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Opern-Kritik: Theater Bremen – Der fliegende Holländer

Ein deutscher „Holländer-Albtraum“

(Bremen, 15.9.2013) Schnell, streitbar, schonungslos: Sebastian Baumgarten inszeniert am Theater Bremen Richard Wagners romantische Oper als Schauermärchen.

vonPeter Krause,

Das Theater Bremen kann sich rühmen, zum Wagner-Jahr die schaurigste, schwärzeste und schonungsloseste Version zu bieten, in welcher Der fliegende Holländer derzeit über Deutschlands Bühnen fegt. Und man muss hier gleich einen weiteren Superlativ hinzufügen: An der Weser ist auch die schnellstmögliche Version des ungestüm stürmischen Wagnerwerks zu hören. Nur gut zwei Stunden und zwölf Minuten benötigt Markus Poschner am Pult der Bremer Philharmoniker, eine gute Viertelstunde weniger als handelsübliche Fassungen. Der Generalmusikdirektor peitscht sein bestens präpariertes Orchester so furios durch die Partitur, dass man durchaus körperlich spüren kann, wie der Meister selbst einst auf der Überfahrt von Riga nach London um sein Leben fürchten musste und so zur wüst wogenden Musik seiner Oper um den verwünschten holländischen Seemann inspiriert wurde. Wohl wirkt die Zuspitzung des drängenden dramatischen Puls mitunter geradezu verhetzt, ein agogisches Atemholen oder das Nachlauschen einer Holzbläserfarbe, wie ein Christian Thielemann sie zu zelebrieren versteht, sind hier Fehlanzeige. Doch bezwingend ist diese musikalische Lesart gerade deshalb, weil sie perfekt zur theaterprall packenden Inszenierung von Sebastian Baumgarten passt. Der Abend lebt von musikalisch-szenischer Hochspannung, er hat den Unterhaltungswert eines schnell geschnittenen Hollywood-Schockers.

Überhaupt bestimmt, wie bereits in Baumgartens vorangegangener Bremer Regiearbeit über Webers Der Freischütz, die Ästhetik des Films nun auch den Holländer. Zumal der Stummfilm steht Pate. Mit weit aufgerissenen, diabolisch düster umränderten Augenhöhlen starrt uns Carsten Wittmoser als frankensteinfratzenhafter Holländer wie ein kaum mehr menschlicher Riesen-Roboter an. Seine scheintoten Kumpanen entsteigen als grotesk gespenstisch gestikulierende Lemuren der Bühnentiefe, Pickelhaube und Uniform lassen sie uns als eine versprengte Truppe aus der Marine von Kaiser Wilhelm II. erkennen – ein deutscher Holländer-Albtraum tut sich auf. Die dunkle Seite der (deutschen) Romantik und die Revolutionsbegeisterung von 1848 führen nach Baumgartens Geschichtsverständnis geradewegs in den Militarismus und Faschismus des 20. Jahrhunderts. Der handelsreisende Holländer und der geschäftstüchtige Daland auf ihrem Weg ums Kap der Guten Hoffnung stehen für das deutsche Streben, vom Kuchen der Kolonialisierung doch noch etwas abzubekommen. Da die Ergebnisse aber vergleichsweise mager waren, zettelte dieses Volk, so der Regisseur im Programmheft, dann hernach eben zwei Weltkriege an. Solche dramaturgischen Kurzschlüsse mit ihrer Behauptung einer simplen historischen Kausalität von der Romantik zum Führerkult halten schon einer kulturgeschichtlichen Expertise nicht stand. Sie führen Baumgarten dennoch zur Behauptung, der „Satan“, dem sich der Holländer verschreibt, sei nichts als der afrikanische Kontinent. Die Filmeinspielung eines kriegerischen Schwarzen im Holländer-Monolog des 1. Aufzugs zeigen diese gewagte Definition des Teufelspakts.

Obwohl Baumgarten sich hier gedanklich versteigt, gewinnt das Stück bei ihm gleichwohl seine ursprüngliche Qualität eines Schauermärchens zurück. Er stellt den jungen Wagner zu Recht in die Nähe der Trivialität des Kolportageromans des 19. Jahrhunderts, mit dem ein Karl May in jungen Jahren sein karges Brot verdiente, oder stellt ihn in die Tradition des holzschnitthaft spektakelnden Jahrmarkt- und Kasperletheater. Der Regisseur nutzt die Mittel des grellen Effekts, bezieht in den Videos dann eben auch die Erben der Kolportage ein: Die Abenteuer-, Western-, und Liebesfilme des 20. Jahrhunderts.

Und Baumgarten ist dabei alles andere als ein dümmlicher Wagner-Zerstörer. Hoch musikalisch – und sehr bewusst auch: dezidiert anti-psychologisch – setzt er den bösen Spuk in Szene. Zumal die rhythmische Brutalität der Chöre gewinnt an ungeahnter Schärfe: Besonders hellhörig legt er die dunkle Seite der Musik offen, zumal, wenn am Ende die blutsaugerische Holländer-Mannschaft die Daland-Leute brutal ausweidet. Da hätte eigentlich der unsentimental kadenzierende Schluss ohne das schon die Ouvertüre beschließende Erlösungsmotiv den Abend beenden müssen. Porschner und Baumgarten lassen hier dennoch die sehnsuchtsvorhaltssüchtig violinenumflorte Fassung spielen: Zur schaurig dunklen Seite der Romantik gehört eben auch ihre Verklärung. Dass der Regisseur letztere wiederum filmisch kommentierend als Kitsch entlarvt, ist nur konsequent. Diesen Holländer kann Senta nicht mehr erlösen.

Theater Bremen

Wagner: Der fliegende Holländer

Ausführende: Markus Poschner (Leitung), Sebastian Baumgarten (Regie), Bremer PhilharmonikerLoren Lang, Patrick Zielke, Patricia Andress, Agnieska Hauzer, Luis Olivares Sandova, Tamara Klivadenko, Christian-Andreas Engelhardt, Carsten Wittmoser

Termine: 22.09., 15:30 Uhr; 28.09., 19:30 Uhr; 04.10., 19:30 Uhr; 06.10., 18:00 Uhr; 13.10., 15:30 Uhr; 27.10., 18:00 Uhr; 03.11., 18:00 Uhr; 13.11., 19:30 Uhr; 26.11., 19:30 Uhr; 01.12., 19:30 Uhr; 13.12., 19:30 Uhr

Weitere Termine der Theater Bremen finden Sie hier.

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