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Opern-Kritik: Staatstheater Nürnberg – Die Walküre

Macht macht einsam

(Nürnberg, 05.04.2014) GMD Marcus Bosch und Regisseur Georg Schmiedleitner lesen Wagners Walküre erfrischend neu und konkret

vonPeter Krause,

Schon wieder ein neuer Ring des Nibelungen? Es bedarf schon guter Argumente, im Jahr 1 nach der inflationären und zumal in Bayreuth nur wenig Erkenntnis fördernden Wagner-Befragung zum 200. Geburtstag des Meisters eine weitere Lesart der Tetralogie vorzulegen. In der Meistersinger-Stadt, kaum eine Autostunde vom Wagner-Mekka entfernt und deshalb denn auch in Anwesenheit von Noch-Ko-Intendantin Eva Wagner-Pasquier, zeigen Marcus Bosch und Georg Schmiedleitner mit ihrer Walküre, dass Sie nicht nur wissen, was sie tun, sondern dass Sie auch wissen, warum es hier und jetzt eine Interpretation des scheinbar so ausinszenierten, über- und unterinterpretierten, schwer zu besetzenden fluchbeladenen Dramas kommen muss. Wobei die Frage nach dem Warum hier zuallererst der musikalischen Seite gilt.

Denn Nürnbergs 44 Jahre junger Generalmusikdirektor ist hier gleichsam zu den Wurzeln des Werks zurückgekehrt. Marcus Bosch hat dazu nicht nur genauer als viele seiner Kollegen studiert, wie viele Piani und wie viele Mittelstimmen die Partitur aufweist, er hat auch die Probenprotokolle der ersten Bayreuther Festspiele zu Rate gezogen, die Heinrich Porges anno 1876 aufgezeichnet hatte. Nicht das Zelebrieren von Pathos muss Richard Wagner danach seinerzeit vorgeschwebt haben, sondern ein am gesungenen Wort und dessen Verständnis orientiertes ständiges Fließen der Musik.

Transparenter Orchesterklang und verdianischer Yang

In der Tat gewinnt Marcus Boschs Walküre einen unerhörten Drive, ein stürmisches Drängen und eine große Dichte der akzentuierten Artikulation. Er erhebt nicht das Mischklang-Ideal zum Maß aller Dinge, sondern achtet auf Trennschärfe. „Deutlichkeit! Die großen Noten kommen von selbst; die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache“, hatte Wagner vor der Bayreuther Ring-Premiere gefordert. Nürnbergs hoch disziplinierte Streicher widmen sich hingebungsvoll all den „kleinen Noten“, bringen das Flirren und farbliche Schillern der fulminant orchestrierten Partitur zum Ausdruck. Hier spielt ein wissendes Orchester, das durchaus blechbläserprall hinlangt, wenn es denn – wie im dritten Aufzug – so sein soll, das aber auch, die Mär von Wagners Musik als einer Sinfonie mit obligaten Singstimmen widerlegend, in keinem Moment die Sänger überdeckt. Transparenz heißt hier nicht Trockenheit und damit einhergehender Verzicht auf Emotionalität und Emphase, sondern sie dient der Tatsache, dass sich bei Wagner Oper und Schauspiel auf das Innigste durchdringen.

Eine junge, eine moderne Generation von Wagner-Recken beglaubigt das musikalische Konzept. Erfrischend unheldisch, fern aller pathosgeladenen Götterattitüde agiert das Nürnberger Ensemble, die meisten Sänger debütieren in ihren Partien, gewinnen den Figuren dadurch eine Frische und eine Menschlichkeit ab, die der Glaubwürdigkeit der Inszenierung enorm zu Gute kommt. Allen voran ist der Wotan des Antonio Yang zu nennen. Im Lübecker Ring wie dem vorangegangenen Nürnberger Rheingold noch ein berührender Alberich, ist der koreanische Bariton nun vom Schwarz- zum Lichtalben aufgestiegen.

Yang legt seinen Wotan geradezu verdianisch an. Am Tag vor der Walküren-Hauptprobe hatte er noch Vater Germont gesungen. Nun bindet er nobel und berückend schön auf Linie gesungen männliche Kernigkeit und verständige Textarbeit mit Legatoschmelz; so unforciert und gesund, ohne jedes Konditionsschwächeln und mit einer Autorität, die nicht durch Deklamieren und große Gesten behauptet werden muss, sondern die dem überragenden Sängerdarsteller von Natur aus eigen ist. Wie Antonio Yang schließlich nach drei Stunden Hochleistungssingen in Wotans Abschied „Der Augen leuchtendes Paar“ in einem liedhaften Pianoton anstimmt und seine ganze väterliche Verletzlichkeit offenbart ist schönstes musikalisches Beispiel für diese Walküre des postheroischen Zeitalters.

Figurentreue und präzise Personenregie

Georg Schmiedleitner hat den Nürnberger Ring dementsprechend in die Gegenwart verlegt. Inspiriert vom rezeptionsgeschichtlich bedeutendsten Einsatz von Wagners Walkürenritt im Medium des Films, dem Kriegsklassiker Apocalypse now von Francis Ford Coppola, rüstet sich Wotan im Beton-Bunker zum Showdown mit Alberich. Den todbringenden Einsatz seiner Hubschrauber und das freie Treiben seiner Kinder Sieglinde und Siegmund verfolgt der Göttervater nicht an der Front, sondern über Monitore. Macht macht einsam. Göttergattin Fricka muss sich gewaltsam Zutritt in dieses trostlose Hauptquartier Walhall verschaffen, um ihren Mann an die Einhaltung der von ihm geschaffenen Gesetze zu gemahnen: „Siegmund falle“. Die fulminant dominante Roswitha Christina Müller gibt Fricka als prinzipientreue Society-Lady mit Haltung, sie gleicht einer hoch attraktiven Jackie Kennedy, die ihrem Mann seine erotischen Eskapaden nicht durchgehen lassen will.

Die Früchte einer außerehelichen Affäre, das Wälsungenpaar, streben ihrerseits von ganz unten in die Freiheit ihrer Liebesekstase. Siegmund (Tenor Vincent Wolfsteiner mit robust sicherer Strahlkraft) ist ein ungeholbeter Underdog, dessen weichen Kern die ungewöhnlich mädchenhaft anrührende Sieglinde (Ekaterina Godovanets sehr sopranlyrisch und atemlos in aktuell nicht guter Verfassung) offenlegt. Weitaus glaubwürdiger als die meisten hochdramatisch flackernden Brünnhilden der A-Liga macht Rachael Tovey die Wandlung von der frechen „Hojotoho“ jauchzenden Göre zum wissenden Weib einer Antigone der Oper, die sich ihrer emotionalen Intelligenz bewusst wird, sängerdarstellerisch deutlich.

Die Tovey hat beeindruckendes Format, das sie auch zeigen darf. Denn Regisseur Schmiedleitner, im kommenden Salzburger Festspielsommer als Einspringer für den geschassten Burgtheater-Intendanten Hartmann tätig, weiß die Glaubwürdigkeit des Schauspiels mit der Überwältigung der Oper zu verbinden. Wenn es hier und da doch an letzter Konsequenz des kapitalismuskritischen Konzepts mangelt, entschädigt der Österreicher mit einer Figurentreue und präzisen Personenregie, einer humorig feinen Ironie wie bildstarken Drastik, die diesen Ring neben der musikalischen Exzellenz bislang zweifelsfrei zu einem Ereignis von überregionaler Ausstrahlung macht.

Staatstheater Nürnberg

Wagner: Die Walküre

Ausführende: Vincent Wolfsteiner (Siegmund), Randall Jakobsh (Hunding), Antonio Wang (Wotan), Ekaterina Godovanets (Sieglinde), Rachael Tovey (Brünnhilde), Roswitha Christina Müller (Fricka), Statisterie des Staatstheater Nürnberg, Staatsphilharmonie Nürnberg, Marcus Bosch (Musikalische Leitung), Georg Schmiedleitner (Inszenierung), Stefan Brandtmayr (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Kai Weßler (Dramaturgie)

Weitere Infos zum Staatstheater Nürnberg finden Sie hier.

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