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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Maskerade

Maskenpflicht

(Frankfurt am Main, 31.10.021) Tobias Kratzer inszeniert Carl Nielsens komische Oper „Maskerade“ mit verblüffend leichter Hand, Titus Engel schwelgt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchesters lustvoll im Wechsel der Temperamente und Stile dieser großen Nationaloper der Dänen.

vonJoachim Lange,

Tobias Kratzer gehört zu den wenigen Regisseuren, bei denen man nicht vorhersagen kann, wie eine Inszenierung von ihm und seinem Dauerausstatter Rainer Sellmaier aussehen wird. Was man aber sicher voraussagen kann, das sind die Stringenz seines Zugriffs und die Qualität von dessen Ausführung. Das gilt für Stücke im gängigen Repertoire, aber auch für solche, die hierzulande nicht im Zentrum der Spielpläne stehen. Carl Nielsens (1865-1931) „Maskerade“, die er jetzt an der Oper Frankfurt mit Titus Engel am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und dem dortigen Ensemble auf die Bühne gebracht hat, gehört zu der letzten Gruppe. Diese Komische Oper in drei Akten aus dem Jahre 1906 steht in dem Ruf, die dänische Nationaloper zu sein. Sie ist außerhalb Dänemarks gleichwohl kaum bekannt. Eine Inszenierung von David Pountney bei den Bregenzer Festspielen vor über 15 Jahren steht ziemlich einsam da.

Sind Dänen heitere Menschen?

Wenn Nationaloper heißt, dass sie auch nur entfernte Rückschlüsse auf den kollektiven Charakter der Angehörigen einer Nation zulässt, dann wären die Dänen deutlich heiterer disponiert, als ihre südlichen Nachbarn. Da soll es ja angeblich der deutsche Wald und die Wolfsschlucht sein, die alles Heitere beim Selbstbild überlagern.

Martin G. Berger jetzt eine eigene deutsche Textfassung

Der Text von Vilhelm Andersen folgt einer Komödie des dänischen Molière Ludvig Holberg aus dem Jahre 1724, für die Martin G. Berger jetzt eine eigene deutsche Fassung erstellt hat. Er war der einzige, der beim Schlussapplaus ein paar vereinzelte Buhs dafür einstecken musste. Vielleicht war in seiner Version der eine oder andere Reim ein Spur zu gewollt, rutschte auch mal eine Blödelei um Ihrer selbst willen durch. Aber insgesamt bot er sprachlich nicht nur Reimexzesse, sondern einen komödiantischen Sound mit Retrocharme, der gut zur Musik passte, die ja auch zuweilen recht wendig ist und übermütig von einem Stil in einen anderen wechselt.

Szenenbild aus „Maskerade“
Szenenbild aus „Maskerade“

Punktgenaue Personenführung

Die Geschichte lebt von der Verwirrung, ist aber dennoch recht einfach gestrickt. Zwei junge Leute verlieben sich auf einem Ball, obwohl die Väter andere Heiratspläne mit ihnen haben. Aber wie es der Zufall (beim heimlichen Besuch einer der titelgebenden Maskeraden) so will, sind die in den Augen der Väter „Falschen“ am Ende dann doch für sich selbst und schließlich auch für die Eltern genau die „Richtigen“ und alles bewegt sich ausgelassen auf ein Happyend zu. Das trotz allem nach wie vor (ein paar sozialkritischer Seitenhiebe besonders des Kammerdieners gibt es – „Figaro“ lässt grüßen) etwas schmalbrüstige Libretto wird von Kratzer weder mit einer anderen Geschichte überschrieben, noch mit Bedeutungstiefsinn überfordert. Er lässt sich auf den leichtfüßig turbulenten Dreiakter ernsthaft ein, was bedeutet, dass er die Komödie mit souveräner leichter Hand bedient und zum Leuchten bringt. Obwohl er dabei auf jegliche Ausstattungsopulenz verzichtet, zündet das beim Publikum. Vor allem durch seine punktgenaue Personenführung, in die die von Kinsun Chan so witzig wie hochmusikalisch choreographierten vier Tänzerpaare und der ebenso bewegungsfreudige, von Tilman Michael einstudierte Chor integriert sind.

Im Strudel der Vergnügungen

Drei schlichte dunkelgraue Wände voller Türen begrenzen die Spielfläche. Die Übertitelungstafel mit dem wohltuend großen, also problemlos zu lesenden Texten, senkt sich ein paar mal ab und wird so zum Teil der Bühne. Ansonsten liefert die Tafel, wie mit ironischem Augenzwinkern, ein paar mal auch die Regieanweisungen mit. Halbnackte junge Leute in weißer Unterwäsche schlafen gleich zu Beginn offenbar ihren Rausch aus. Unter Ihnen auch der Heiratskanditat Leander (Michael Porter), dem sein Kammerdiener Henrik (Liviu Holender) verbunden ist, als wäre er Leporello. Der Kopenhagener Bürger Jeronimus (Alfred Reiter) hat die Rolle des miesepetrigen Spielverderbers, für den das Vergnügen, das die Maskeraden den jungen Leuten bereiten, eine Bedrohung seines Weltbildes ist. Klar, dass er natürlich bei der Suche nach dem ausgebüchsten Junior ebenfalls in den Strudel der Vergnügungen gerät.

Kunterbunt kostümiert

Beim Ball selbst zeigen die Spiegelverkleidungen der Türen nach innen. Das Personal hat sich jetzt (beim Maskenverkäufer Danylo Matviienko) kunterbunt kostümiert, jagt über die Bühne und lässt sozusagen die Sau raus. Wenn das Spiel von in dem Venus mit Mars fremdgeht, als Tanzpantomime aufgeführt wird, dann erleben wir das als eine getanzte Geschichte bei Jeronimus daheim. Also als seine Interpretation der Geschichte. Sonst geht es bei Kratzer diesmal immer recht eindeutig auf der einen Seite rein und auf der anderen wieder raus. Im Bündnis mit der neuen mitunter mit dosierten Anzüglichkeiten gespickten flott gereimten Übersetzung geizt das Personal auch nicht mit Sexappeal. Gut trainierte Männerkörper in Frauenkleidern inklusive.

Das Demaskieren des Maskenballs

Als sich beim großen Demaskieren am Ende des Maskenballs herausstellt, dass sich Leander mit Leonora (Monika Buczkowska) in genau die von Jeronimus und Leonores Vater Leonard (Michael McCown) vorgesehen Braut verliebt und schon
heimlich verlobt hat, muss der griesgrämige Jeronimus nicht mal seinen Widerstand aufgeben, weil der sich schlicht erledigt hat. Eher schon hat er damit zu tun, seine tanzgierige Ehefrau Magdelone (Susan Bullock), die natürlich auch (ganz so wie weiland in der „Fledermaus“) wie alle anderen maskiert auf dem Ball war, wieder für sich zu gewinnen.

Szenenbild aus „Maskerade“
Szenenbild aus „Maskerade“

Ein Opernspaß für trübe Zeiten

Titus Engel schwelgt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchesters geradezu lustvoll im Wechsel der Temperamente und Stile. Dennoch wird daraus eine einheitlich wirkende musikalische Melange. Mit einem ausladenden Dauerparlando, das über weite Teile des europäischen Musikerbes geschwebt ist und in dem man vieles wiederzuerkennen meint. Bis hin zu Anspielungen auf witzige Teile aus den „Meistersingern“ oder von „Falstaff“. An die Spielopern oder Operetten sowieso. Ein Opernspaß für trübe Zeiten ist dieser Abend allemal. Im bejubelten, spielfreudigen Ensemble konnten sich vor allem Liviu Holender als wendiger Diener, Susan Bullock als unternehmungslustige Mutter Magdelone und auch Michael Porter als Leander besonders profilieren.

Oper Frankfurt
Nielsen: Maskerade

Titus Engel (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühne & Kostüme), Joachim Klein (Licht), Kinsun Chan (Choreografie). Tilman Michael (Chor), Konrad Kuhn (Dramaturgie), Alfred Reiter, Susan Bullock, Michael Porter, Liviu Holender, Samuel Levine, Michael McCown, Monika Buczkowska, Barbara Zechmeister, Božidar Smiljanić, Danylo Matviienko, Gabriel Rollinson, Joel Stambke / Felix Schmidt, Yongchul Lim u.a., Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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