Opern-Kritik: Gärtnerplatztheater – Rigoletto

Verbotenes Begehren

(München, 30.1.2020) Das Schockmoment von Verdis einst zensiertem Melodramma wird dank der Inszenierung von Herbert Föttinger, gefeierten Sängern und Dirigent Anthony Bramall packend erfahrbar.

© Christian POGO Zach

Christoph Seidl (Graf von Monterone), Aris Argiris (Rigoletto)

Christoph Seidl (Graf von Monterone), Aris Argiris (Rigoletto)

Böse, kantig, plausibel. Der neue „Rigoletto“ im Münchner Gärtnerplatztheater findet zur traurigen Wahrheit in Verdis temporeichem Geniestreich: Mit starken Sängerleistungen und unschönen Bildern, die gegen Ende vor einer leerstehenden Tankstelle geringfügig abflachen. Auf der Bühne spart man nicht an erogenen Stimulanzien, im Orchestergraben nicht an zügigen Tempi. Insgesamt wird das Schockmoment, welches Verdis Melodramma in Venedig 1851 auch in der durch Druck der Zensur gemäßigten Bearbeitung des Librettos beinhaltete, also packend erfahrbar. Das ist viel angesichts der Popularität dieser Oper, in der sich trotz Verdis Schroffheiten auch wohlig schwelgen ließe.

Mord an der Tankstelle

© Christian POGO Zach

Levente Páll (Sparafucile), Valentina Stadler (Maddalena)

Levente Páll (Sparafucile), Valentina Stadler (Maddalena)

Herbert Föttingers Figurenzeichnung geriet weitaus stringenter als das Bühnenbild: Walter Vogelweider setzte ein betongraues Konstrukt, einem Museumsbau aus den späten 1980ern nicht unähnlich, auf die Drehscheibe. Bei einigen Bögen mit dicken Gläsern schlief die zuständige Behörde offenbar und ließ den Auftraggebern einige Geschmacksentgleisungen durchgehen. Dieser Bau ist Partyzone, Klosterzelle und die Absteige des Auftragsmörders Sparafucile, welcher nach vollbrachter Tat die Waffe im Müll entsorgt, die Tanksäule sorgfältigst poliert und durch Levente Páll zum zuverlässigsten Saubermann im Stück wird. Der in Victor Hugos Tragödie „Der König vergnügt sich“ und Verdis Opernadaption bucklige Narr überragt hier alle an Größe und Stimmvolumen.

Aris Argiris strahlt vom ersten bis zum letzten Takt mit markantem Bariton, hat eine schier unerschöpfliche Kondition für glanzvolle Töne und schont sich auch nicht in den dramatischen Rezitativen. Auf den zweiten Blick erst bemerkt man das Stützkreuz, das Rigoletto trägt. Dieser praktiziert die vollkommene Trennung zwischen seiner Arbeit als zynischer Zeremonienmeister in lila Samt mit Clownsgesicht bei Hofe und bei Gilda als überprotektiver Bürger im unauffälligen Sakko.

Figuren von heute

© Christian POGO Zach

Gyula Rab (Borsa Matteo), Daniel Gutmann (Marullo), Holger Ohlmann (Graf von Ceprano), Aris Argiris (Rigoletto), Alexandros Tsilogiannis (Herzog von Mantua) Herrenchor

Gyula Rab (Borsa Matteo), Daniel Gutmann (Marullo), Holger Ohlmann (Graf von Ceprano), Aris Argiris (Rigoletto), Alexandros Tsilogiannis (Herzog von Mantua) Herrenchor

„Die tote Stadt“ ist nicht fern: Mit nervösem Zittern und stierem Blick verrät Rigoletto neurotische Obsessionen, die väterliche Gefühle überlagern. In den großen Duetten gilt seine Erregung nicht nur der ersehnten Rache. Ist es ein Film in Rigolettos Kopf, wenn Gilda und die Prostituierte Maddalena sich dem Herzog zeitgleich in die Arme werfen? In dieser Inszenierung agieren Figuren von heute. Also ist Gilda kein Unschuldsengel, wenn sie sich opfert, um das Leben des von ihr begehrten Herzogs zu retten. Von diesem Mann will sie den zärtlichen Rausch, nicht nur seine ewige Liebe. Deshalb empfindet Gilda gegen Maddalena (samtig statt verrucht: Anna-Katharina Tonauer) keine Verachtung, sondern erotischen Neid. Jennifer O’Loughlin singt diese Paradepartie mit kräftig-vollem Ton und imponierender Energie: Gilda wird durch sie vom passiven Opfer zu einer standfesten jungen Frau, die hinter Brillengläsern mehr weiß und kann, als sie zugeben darf.

Alkoholisierter Frauenversteher

© Christian POGO Zach

Holger Ohlmann (Graf von Ceprano), Alexandros Tsilogiannis (Herzog von Mantua), Gyula Rab (Borsa Matteo), Daniel Gutmann (Marullo), Herrenchor

Holger Ohlmann (Graf von Ceprano), Alexandros Tsilogiannis (Herzog von Mantua), Gyula Rab (Borsa Matteo), Daniel Gutmann (Marullo), Herrenchor

Oft scheitern „Rigoletto“-Produktionen daran, dass der Menschenverschleiß des Herzogs von Mantua und dessen Strohfeuer-Liebe für Gilda keine stimmige Figur ergeben. Bei Föttinger werden diese Widersprüche zum spannenden Angelpunkt und Verführung zum Sport. An erlegte Trophäen wie die willige Gräfin Ceprano (Elaine Ortiz Arandes) oder die mit Alkohol und K.O.-Tropfen zugedröhnten Party-Miezen macht der Herzog sich nicht selbst, sondern überlässt sie seinen trotz Verrohung wie aus dem Ei gepellten Paladinen.

Es sind die korrekt sitzenden Anzüge von Alfred Mayerhofer, mittels derer der stark besetzte und stark-stimmige Herrenchor zeigen kann, wie aus Funktionsträgern Tiere werden. Das Ballbild gerät zur Studie über Machtmissbrauch und Hedonismus. Kein Wunder, dass der Herzog ausbricht. Lucian Krasnec ist Frauenversteher und Misanthrop: Weil sich Gilda im Klosterhof einen bodenständigen Studenten wünscht, lässt er das vorbereitete Champagner-Gedeck verschwinden. Mit Lust rotzt Krasnec ordinäre Töne heraus und bleckt mit seinem kerligen Kavalierstenor, der sogar die von Alkohol umnebelte Anmache veredelt. „La donna è mobile!“ – eine Glanzleistung!

Motorische Verdi-Klänge

© Christian POGO Zach

Ilia Staple (Gilda), Aris Argiris (Rigoletto)

Ilia Staple (Gilda), Aris Argiris (Rigoletto)

Schade, dass es in dieser Produktion die üblichen Striche gibt, zumal Regie und musikalische Leistung das Potenzial zu deren spannungsgeladenem Ausbau gehabt hätten. Die Verdi-Farben von Anthony Bramall und dem Gärtnerplatz-Orchester changieren zwischen eisig und eisern. Sogar in den intimen Szenen pocht und poltert es unerbittlich. Alle Stimmen, auch der von Pietro Numico auf Diktierschärfe eingeschworene Chor, werden getrieben durch eine straffe Motorik, was bei etwas mehr ausbalancierter Dynamikstaffelung noch bezwingender wäre.

Auch die Nebenrollen sind sehr gut und treffend besetzt, allen voran Christoph Seidl als fluchgewaltiger Monterone, Ludwig Mittelhammer als Marullo und Ann-Katrin Naidu als bestechliche Aufseherin Giovanna. Mit rhetorischen und inhaltlichen Ohrfeigen rebellierte Victor Hugo gegen klassizistische Dramen-Blässe. Im „Rigoletto“ des Gärtnerplatztheaters zeigt sich deutlich, wie Verdi mit Hugos Sujet die romantische Formensprache des Belcanto in raues Sackleinen hüllte und mit einem Haufen defragmentierter Szenenmodelle revolutionierte. Begeisterter Applaus.

Gärtnerplatztheater München
Verdi: Rigoletto

Anthony Bramall (Leitung), Herbert Föttinger (Regie), Karl Alfred Schreiner (Choreografie), Walter Vogelweider (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Michael Heidinger (Licht), Raphael Kurig, Meike Ebert (Video), Pietro Numico (Chor), Fedora Wesseler (Dramaturgie), Lucian Krasznec (Herzog von Mantua), Aris Argiris (Rigoletto), Jennifer O’Loughlin (Gilda), Levente Páll (Sparafucile), Anna-Katharina Tonauer (Maddalena), Christoph Seidl (Graf von Monterone), Ann-Katrin Naidu (Giovanna), Ludwig Mittelhammer (Marullo), Gyula Rab (Borsa Matteo), Holger Ohlmann (Graf von Ceprano), Elaine Ortiz Arandes (Gräfin von Ceprano), Martin Hausberg (Ein Gerichtsdiener), Caroline Adler (Ein Page der Herzogin), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Sehen Sie hier den Trailer zu „Rigoletto“:

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