Opern-Kritik: Theater Lübeck – Tannhäuser

Der Bunga Bunga-Tannhäuser

(Lübeck, 31.8.2014) Wagners Sängerkrieg als pralles Politikspektakel mit Merkel & Co.

© Jochen Quast

Herbert Lippert (Tannhäuser), Julia Faylenbogen (Venus), Statisterie

Hure oder Heilige, Sex oder Seelenliebe, Entgrenzung oder Anstand, Politik oder Kunst, Vision oder Realität, chromatisches Sehnen oder diatonisches Dasein – Richard Wagners Denken in Dialektik kommt kaum je so theatralisch prall und musikalisch knallig herüber wie in seinem Tannhäuser, diesem Opern-Schmerzenskind, dem der Meister eine letztgültige Fassung schuldig blieb. Kluge Regisseure nutzen die Offenheit der romantischen Oper gern, um sehr eigene Sichtweisen aufs Wagnerwerk zu projizieren, um mit mehr oder weniger Erfolg zu dekonstruieren, was doch sowieso kein vollends stimmiges Ganzes ist, um zu aktualisieren, was dereinst in der Mitte des 19. Jahrhunderts gewiss gar beißend gesellschaftskritisch gemeint war. Denn welch‘ eine Ausgeburt an spießigster Doppelmoral ist doch diese sich kunstsinnig gebende und dennoch so heuchlerische Wartburg-Society.

Wagner als Mitmachtheater

Wagners Repolitisierung, die Sebastian Baumgarten in Bayreuth weniger und Tobias Kratzer in Bremen sehr viel mehr gelungen ist (was ihm eine Einladung zur Inszenierung derselben Oper just in Bayreuth eingetragen hat), hat sich nun auch Florian Lutz in Lübeck vorgenommen. Sie fällt bei ihm freilich so konkret wie nur irgend möglich aus. Dazu wertet der junge Regisseur zunächst die vier Edelknaben aus dem zweiten Aufzug zu kessen Hostessen auf, die sich gleich zu Beginn ans Publikum wenden und die Frage thematisieren, was wir denn heute noch für eine Sünde hielten. Kurz vor der Vorstellung werden Antworten im Foyer auf Video aufgezeichnet und Minuten später eingespielt: Alkoholgenuss und Völlerei, Ehebruch und Eitelkeit werden genannt und prompt im Venusberg unter Beteiligung der auskunftsfreudigen Premierengäste auf die Bühne gebracht. Auch der schweigende Rest wird hernach noch aktiviert, will sagen, zum Mitsingen des Pilgerchores animiert. Wagner als Mitmachtheater – das ist durchaus neu und hat dennoch bei aller frechen Ironie durchaus etwas mit der Kunstauffassung des Bayreuthers zu tun. Der wollte aufrütteln, die Menschen herausführen aus einem bloß kulinarischen Kunstkonsum. Seine Kunst sollte die Welt verändern, wenn die Politik und selbst seine Revoluzzerfreunde dies denn nicht schafften. In Lübeck kommt die rotzfrech respektlose Seite Wagners überdeutlich zum Vorschein.

Bundestag trifft Theater

Mit dem Auftritt der Jagdgesellschaft spitzen Florian Lutz und sein Team ihren Ansatz zu. Die kühnen Sänger sind als Politiker unserer Zeit gewandet und dank Maske, Brillen und Gesten auch meist eindeutig zu erkennen. Das hat zunächst ausgeprägten Comedy-Witz, schafft Kurzweil und ruft viele spontane Lacher hervor. Im Sängerkrieg aber wird dieses allzu deutliche Spiel auch bitterernst durchgezogen. Der an den Rollstuhl gefesselte Wolfram von Eschenbach (Gerard Quinn singt ihn ohne jede Kammersängerkünstlichkeit ganz klar, bestimmt und eloquent) propagiert als alter Helmut Kohl die einstigen Werte der geistig moralischen Wende. Ausgerechnet von links erhält er Zustimmung: Walther von der Vogelweide (mit feiner Tenorlyrik: Daniel Jenz) als rotschaliger und fahrradfahrender Hans Christian Ströbele bestätigt den konservativen Kanzler („Den Bronnen, den uns Wolfram nannte“). Welch‘ schöne Pointe: Der grüne Sittenwächter ist sogar der noch größere Spießer als der oft verspottete Buhmann der Linken. Auch Heinrich der Schreiber würde dazu gern seinen Kommentar abgeben, als köstlich präziser Westerwelle-Verschnitt bleibt ihm eine Rede auf diesem den Bundestag, den Lübecker Theatersaal und vielleicht gar das Bayreuther Festspielhaus vereinende Podium aber versagt.

Elisabeth, die Kanzlerin mit dem Vermittlungsgen

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung aber steht, gerade so wie im wahren Leben der Berliner Republik, Elisabeth als Angela Merkel. Wie Carla Filipcic Holm Gesten, Haltung und Gang der Kanzlerin studiert hat und nachmacht, ist so großartig, wie sie singt: Mit ihrem ausladend hoheitsvollen Sopranton rückt die Sängerin diese Elisabeth auch musikalisch ins Zentrum der Aufführung. Nur wer ist der Herr Tannhäuser? Die Figur hinter Herbert Lippert, im ersten Aufzug noch ein tenorwackliger Herr im Dinner Jacket, der in seinen reifen Jahren seinen Hang zu frischem Frauenfleisch ungemindert auslebt, wird erst nach und nach erkennbar, parallelmit seiner fulminanten Steigerung zum zerknirschten Sünder in der Romerzählung. Offenbar haben wir es hier mit einem Silvio Berlusconi zu tun, dem das Wohl des Staates so gar nichts, seine sexuelle Selbstverwirklichung aber fast alles bedeutet. Ein Staatenlenker, der seine Neigung offen zugibt, gar ein Bunga Bunga-Mädel auf die Bundestag-Wartburg mitbringt, wird natürlich von den deutschen Besserwissern und Tugendwächtern vom Hof gejagt. Nur die Elisabeth-Kanzlerin als Meisterin der Vermittlung setzt durch, ihm noch eine letzte Chance zu geben und Buße zu tun: „Auf nach Rom“.

Selbstverliebtheit des Regisseurs

Dieser zweite Aufzug gerät enorm packend, er ist bestes Beispiel eines Musiktheaters mit grellem und dennoch stimmigem V-Effekt. Mehr als einmal denkt man dabei an die Handschrift eines Peter Konwitschny. Nur weiß der Meisterregisseur im Gegensatz zu seinem jungen Kollegen, eben auch auf die Musik zu hören, ihr zu trauen und sich bei Bedarf zurückzunehmen. Florian Lutz aber spinnt im dritten Aufzug seine Merkel-Story fort, verliebt sich allzu sehr in sein Konzept und bringt es nicht mehr mit dem Stück zusammen. Natürlich zündet die Pointe, wenn er hübsch kapitalismuskritisch zu Wolframs Lied an den Abendstern neben den Logos der anderen DAX-Konzerne den Stuttgarter Stern einschweben lässt – nach dem Motto „den Weg aus dem Tal“ weist uns das Geld aus dem Autobau. Musik und (Sub-)text wissen aber, dass es hier einzig und allein um Wolframs Innenleben geht. Auch dass am Ende die Elisabeth, der aktuellen Realität folgend, am Leben bleibt, und nur ihre männlichen Mitstreiter in den Tod schickt, ist eine Projektion von Außen auf die Dramaturgie des Stücks, eine Idee, die leider nicht zur Deckung mit der Geschichte zu bringen ist. Hier wird eben die Schattenseite jeder allzu konkreten Aktualisierung offenbar. Hatte Roman Brogli-Sacher Lübeck zur heimlichen Wagner-Hochburg im Norden gemacht, präsentiert sein Nachfolger Ryusuke Numajiri nun seine erste Premiere eines Bayreuth-Titels. Sehr einig mit der Deutlichkeit und Ideenflut der Inszenierung setzt er mit den blendend disponierten Philharmonikern auf ein schnittig lautes, seinerseits das Grelle der Partitur betonendes Klangbild, in dem die nur feinen Nuancen und Farbmischungen zu kurz kommen.

Theater Lübeck

Wagner: Tannhäuser

Besetzung: Ryusuke Numajiri (Leitung), Florian Lutz (Regie), Christoph Ernst (Bühne), Mechthild Feuerstein (Kostüme), Julia Faylenbogen (Venus), Carla Filipcic Holm (Elisabeth, Nichte des Landgrafen), Shavleg Armasi (Hermann, Landgraf von Thüringen), Taras Konoshchenko (Biterolf), Daniel Jenz (Walther von der Vogelweide), Hjongseok Lee (Heinrich der Schreiber), Herbert Lippert (Tannhäuser), Gerard Quinn (Wolfram von Eschenbach), Tim Stolte (Reinmar von Zweter), Chor und Extrachor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

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