine Stunde, in der die Handlung aus dem „Rheingold“ fortgesetzt wird, wenn auch die göttliche Szenerie vorerst der weltlichen weichen muss: Siegmund sucht als Sohn Wotans seine verlorene Zwillingsschwester Sieglinde und kommt an der Wohnstätte Hundings an – nicht ahnend, dass dieser Sieglinde einst geraubt und geehelicht hat und sie nun bei sich gefangen hält.

Die Geschwister begegnen einander, ohne sich zu erkennen. Allein Hunding erkennt in dem jungen Mann Sieglindes Bruder und fordert diesen zum Zweikampf am nächsten Morgen auf. Nachdem sich Hunding zur Ruhe gelegt hat, erzählt Sieglinde Siegmund von einem Schwert im Stamm einer Esche, das von einem mysteriösen Fremden vor langer Zeit dort hineingestoßen war. Die Waffe sei demjenigen bestimmt, der es herauszuziehen vermag, was bislang niemandem gelang. Siegmund indes zieht es mühelos aus dem Stamm, woraufhin sich beide Geschwister erkennen und in besagte inzestuöse Ekstase verfallen.

Normen und Werte verpflichten selbst die Götter

© gemeinfrei

Amalie Materna als Brünnhilde, Bayreuth 1876
Amalie Materna als Brünnhilde, Bayreuth 1876

Der zweite Aufzug versetzt den Hörer wieder zurück in die göttlichen Sphären, wo Wotan noch immer daran arbeitet, sich des Rings zu bemächtigen, der noch immer im Besitz Fafners ist. Da dem Göttervater per Vertrag die Hände gebunden sind, Fafner zu töten, setzt er seine Hoffnungen auf Siegmund. Ihm soll Wotans Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, im bevorstehenden Kampf beistehen. Jedoch sind auch Götter an Normen und Werte gebunden, zu denen auch Treue in der Ehe gehört, die das Geschwisterpaar ganz offenkundig gebrochen hat. Wotans wird daher von seiner Ehefrau Fricka umgestimmt und gibt die Planänderung zugunsten Hundings an Brünnhilde weiter.

Die jedoch widersetzt sich dem Göttervater, weshalb er selbst eingreifen muss und Siegmunds Schwert mit seinem Speer zerschlägt. Brünnhilde wird – als Strafe für ihren Ungehorsam – ihres Walkürenstatus’ beraubt, zum Menschen degradiert und in einen „wehrlosen Schlaf“ versetzt, umringt von einer Feuerwand. Demjenigen, der diese durchschreitet, soll sie fortan als Weib dienen. Natürlich zählt Wotan dabei insgeheim auf jenen Helden, den Sieglinde demnächst gebären wird: Der Inzest aus dem ersten Akt nämlich zeigt seine Wirkung.

Kurzweilige Länge

Trotz einer Aufführungsdauer von knapp vier Stunden ist die zweite Oper der Ring-Tetralogie bemerkenswert kurzweilig: Regisseure können sich an dem hoch dramatischen und atmosphärisch dichten Werk regelrecht austoben, während die Musik gleichzeitig anspruchsvoll und eingängig ist – auch abseits des „Walküren-Ritts“, der zu den meist zitierten Film- und Fernsehmusiken gehört.

Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Walküre“

Am 26. Juni 1870 wurde „Die Walküre“ im Königlichen Hof- und Nationaltheater uraufgeführt, womit in der Spielzeit 1869/70 immerhin die erste Hälfte der Tetralogie dort auf die Bühne kam. Erst mit der Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses 1876 erklangen dann auch erstmals „Siegfried“ und „Götterdämmerung“.

Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 4 Posaunen, Pauken, Xylorimba, Glockenspiel, Rührtrommel, Becken, Triangel, Tamtam, Harfe, Klavier/Celesta, Streicher

Spieldauer: ca. 3 ¾ Stunden

Referenzeinspielung

Wagner: „Die Walküre“

Prague Philharmonic, Hans Swarowsky (Leitung)
Mit: Gerald McKee, Herold Kraus, Rolf Polke, Rolf Kühne, Takao Okamura, Ursula Boese, Nadezda Kniplova und Bella Jasper

Wagners „Ring“ komplett auf Schallplatte zu bannen war seinerzeit schwieriger als gedacht. Während der Weimarer Republik versuchte man sich an einem etwas umfangreicheren Auszug der Tetralogie, kam aber auch dann auf 122 Schellackseiten. So entstanden die ersten vollständigen Studioeinspielungen erst in den fünfziger und sechziger Jahren, etwa unter dem Dirigenten Hans Swarowsky in Nürnberg. Als wäre das Vorhaben zu dieser Zeit nicht ohnehin schon ambitioniert genug, verließen viele Musiker der Tschechischen Philharmonie während der Aufnahmetermine im August 1968 fluchtartig das Studio, da aufgrund des Einmarschs der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei die Grenzen zu schließen drohten. Doch die ortsansässigen Nürnberger Orchestermusiker halfen aus, und so konnte doch noch der gesamte „Ring“ eingespielt werden.

Sonntag, 01.10.2023 16:00 Uhr Festspielhaus Neuschwanstein Füssen

Wagner: Die Walküre

Musikfestspiele Königswinkel
Montag, 02.10.2023 19:30 Uhr Festspielhaus Neuschwanstein Füssen

Wagner: Die Walküre

Musikfestspiele Königswinkel
Dienstag, 03.10.2023 16:00 Uhr Festspielhaus Neuschwanstein Füssen

Wagner: Die Walküre

Musikfestspiele Königswinkel
Sonntag, 07.01.2024 16:00 Uhr Oper Leipzig

Wagner: Die Walküre

Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)

Samstag, 13.01.2024 16:00 Uhr Oper Leipzig

Wagner: Die Walküre

Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)

  • Anzeige
  • Sonntag, 14.01.2024 17:00 Uhr Oldenburgisches Staatstheater

    Wagner: Die Walküre

    Zoltán Nyári (Siegmund), Sami Luttinen (Hunding), Kihun Yoon (Wotan), Ann-Beth Solvang (Sieglinde), Nancy Weißbach (Brünnhilde), Melanie Lang (Fricka), Hendrik Vestmann (Leitung), Paul Esterhazy (Regie)

    Sonntag, 21.01.2024 16:00 Uhr Oper Leipzig

    Wagner: Die Walküre

    Simone Schneider (Sieglinde), Sabine Hogrefe (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), Yorck Felix Speer (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Brenden Gunnell (Siegmund), Ulf Schirmer (Leitung), Rosamund Gilmore (Regie)

    Sonntag, 04.02.2024 16:00 Uhr Hessisches Staatstheater

    Wagner: Die Walküre

    Internationale Maifestspiele Wiesbaden
    Sonntag, 11.02.2024 17:00 Uhr Saarländisches Staatstheater

    Wagner: Die Walküre (Premiere)

    Sébastien Rouland (Leitung), Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka (Regie)

    Sonntag, 25.02.2024 17:00 Uhr Saarländisches Staatstheater

    Wagner: Die Walküre

    Sébastien Rouland (Leitung), Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka (Regie)

    Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Die Walküre

    Unter Beobachtung

    (Berlin, 3.10.2022) Auch „Die Walküre“ wird an der Staatsoper Unter… weiter

    Opern-Kritik: Tiroler Festspiele Erl – Die Walküre

    Messerscharfes Moral- und Krisenstück

    (Erl, 9.7.2022) Im österreichischen Wagner-Eldorado setzt Brigitte Fassbaender ihre hochpräzise… weiter

    Opern-Kritik: Oper Dortmund – Die Walküre

    Unter Menschen

    (Dortmund, 21.5.2022) Altmeister Peter Konwitschny startet an der Oper Dortmund… weiter

    Opern-Kritik: Oper Stuttgart – Die Walküre

    Zwischen Ratten, Licht und Farbe

    (Stuttgart, 10.4.2022) Mit der neuen „Walküre“ wird das Stuttgarter „Ring“-Modell… weiter

    Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Die Walküre

    Koffer! Koffer! Überall Koffer!

    (Berlin, 27.9.2020) An der Deutschen Oper Berlin beginnt die Neuinszenierung… weiter

    Rezension Simon Rattle – Wagner: Die Walküre

    Hochdramatischer Walkürenritt

    Den hochdramatischen Dimensionen des ersten „Ring“-Tages gibt Simon Rattle mit… weiter

    Opern-Kritik: Göteborgs Operan – Die Walküre

    Wagners Empathie

    (Göteborg, 1.12.2019) Stephen Langridge inszeniert den „Ring“ als Projekt der… weiter

    Opern-Kritik: Staatstheater Kassel – Die Walküre

    Gewalt und Leidenschaft

    (Kassel, 9.3.2019) In Kassel bleibt der neuen Ring von Markus… weiter

    Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Die Walküre

    Zerrieben von Ordnung und Rebellentum

    (Magdeburg, 8.9.2018) Der leider scheidende GMD Kimbo Ishii setzt auf… weiter

    Opern-Kritik: Theater Chemnitz – Die Walküre

    Schwerter zu Vorhängen

    (Chemnitz, 24.3.2018) Nach verheißungsvollem „Rheingold“ enttäuscht die Fortsetzung „Walküre“ mit… weiter

    Opern-Kritik: Deutsche Oper am Rhein – Die Walküre

    Regie-Rätsel

    (Düsseldorf, 28.1.2018) Altmeister Dietrich Hilsdorf beschert den Wagnerianern attraktive, doch… weiter

    Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Das Rheingold/Die Walküre

    Dresden schlägt Bayreuth

    (Dresden, 13./14.1.2018) Christian Thielemann startet mit seiner hinreißend disponierten Staatskapelle… weiter

    Fernsehen: 3sat

    Die Walküre als Zeitreise

    Die Osterfestspiele Salzburg feiern in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum… weiter

    Opernguide Tiroler Festspiele Erl

    Das Tiroler Erl wird zur Wagnerhochburg

    Der ganze „Ring“ an einem Wochen­ende: Gustav Kuhns Antwort auf… weiter

    Opern-Kritik: Staatstheater Nürnberg – Die Walküre

    Macht macht einsam

    (Nürnberg, 05.04.2014) GMD Marcus Bosch und Regisseur Georg Schmiedleitner lesen… weiter

    Opernguide Opernhaus Nürnberg – Die Walküre

    Wagners Walküre

    Wagners Vision eines „vaterländischen Belcanto“ in einer bewegenden Charakterstudie weiter

    Opernguide Oper Leipzig – Die Walküre

    Walküre in der Wagnerstadt

    An der Oper Leipzig wird „Die Walküre“ neu inszeniert. weiter

    Buchcover: Präludien für das Publikum von Mathias Husmann(UA Bayreuth 1876)


    Heftiges Unwetter. Ein urzeitliches, um eine starke Esche gezimmertes Haus. Ein junger Held, waffenlos, flüchtet herein und bricht am Herd zusammen. Die junge Frau des Hauses, allein (ihr Gatte Hunding kämpft draußen) pflegt ihn. Kaum Worte, aber die Motive im Orchester sprechen: Das „Annäherungsmotiv“, das „Zuneigungsmotiv“ und das innige „Liebesmotiv“ (Violoncello) lassen uns ahnen, was vorgeht.


    Im ersten Akt gelang Wagner ein hinreißend sinnliches Liebesduett: Hunding, heimgekehrt, schläft. Der Flüchtling und die junge Frau erkennen sich als seit ihrer Kindheit getrennte Zwillinge: Siegmund und Sieglinde. Von der Glut ihrer Gefühle springt die Haustür auf, und die Frühlingsnacht lacht herein: Winterstürme wichen dem Wonnemond. Sieglinde zeigt Siegmund das tief in der Esche steckende Schwert, er ruft es an als Nothung, zieht es heraus und legt es ihr als Brautgabe zu Füßen. Dann fällt gerade noch rechtzeitig der Vorhang.


    Im zweiten Akt wird der Zusammenhang mit dem Ring-Zyklus klar. Göttinmutter Fricka faltet Gottvater Wotan zusammen, denn natürlich steckt er hinter allem: Er hat das Zwillingspaar mit einem Menschenweib gezeugt, und er hat das Schwert für Siegmund vorgesehen. Fricka fordert als Strafe für Ehebruch und Inzest den Tod Siegmunds im Kampf mit Hunding.


    Wer im Publikum Das Rheingold versäumt hat, sollte jetzt gut aufpassen! Erda hatte Wotan die Götterdämmerung angekündigt. Betroffen und fasziniert besuchte er sie in der Tiefe und zeugte mit ihr Brünnhilde, seine Lieblingswalküre. Diese schmettert mittlererweile ein prachtvolles Hojotohoh und reckt dabei Speer und Schild. Ihr erklärt er raunend, warum sie Siegmund nicht schützen darf. Leise legen die Violinisten im Orchestergraben die Instrumente weg und sinken auf den Stühlen zusammen – sie haben 10 Minuten Pause, schon viel geleistet und noch viel vor sich!


    Die „Todesverkündigung“ Brünnhildes an Siegmund, der auf der Flucht mit Sieglinde rastet, ist in Dichtung, Gesangsduktus, Komposition und Instrumentation vollendet. Bewegt von Siegmunds Todesbereitschaft will die Walküre ihm doch zum Sieg verhelfen, da zertrümmert Wotans Speer das Schwert Nothung, und Hunding tötet den wehrlosen Siegmund.


    Im dritten Akt reiten neun singende Walküren durch die Luft – wenn man die Augen schließt, sieht man es vor sich. Welch eine Partitur! In den Holzbläsern pfeift es, in den Streichern peitscht es, in den Blechbläsern prescht es … Wütend treibt Wotan die Walküren auseinander. Er will Brünnhilde bestrafen. Diese weist Sieglinde die Richtung des schützenden Waldes, gibt ihr die Stücke des Schwertes mit, denn sie werde einen Helden gebären … dann erwartet sie ihr Urteil. Wotan will sie in magischen Schlaf versenken, aus dem sie irgendwann ein Mann wecken soll. Brünnhilde weiß auch schon, wer: Siegfried, den Sieglinde im Schoß trägt. Wotan küsst sie zum Abschied, dann sinkt sie mit dem chromatischen „Schlafmotiv“ zu Boden. Auf Wotans Weisung legt Feuergott Loge einen schützenden Feuerzauber um den Walkürenfelsen, den nur durchschreiten kann, wer Wotans Speerspitze nicht fürchtet. Die Figuren und Passagen des Feuerzaubers entflammen auch die Finger der Harfenisten und Streicher! In die Schlusstakte mischt sich das Motiv der Todesverkündigung – wem gilt es?


    (Mathias Husmann)