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Interview Markus Stenz

„Es gibt Opern und es gibt ,Fin de partie’“

Dirigent Markus Stenz beschäftigt sich schon seit mehr als 25 Jahren mit den Werken György Kurtágs. 2018 hat er dessen erste Oper „Fin de partie“ an der Mailänder Scala uraufgeführt. Jetzt bringt er das Werk an die Pariser Oper.

vonIrem Çatı,

2018 haben Sie György Kurtágs „Fin de partie“ an der Mailänder Scala uraufgeführt. Wie groß ist die Freude, die Oper jetzt wieder in Paris dirigieren zu dürfen?

Markus Stenz: Die eigentliche Sensation ist ja, dass das Stück zurück nach Paris kommt. Denn Kurtág war hier schon 1957 auf der Theaterpremiere von Samuel Becketts „Fin de partie“. Wenn er das erzählt, stelle ich mir immer vor, dass er über Jahrzehnte hinweg die Idee verfolgt hat, daraus eine Oper zu machen. Wenn wir also mehr als sechzig Jahre später hier, wo das Publikum auch noch die Sprache spricht, eine Premiere von „Fin de partie“ feiern, finde ich das umso bemerkenswerter. Deshalb ist auch das Gefühl ein völlig anderes für mich als damals in Mailand, Valencia oder Amsterdam, wo wir das Werk ebenfalls auf die Bühne gebracht haben.

Wird Kurtág bei der Premiere dabei sein?

Stenz: Er ist mittlerweile 96 Jahre alt und wird nicht nach Paris reisen. Er war auch nicht in Mailand dabei, deswegen haben wir damals vor der Uraufführung einen wichtigen Testlauf in seiner Heimatstadt Budapest durchgeführt, wo er anwesend war.

Wissen Sie, was György Kurtág am Stück so begeistert?

Stenz: Er ist so mit dem Sujet verbunden, dass sich diese Frage in seinem Beisein überhaupt nicht stellt! Daher habe auch ich diesen Schritt übersprungen, und es fällt mir schwer darauf zu antworten. Diese Endzeitstimmung, dieser Pessimismus, aber gleichzeitig auch dieser unendlich schwarze Humor sind wahrscheinlich die Dinge, von denen er fasziniert war und die er letztlich auch auskomponiert hat. Dafür hat er eine eigene Klangwelt geschaffen. Ich glaube, er hat in diesem Theaterwerk ein enorm musikalisches Stück gesehen.

Nach der Uraufführung hat Kurtág gesagt, dass seine Fassung noch nicht endgültig sei. Hat er seitdem etwas an der Partitur verändert?

Stenz: Nein, tatsächlich nicht. Er hat mit keinem Librettisten zusammengearbeitet, so dass wir also den originalen Beckett ohne jedes Editing hören, wobei es Passagen gibt, die nicht komponiert sind. Das könnte natürlich zu der Annahme führen, dass er nachträglich diese Stellen vertonen möchte. Aber ich glaube, das will er gar nicht. Ich denke, er hat einfach durch die Auswahl der Szenen und Monologe seine Version von „Fin de partie“ vorgelegt.

Mit 92 Jahren hat György Kurtág seine erste Oper „Fin de partie“ beendet
Mit 92 Jahren hat György Kurtág seine erste Oper „Fin de partie“ beendet

Ursprünglich sollte das Werk in Zürich, dann in Salzburg uraufgeführt werden. Wieso ist es am Ende die Scala geworden?

Stenz: Die Oper war ein Auftragswerk der Oper Zürich, deren Intendant Alexander Pereira erst nach Salzburg und später an die Scala gegangen ist. Es ist also mit Pereira gewandert.

Fast wäre es zu gar keiner Uraufführung gekommen, denn Kurtág wollte zwischenzeitlich nicht mehr an der Oper weiterschreiben. Wissen Sie warum?

Stenz: Durch die langjährige Genese des Stücks gibt es einige Vorgeschichten und um diese Frage wirklich treffend beantworten zu können, hätte ich früher zur Produktion dazukommen müssen. Als ich Teil davon wurde, war die Oper bereits fertig, auch das Sängerensemble stand schon fest. Es war bis dahin vor allem Arnaud Arbet, der ihn motiviert und ermutigt hat. Es muss ein ziemlicher Druck sein, wenn man seine einzige Beschäftigung mit Musiktheater veröffentlichen möchte, daher kann ich sein Zögern, Zaudern und Zweifeln gut nachvollziehen.

Bei der Uraufführung 2018 war Kurtág bereits 92 Jahre alt. Was erwartet man als Dirigent von der ersten Oper eines so renommierten Komponisten?

Stenz: Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, denn ich beschäftige mich ja schon seit mehr als 25 Jahren mit Kurtágs Musik. Er hat eine ungewöhnliche Art, Musik zu schreiben. Wenn man seine Partituren aufschlägt, weiß man, es geht nicht darum, irgendeine normale Notation umzusetzen, sondern die Ideen zu erforschen, die dahinterstecken. Vieles ist sehr vage notiert und doch sehr klar. Wo andere Komponisten versuchen, sich im normalen Koordinatensystem zu bewegen, sprengt Kurtág dieses komplett. Seine Notation ist viel freier, poetischer und theatralischer und erlaubt somit jedem Aufführenden, Künstler zu sein. Und das ist wunderschön. Ich finde das sehr befreiend. Es besteht aber natürlich auch immer die Gefahr, dass man komplett daneben liegt.

Wie ist es, mit noch lebenden Komponisten zusammenzuarbeiten?

Stenz: Das ist immer ein Vorteil. Man kann ihnen nämlich alle Fragen stellen, die man hat, und kommt somit der Ursprungsidee viel näher. Ansonsten bestätigt die Arbeit mit den lebenden Komponisten, dass sie alle darum ringen, die bestmögliche Art und Weise zu finden, eine Idee zu notieren. Und diese Idee zu erforschen, ist die eigentlich tollere Aufgabe.

Markus Stenz hat Kurtágs „Fin de partie“ 2018 in Mailand uraufgeführt
Markus Stenz hat Kurtágs „Fin de partie“ 2018 in Mailand uraufgeführt

Sie haben in einem Interview über „Fin de partie“ gesagt, dass man dafür eine eigene Schublade bräuchte. Was unterscheidet die Oper so von anderen?

Stenz: Der Spannungsbogen entspricht keiner durchkomponierten Oper, sie beruht auf einer Aneinanderreihung von Szenen. Das ist der dramaturgische Unterschied und macht das Werk dadurch zu einem Solitär. Dann hat Kurtág den sehr schönen Titel „Szenen und Monologe“ zu Becketts „Fin de partie“ gewählt. Es gibt, wie auch im Original, keine logisch funktionierende Handlung. Dafür hat Kurtág sehr schön das Schweigen zwischen den Sätzen der Protagonisten auskomponiert und dem Stück damit die Interpretation gegeben, die im Theater angelegt, aber noch nicht ausgeführt ist. Was das Orchester angeht, gibt es keine Ouvertüre, Zwischenspiele oder Höhepunkte in dem Sinne. Es gibt eine extrem nuancierte und farbreiche Wortmalerei, einen Strom von Ideen, bei dem das Orchester die Sänger trägt oder mitspielt. Und ich glaube, es gibt nicht einen einzigen Takt, wo alle gleichzeitig spielen. Es gibt Opern und es gibt „Fin de partie“.

Sie haben im Laufe Ihrer Karriere schon viel von Kurtág dirigiert. Was begeistert Sie denn so an seinen Werken?

Stenz: Kurtág schafft es, kleinste Emotionen und extreme Nuancen durch Musik auszudrücken. Auch die kantablen Farben, die immer mitsprechen und die freie Assoziation von Klängen begeistern mich sehr. Es ist immer Kunst, nie eine Mechanik.

Sie haben sich schon sehr früh auf zeitgenössische Musik spezialisiert. Wie kam es dazu?

Stenz: Ich würde sagen, einer meiner Wesenszüge ist Neugier. Die erstreckt sich aber nicht nur auf die zeitgenössische Musik. Wenn ich mir eine traditionelle Partitur erarbeite, bin ich genauso ein Entdecker und habe dieselbe Verpflichtung zur Musikalität und dem musikalischen Empfinden. Das hat sich seither immer gegenseitig befruchtet. Der Rest ist der ganz normale Künstler-Zufall: Ich hatte das große Glück, dass Hans Werner Henze damals große Stücke auf mich gehalten hat und mich dementsprechend seine Uraufführung von „Das verratene Meer“ leiten ließ. So bin ich auf die musikalische Landkarte mit einem zeitgenössischen Stück gekommen und so etwas begleitet einen dann.

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