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Opern-Kritik: Anhaltisches Theater Dessau – Der Rosenkavalier

Wien-spezifische Zeitsprünge

(Dessau, 7.5.2022) Riesiger Jubel des Publikums für einen großen Abend: In Hugo von Hofmannsthals Figuren findet der Wiener Regisseur Michael Schachermaier typische Wiener Originale, wie es sie dort zu allen Zeiten gab, gibt und geben wird.

vonRoland H. Dippel,

Theater überboten sich früher in der 1911 an der Dresdner Hofoper uraufgeführten Komödie für Musik mit der Anhäufung von Bühnen-Nippes und gezierten Bewegungen. Dabei geht es im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal eher um die Vergänglichkeit und die Sichtbarmachung der die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg bedrängenden Gedanken über die Zeit. Aus der Grundsituation, dass ein junger Mann, eine Hosenrolle, in (Rück-)Verkleidung als Frau den toxischen Vermögensjäger Ochs von Lerchenau aus dem Feld schlägt und sich dessen Braut Sophie erobert, wird heute zudem das Genderfluide bedeutsam. Beides reizte den Wiener Regisseur Michael Schachermaier am Anhaltischen Theater Dessau an dieser wunderbaren Oper. Zum Schluss jubelte das Publikum fast eine Viertelstunde über einen Abend, der immer feiner und schöner wurde.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Alles Walzer

Im langen ersten Akt dominiert ab den Gedanken der Marschallin über die unerträgliche Leichtigkeit der Zeit die Philosophie und später die Brachialkomödie bis zum Happyend mit Fragezeichen. In Dessau verläuft die Lyrik-Kurve leicht anders, weil Schachermaier zum Ende hin immer mehr einfällt. Außerdem brauchte die im spätromantischen Repertoire bestens aufgestellte Anhaltische Philharmonie etwas, um vom korrekten Musizieren in die Leichtigkeit, aber auch das irrlichternd Schäbige von Richard Strauss‘ Partitur einzudringen. Dieser kreierte bekanntermaßen eine Kunstklangwelt außerhalb der historischen Wirklichkeit. Der Walzer und nicht das Menuett wird bei Strauss zum Signum eines Wien nach 1740. In die Schönheitstrunkenheit schleicht sich manchmal doch Atonales, und Liebe findet Erfüllung im Morbiden. Die Entwicklungsnovelle der Titelfigur Octavian beginnt mit einer viril aufjauchzenden Trompete und endet im hybrid verfeinerten Volkston, bei dem das Dessauer Orchester am Premierenabend fast wie ein Cymbal klang.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Wien, Wien, nur du allein…

In Hugo von Hofmannsthals Figuren findet Michael Schachermaier typische Wiener Ortsoriginale, wie es sie dort zu allen Zeiten gab, gibt und geben wird. Deshalb unternahmen Karl Fehringer und Judith Leikauf mit ihm in Strauss‘ und Hofmannsthals ästhetischem Artefakt eine dreieinhalbstündige Zeitreise. Das Schlafzimmer der Marschallin findet sich auf einer Theaterbühne im 18. Jahrhundert. Die Rosenüberreichung und der Heiratshandel spielen in der Wiener Moderne, wenn die Sezession allmählich Einfluss auf die Mode gewinnt. Hier und dort erlebte man Michael Tews als einen durchaus attraktiven Ochs von Lerchenau, der nur beim Heiratsprojekt mit Sophie von Faninal kräftig daneben greift und bei der nächsten guten Partie sicher erfolgreicher ist. Seine wegen ihrer drastischen Fast-Zotigkeit oft gemiedenen Stellen wurden in Dessau nicht gestrichen. Zu allen gezeigten Zeiten machen die Kostüme von Jessica Rockstroh etwas her. Das Tête-à-tête mit dem als Mariandl in Frauenkleidern auftretenden Grafen Octavian treibt den ahnungslosen Verführungsroutinier Ochs in einen Travestie-Schuppen. Und im Prater gibt die Marschallin ihrem Octavian schließlich den liebenswürdigen wie melodienseligen Laufpass. Nie macht Schachermaier vergessen, dass es sich um Theater handelt. Anstelle des heute heiklen Mohrenknaben Mohammed zieht ein artistischer Harlekin (Pjotr Kajdanski) die Fäden. Er bringt neben der berüchtigten silbernen Rose eine echte Rose in Spiel, schließt Vorhänge und schiebt zusammen, was zusammengehören sollte. Harlekins rote Rose blüht so authentisch wie die nie geziert wirkenden Seelenzustände der Figuren.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Vitale Menschen

Die junge Sophie von Faninal gerät plastisch, drastisch und vitaler als in vielen Inszenierungen, die mit der Coming-of-Age-Story der frisch entlassenen Klosterschülerin wenig anzufangen wussten. Ania Vegrys Stimme leuchtet in den hohen Silberpassagen intensiv. Trotzdem bleibt auch in Dessau die Marschallin im Zentrum. Iordanka Derilova legt die Figur sehr kontrastierend an, an den Polen von Belcanto und Philosophie. „Jedes Ding hat seine Zeit“ und „Leicht muss man sein…“ singt sie berückend und sinnlich. Gewinnend pikant und tiefgründig für eine italienisch geführte Stimme gerät ihr Umgang mit Strauss‘ Parlando. Mit präzisen Konsonanten und motiviertem Nachdruck hält sich Iordanka Derilova an die feinen Notenwerte, selbst wenn das Orchester Strauss‘ eigenwillige Rokokophantasie mit äußerst gut gemeinter Deutlichkeit ins Volle treibt. Markus L. Frank wird im Laufe des Abends immer lockerer und damit besser, im dritten Akt kommt es in der Krawall- und Krawattl-Szene zur vollkommenen Harmonie von Regie und Dirigat. Michael Schachermaier fühlte sich im von ihm mit viel Detailliebe reanimierten Milieu von Falco – ja, der Kommissar kommt auch – und früher Wolf-Haas-Krimis spürbar am wohlsten. Schön, dass Sylvia Rena Ziegler bei der Demaskierung des Grafen Octavian Rofrano so beherzt mitmacht: Beim Abschied von der Marschallin wird klar, dass er genau so werden wird wie alle anderen Männer, was der Marschallin echt leid tut. Octavians Dreispitz und Epauletten verrutschen bei diesen nur gut gemeinten Lebenswahrheiten. Im dritten Akt passt er mit Krawatte und zu großem Sakko, davor im roten Kleid ideal ins Aufschneider- und Aufreißer-Milieu der Donaumetropole. Mit den Stimmen von Iordanka Derilova und Ania Vegry harmoniert Sylvia Rena Zieglers hoher Mezzo ideal. Und schließlich ist der Prater mit Sternenhimmel und Diskokugel der ideale Schauplatz für den paradiesischen Zeitstopper des Findungs- und Entsagungsterzetts.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Eine Feier der Ensemblekultur

Für alle Partien hat das Anhaltische Theater sehr gute Besetzungen im Ensemble und im Chor: Kay Stiefermann charakterisiert hervorragend den neureichen Faninal, Cornelia Marschalls distinguierte Leitmetzerin schillert fast so klar wie Sophie. Rita Kapfhammer ist eine Intrigantin Annina in Schwarz und blauen Strümpfen, die Ochs beim großen Walzer nur zu gern unter seine Eroberungen einreihen würde. Jeff Martin bleibt als Valzacchi trocken und überaus präsent im Hintergrund. Costa Latsos singt die Arie des italienischen Tenors in toskanarotem Licht, das die Figuren in bleierne Zeitlupe bringt. Als Lakaien und Ochs krachlederner Tross glänzt der Chor des Anhaltischen Theaters. Sebastian Kennerknecht hält die hier vor allem geforderte Herrentruppe gut in Schuss. In der genüsslich ausgebreiteten Direktheit strahlt „Der Rosenkavalier“ hier mit allem, was zählt – in temporärer Melancholie, drastischem Witz und federleichter Wortmagie. Danach gab es die erste öffentliche Premierenfeier seit über zwei Jahren.

Anhaltisches Theater Dessau
Strauss: Der Rosenkavalier

Markus L. Frank (Leitung), Michael Schachermaier (Regie), Karl Fehringer & Judith Leikauf (Bühne), Jessica Rockstroh (Kostüme), Felix Losert (Dramaturgie), Iordanka Derilova, Michael Tews, Ania Vegry, Sylvia Rena Ziegler, Kay Stiefermann, Cornelia Marschall, David Ameln / JeffMartin, Rita Kapfhammer, Costa Latsos, Opernchor und Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Anhaltische Philharmonie

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