Opern-Kritik: Oper Stuttgart – Die Walküre

Zwischen Ratten, Licht und Farbe

(Stuttgart, 10.4.2022) Mit der neuen „Walküre“ wird das Stuttgarter „Ring“-Modell separater Regie-Teams vollends auf die Spitze getrieben. Der Unterhaltungswert ist erheblich.

© Martin Sigmund

Drei Aufzüge, drei Regieteams, drei Welten: „Die Walküre“ an der Staatsoper Stuttgart

Drei Aufzüge, drei Regieteams, drei Welten: „Die Walküre“ an der Staatsoper Stuttgart

Beim sogenannten Stuttgarter Modell geht es nicht um ein steuerliches Rechenmodell oder so etwas. Zumindest für Wagnerianer ist klar: Es geht um eine vor zwanzig Jahren ziemlich neue Art, mit Wagners „Ring“-Tetralogie fertig zu werden. Damals schickte Klaus Zehelein gleich vier Regisseure ins Rennen: Joachim Schlömer mit dem „Rheingold“, Christoph Nel mit der „Walküre“, das Dauergespann Jossi Wieler/ Sergio Morabito mit dem „Siegfried“ und Peter Konwitschny mit der „Götterdämmerung“. Mit so durchschlagendem Erfolg, dass er dazu beitrug, Stuttgart über Jahre eine führende Stellung unter den deutschen Opernhäusern zu sichern. Peter Kontwitschny hat sich jetzt für Dortmund den kompletten „Ring“ vorgenommen. Wieler und Morabito werden ihren alten „Siegfried“ für das jetzt begonnene Projekt als Erinnerung an den Schrittmacher-„Ring“ von damals aufpolieren. Während man in diesem Fall den Effekt einer freudigen Wiederbegegnung getrost einkalkulieren darf, bleibt es (zumindest nach seinem gerade in Nürnberg inszenierten „Rosenkavalier“) eine spannende Frage, wie Marco Štorman mit der „Götterdämmerung“ klarkommen wird.

© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Walküre“

Szenenbild aus „Die Walküre“

Ein Regie-Team pro Aufzug

Im Falle der „Walküre“ gab es jetzt erstmal den Stresstest für das Modell „Stuttgart 22“ mit drei verschiedenen Regieteams. Da das absolut nichts mit dem Bahnhof zu tun hat und auch weil sie verdientermaßen Glück hatten und allen Coronaquerschlägern ausweichen und sogar die Maskenpflicht auf Freiwilligkeit umstellen konnte, ging die Premiere genau zu der Zeit über die Bühne, für die man sie geplant und geprobt hat. Das ist heutzutage schon der erste Erfolg. Und im Großen und Ganzen funktionierte auch das Konzept, zumindest in diesem einem Fall. Die drei Ansätze in der Stuttgarter „Walküre“ eignen sich allerdings kaum als verkapptes „Ring“-Casting. Wenn man sich diese verschiedenen Zugänge und ihre konstituierende Ästhetik jeweils auf die komplette Tetralogie übertragen vorstellt, dann würde man die, wenn auch perfekten, kleinteiligen, live gefilmten und vergrößert projizierten Landschaftsfahrten, mit denen die Gruppe „Hotel Modern“ den Hintergrund für Rampensingen der ganz alten Art bebildert, schnell zu nervig und einseitig finden.

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Szenenbild aus „Die Walküre“

Szenenbild aus „Die Walküre“

Neubayreuth ist mittlerweile Altbayreuth

Auch die faszinierende, abstrakte Lichtästhetik, in der Urs Schönebaum im zweiten Akt eine spannende Personenregie entwickelt, würde sich wohl als etwas in die Jahre gekommen erweisen. Neubayreuth ist mittlerweile ja auch schon ziemlich Altbayreuth. Auch würde man vermutlich schnell zu dem Schluss kommen, dass die selbstverliebten, vor allem aber demonstrativ sinnfreien Farb- und Formunverbindlichkeiten, mit denen Ulla von Brandenburg den dritten Aufzug für den Aufmarsch der Walküren und Wotans Abschied aufgehübscht hat, ziemlich aus der Zeit gefallen sind. Vor allem der erste und dritte Akt belegen zudem, dass Personenregie – wie im Mittelakt zu erleben – eben doch unverzichtbar ist. Eine dominierende Spezialästhetik vermag sie keineswegs zu ersetzten.

Erster Aufzug: Rampensingen

Im ersten Aufzug fällt das besonders auf, wenn Siegmund und Sieglinde fest gebannt an der Rampe stehen. Für den Hörgenuss ist es ja schön, dass sie das Publikum und kaum einander ansingen. Michael König hat dafür eine sichere Strahlkraft zu bieten, und die dunkel grundierte Simone Schneider ist eine emotional intensive Sieglinde. Was beide im Mittelakt auch ausspielen. Für eine glaubwürdige erotische Spannung im ersten Akt ist diese Art der Platzierung ein Killer. Hinzu kommt die stilbildende Idee, die beiden ebenso wie Hunding mit Rattenmasken auftreten zu lassen, die sie allerdings vor dem ersten Ton abnehmen. Für ihre seltsame Entmenschlichung haben sie immerhin Siegmunds und Hundings Gerede von den Wölf(ing)en auf ihrer Seite. Goran Juric steuert hier vokal glaubwürdig eine lauernde Hunding-Brutalität bei. Auch für die Rattenmaskierung spricht der Erfolg, den einer wie der gerade verstorbene Hans Neuenfels damit bei seinem „Lohengrin“ in Bayreuth hatte. Nimmt man diese Metaphorik ernst, dann haben die Assoziation, die damit heraufbeschworen werden, ebenso ihre Tücken wie die perfekt live abgefilmte Trümmerlandschaft im Modelleisenbahnformat, die in der Projektion auf der Leinwand auf gespenstische Weise den Bildern ähnelt, die wir jetzt jeden Tag im Fernsehen zu sehen bekommen.

© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Walküre“

Dass das Schwert, das eigentlich im Stamm stecken sollte, in Übergröße aus dem Schnürboden kommt, ist ein ebenso kleinteiliger Witz wie die Verfremdung eines Stuhls als Wasserkrug. Man staunt über die perfekt gefilmte Modellkatastrophe, freut sich auf den Wechsel und erinnert sich daran, das Opernregie auch ein Handwerk und ein ernstzunehmender Beruf ist.

Zweiter Aufzug: Präzise Regie in einem Raum aus wallendem Licht

Was das bedeutet, das bekommt man, in schönem Kontrast zu der Rampenshow, von Brünnhilde, Wotan und Fricka im mittleren Walkürennakt demonstriert. In einem Raum aus wallendem Licht, irgendwo in der Nähe der Götterbehausung, nimmt sich eine wie ein Ufa-Filmstar gestylte Fricka ihren untreuen und gegen die eigenen Gesetze verstoßenden Gatten zur Brust. Fast wörtlich, denn sie hat ihre Reize. Aber hauptsächlich mit ihren Argumenten und ihrer durchschlagenden Stimmkraft. Und zwar so gründlich, dass er zu Boden und die phänomenale Muster-Fricka Annika Schlicht triumphierend, erhobenen Hauptes als Siegerin vom Platze geht. Neben ihr ist Okka von der Damerau ein überwältigendes Brünnhilde-Debüt gelungen. Unangestrengt und doch mit der Wärme der zu liebendem Mitgefühl erwachenden Frau. Atemberaubend ist die Szene der Todesverkündigung, die mit einer Lichtdom-Ästhetik von Annodazumal spielt und so das Walhall mit all den toten Helden erschreckend eindrucksvoll imaginiert.

© Martin Sigmund

Szenenbild aus „Die Walküre“

Szenenbild aus „Die Walküre“

Brünnhilde bleibt auch in dem Farbgewoge zwischen den Wellenelementen, die den Walkürenfelsen im dritten Akt ersetzten, das Kraftzentrum. Obwohl die kunterbunt gewandeten Walküren einen vokal durchschlagend guten Job machen. Leider hatte Brian Mulligan zunehmend Mühe, seinen Wotan auf Kurs zu halten, schaffte es aber bis zum Finale.

Der Star des Abends steht am Pult: Cornelius Meister

Der Star des Abends ist gleichwohl nur einmal während der Kamerafahrten bei der Arbeit und dann beim Schlussapplaus zu sehen. Cornelius Meister liefert mit dem Staatsorchester Stuttgart eine spannungsgeladene, transparent beredte Walkürenmusik, die den großen Bogen spannt und durchhält, den die Szene bewusst aufbricht. Allein schon sein Dirigat und die Protagonisten (inklusive der Ausreißer ins Spitzenniveau, wie im Falle von Okka von der Damerau und Annika Schlicht) lohnen diese „Walküre“. Das szenische Experiment bleibt Geschmackssache, hat aber durchaus – garantiert durch den Wechsel – einen erheblichen eigenen Unterhaltungswert.

Oper Stuttgart
Wagner: Die Walküre

Cornelius Meister (Leitung), Hotel Modern (Regie, Bühne, Kostüme, Live-Animation-Film 1. Aufzu Reinhard Traub (Licht 1. & 3. Aufzug), Urs Schönebaum (Regie, Raum, Licht 2. Aufzug), Yashi (Kostüme 2. Aufzug), Yvonne Gebauer (Dramaturgie 2. Aufzug), Thomas Boudewijn (Mitarbeit Raum 2. Aufzug), Ulla von Brandenburg (Regie, Bühne & Kostüme 3. Aufzug), Benoȋt Résillot (Mitarbeit Regie 3. Aufzug), Julia Mossé (Mitarbeit Bühne und Kostüme 3. Aufzug), Ingo Gerlach & Julia Schmitt (Dramaturgie), Michael König, Simone Schneider, Goran Jurić, Okka von der Damerau, Brian Mulligan, Annika Schlicht, Esther Dierkes, Clare Tunney, Leia Lensing, Stine Marie Fischer, Catriona Smith, Linsey Coppens, Anna Werle, Maria Theresa Ullrich, Staatsorchester Stuttgart

Termine

Mittwoch, 08.05.2024 19:30 Uhr Isarphilharmonie München

Okka von der Damerau, Münchner Philharmoniker, Paavo Järvi

Mahler: Kindertotenlieder, Rott: Sinfonie Nr. 1 E-Dur

Donnerstag, 09.05.2024 19:00 Uhr Isarphilharmonie München

Okka von der Damerau, Münchner Philharmoniker, Paavo Järvi

Mahler: Kindertotenlieder, Rott: Sinfonie Nr. 1 E-Dur

Sonntag, 28.07.2024 18:00 Uhr Festspielhaus Bayreuth

Wagner: Das Rheingold

Bayreuther Festspiele
Mittwoch, 31.07.2024 16:00 Uhr Festspielhaus Bayreuth

Wagner: Siegfried

Bayreuther Festspiele
Dienstag, 20.08.2024 18:00 Uhr Festspielhaus Bayreuth

Wagner: Das Rheingold

Bayreuther Festspiele
Freitag, 23.08.2024 16:00 Uhr Festspielhaus Bayreuth

Wagner: Siegfried

Bayreuther Festspiele

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