Feuilleton

„Das ist wie Windeln wechseln”

Das Opernprogramm für Kinder und Jugendliche hat sich stark verbessert. Dazu beigetragen hat auch Elena Tzavara, Leiterin der Jungen Oper Stuttgart

© Christoph Kalscheuer

Szenenbild aus "Gold"

Gold/Oper Stuttgart

Stell dir vor, es gibt eine Oper und keiner geht hin. Um dieses Schreckgespenst zu vertreiben, leisten sich fast alle Opernhäuser inzwischen eine eigene Abteilung von Geisterjägern, gerne „Junge Oper“ genannt. Hier sollen Kinder und Jugendliche auf den späteren Ernstfall vorbereitet werden, indem sie schon früh in kleinen, gut verträglichen Dosierungen Opernluft schnuppern. Doch halt! Sind wir inzwischen nicht schon viel weiter?

© Matthias Baus

Elena Tzavara

Elena Tzavara

Für Elena Tzavara, die in dieser Spielzeit die Leitung der Jungen Oper Stuttgart übernommen hat und von 2009 bis 2013 in gleicher Funktion an der Kinderoper Köln tätig war, ist das Medium Kinder- und Jugendoper alles andere als eine Zuchtstätte für den Publikumsnachwuchs. „Oper für und mit jungen Menschen trägt die abendländische Kultur als Möglichkeit der Teilhabe an der Gesellschaft weiter. Darin besteht ein großes Potenzial, über das kaum geredet wird, weil viele Leute meinen, Kinderoper sei nur Oper in verkleinerter Form. Das stimmt aber nicht. Es gibt große Bestrebungen, die Kinderoper als eigenständiges Genre ernst zu nehmen.“

Wer also gleich an eine gekürzte Fassung von Humperdincks „Hänsel und Gretel” oder an die „Kleine Zauberflöte” denkt, wie sie allweihnachtlich auf den Spielplänen stehen, hat die Zeichen der Zeit offenbar verschlafen. Denn mit der heutigen Lebenswelt der Kinder haben diese Stücke kaum etwas zu tun. In Köln, Stuttgart, Mannheim oder Berlin, wo man dem jungen Publikum seit langem schon auf Augenhöhe begegnet, ist man deshalb immer auf der Suche nach neuen Stoffen, Stücken und Formaten – und hat vor allem eines nicht: Angst vor Überforderung.

Zeitgenössische Musik für Kinder? Kein Problem!

„Die Oper beansprucht alle Sinne gleichzeitig. Diese Komplexität ist gerade für Kinder ganz toll, weil sie damit gefordert werden. Sie saugen die Geschichte, die Musik, die visuellen Eindrücke auf wie ein Schwamm und sind in der Lage, alles zu verarbeiten“, weiß Tzavara auch aus der Erfahrung als Mutter eines neunjährigen Sohns. Und wo mancher Erwachsene mit ungewohnten Klängen hadert, gehen junge Zuhörer ganz unvorbelastet an die Sache heran: „Zeitgenössische Musik und schräge Töne sind in der Kinderoper überhaupt kein Problem. In Köln haben wir Ernst Kreneks „Das geheime Königreich” auf die Bühne gebracht. Das hat prima funktioniert.“

Genau wie die Jazz-Oper „Vom Fischer und seiner Frau” nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm, die 2010 in Köln uraufgeführt wurde und zu der „Sesamstraßen”-Komponist Ingfried Hoffmann die Musik beisteuerte.

© Paul Leclaire

Szenenbild aus "Der Fischer und seine Frau"

Der Fischer und seine Frau/Oper Köln

Das Kölner Modell funktioniert wohl auch deshalb so gut, weil hier die jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios auf der Bühne stehen und wertvolle Erfahrungen für ihren weiteren Berufsweg sammeln. „Sie lernen anhand der unmittelbaren Reaktionen der Kinder ihr Spiel besser einzuschätzen. Durch diese Schule sollten alle Opernsänger gehen. Das ist wie Windeln wechseln für Eltern: Bodenarbeit, bei der man sich beweisen muss“, findet Tzavara. Dennoch möchte die 39-jährige Regisseurin künftig Kindern noch mehr Partizipationsmöglichkeiten bieten und sie – etwa in Form von Projektchören – direkt in die Theaterarbeit mit einbinden. Solche Produktionen sind aufwändig und nicht an jedem Haus zu bewerkstelligen. Die Voraussetzungen in Stuttgart, wo man jährlich zwei bis drei eigene Opern für junges Publikum auf die Beine stellt, sind indes gut.

An der Hamburgischen Staatsoper verfolgte man das Prinzip der Partizipation mehr als zehn Jahre lang mit der Reihe „opera piccola“, in der fast ausschließlich Kinderdarsteller auftraten und Jugendorchester musizierten. Mit dem Intendantenwechsel wird die Reihe nun vornehmlich mit professionellen Sängern und Musikern weitergeführt. Dafür haben Intendant Georges Delnon und Generalmusikdirektor Kent Nagano die Klänge für die Kleinen zur Chefsache erklärt und werden bei der Neufassung der „Zauberflöte” von Johannes Harneit im April selbst die Regie und musikalische Leitung übernehmen.

Für Elena Tzavara genau das richtige Signal: „Das ist eine super Haltung und eine Riesenchance für die Junge Oper! Jede Strömung, die Kinder an Kultur heranführt, ist richtig und gut. Dafür müssen wir unsere besten Leute einsetzen.“

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