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Verdi: Rigoletto

In Verdis Oper „Rigoletto“ wird der Außenseiter am Ende rehabilitiert und zerbricht letztendlich doch an seinem Leid

vonJulia Hellmig,

Wir befinden uns im Mantua des 16. Jahrhunderts. Mit spitzer Zunge kommentiert Rigoletto, der von allen verhasste bucklige Narr des Herzogs von Mantua, die amourösen Abenteuer seines Herrn. Er verspottet gern die verprellten Ehemänner oder wahlweise auch die betrogenen Väter der jeweiligen Errungenschaften des Herzogs. Man kann sagen, dass er am Hof ein regelrechtes Terrorregime errichtet hat. Dabei hütet er, der bucklige Außenseiter, zuhause sein größtes Geheimnis: seine schöne Tochter Gilda. Diese hofft er abgeschirmt und fernab von der vergnügungssüchtigen Gesellschaft erziehen zu können. Bei der Gestaltung dieser Figur knüpft Verdi an die größenwahnsinnigen Herrschergestalten seines Frühwerks an, wie beispielsweise in „Nabucco“ oder„Macbeth“.

Der besorgte Vater versucht seine Tochter zu schützen

Doch letztendlich kann Rigoletto seine Tochter nicht vor ihrem Schicksal bewahren. Denn als wiederum die Tochter eines Grafen, des Grafen Monterone, vom Herzog von Mantua entehrt wird – und daran ist Rigoletto keineswegs unschuldig – verhöhnt er den Grafen auch noch dafür. Daraufhin wird Rigoletto vom Grafen kurzerhand verflucht. Daher rührt auch der ursprüngliche Titel der Oper: „La maledizione“ (Der Fluch). Mit diesem Fluch des Grafen Monterone gegen den hochmütigen Rigoletto beginnt die Oper.

In seinem ersten großen selbstinszenierten Auftritt, tritt Rigoletto als Herrscher selbst auf. Damit prangert er letztendlich auch hintergründig die Willkürherrschaft des Herzogs an. Die schillernde Figur spiegelt die Erfahrung einer nachrevolutionären Generation der Kinder der Revolution wieder. Victor Hugo, dessen Drama „Le Roi s’amuse“ (Der König amüsiert sich) Verdi als Vorlage diente, hat sich regelrecht als Kind der Revolution verstanden. Sein Name Victor („Sieger“) wurde von seinem Vater als Vorbote der siegreichen Ideale der Revolution gewählt. Seine Mutter hingegen war eine Royalistin, also gegen die Revolution eingestellt. Hin und hergerissen ist nun auch Rigoletto. Er ist eine Zwittergestalt zwischen Revolution und Restauration, quasi in schon fast einer Dr. Jeckyl und Mr. Hyde Situation, die immer auch ein Stück weit Selbstporträt von Victor Hugo darstellt.

Szene des Quartetts "Bella figlia dell'amore". Zeichnung von Roberto Focosi auf dem Erstausgabe des Klavierauszugs 1852
Szene des Quartetts „Bella figlia dell’amore“. Zeichnung von Roberto Focosi auf dem Erstausgabe des Klavierauszugs 1852

Rigolettos Doppelleben ist lebensferne Utopie

Rigoletto kann seine Tochter Gilda also nicht vor den Verlockungen des Herzogs schützen. Er realisiert vielmehr, dass sein Doppelleben eine lebensferne Utopie war. Ein Doppelleben deshalb, weil er zum Schluss kommt, dass niemand gleichzeitig Teil des Räderwerks eines so menschenverachtenden Systems sein kann und dabei gleichzeitig sein Privatleben komplett ausklammern kann.

Dass Victor Hugos Versdrama „Le roi s’amuse“ – also Verdis Opernvorlage – sofort nach der Premiere verboten worden war, schreckte Verdi nicht ab. Dafür bekam es der Komponist nun aber mit der österreichischen Zensur zu tun, die damals die Kontrolle über die norditalienischen Theater hatte. Das Urteil über das Stück lautete schlicht: „Ekelhafte Amoralität und obszöne Trivialität!“

Kein Ärger mit der Zensur

Enrico Caruso als Herzog von Mantua in "Rigoletto"
Enrico Caruso als Herzog von Mantua in „Rigoletto“

Verdi war sich bewusst, dass er bei der Stückauswahl Ärger mit der Zensur bekommen würde. Dennoch gelang es ihm erstaunlicherweise, seine Oper ohne wesentliche Eingriffe in die Dramaturgie von Victor Hugo zu einer umjubelten Premiere zu führen. „Rigoletto“ wurde noch im Jahr der Uraufführung an sämtlichen italienischen Opernhäusern nachgespielt. Es war also quasi der erste „Welterfolg“ einer Oper. Nach dieser beispiellosen Erfolgsgeschichte, die bis heute international zu den meistgespielten Werken des Repertoires zählt, ist es gar nicht so leicht, sein eigentliches Skandalon noch zu entdecken.

Das liegt daran, dass die Handlung oftmals verkürzt wird: Auf einen Außenseiter – den buckligen Narren – der am Ende rehabilitiert wird als leidender Mensch und auch liebender Vater. Bedingung des Menschseins im Theater Victor Hugos ist der Kontrollverlust von Körper und Seele, die Spaltung, die Verzerrung der Selbstwahrnehmung. Aber die Aussage dieses Stückes ist in Wahrheit doch weitaus beunruhigender, denn sie lautet nicht einfach: Auch das vermeintliche Monster ist ein Mensch – sondern der Mensch ist ein Monster.

Die wichtigsten Fakten zu Giuseppe Verdis „Rigoletto“:

Besetzung: Herzog von Mantua (Tenor), Rigoletto, sein Hofnarr (Bariton), Gilda, dessen Tochter (Sopran), Giovanna, Gildas Gesellschafterin (Alt), Graf von Monterone (Bariton), Graf Ceprano (Bariton), Gräfin Ceprano (Sopran), Marullo, ein Kavalier (Bariton), Borsa, ein Höfling (Tenor), Sparafucile, ein Mörder (Bass), Maddalena, dessen Schwester (Mezzosopran), Höflinge (Herrenchor)

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden

Die Uraufführung von „Rigoletto“ fand am 11. März 1851 am Teatro La Fenice in Venedig statt.

Referenzeinspielung

Album Cover für Verdi: Rigoletto

Verdi: Rigoletto

Piero Cappuccilli, Ileana Cotrubas, Plácido Domingo, Elena Obraztsova, Nicolai Ghiaurov, Kurt Moll, Hanna Schwarz, Wiener Philharmoniker, Carlo Maria Giulini (Leitung)
Deutsche Grammophon

Detailgetreu und stilsicher zeigen sich die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Carlo Maria Giulini hier in Verdi-Hochform. Glanzvoll, präzise und energiegeladen setzten sie statt auf vordergründige Effekte lieber auf Tiefe, die die Psyche der einzelnen Figuren gekonnt in allen Einzelheiten ausleuchtet. Ileana Cotrubas singt die Rolle der verletzlichen und jugendlichen Gilda überaus glaubhaft. Piero Cappuccilli brilliert als besorgter Vater stets perfekt vorbereitet und überaus ausdrucksvoll in der Rolle als Rigoletto.

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Präludium

(UA Venedig 1851) „Situazioni potentissimi!“, rief Verdi begeistert – „kraftvolle Situationen!“ Es schreckte ihn nicht ab, dass das Versdrama „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo gleich nach der Premiere in Frankreich verboten worden war – dafür bekam er es nun mit der österreichischen Zensur zu tun: Ein lüsterner Herzog, der sich nachts inkognito herumtreibt? Die Leiche eines Mädchens in einem Sack? Ein Krüppel auf der Bühne? „Ekelhafte Amoralität und obszöne Trivialität!“, lautete das Urteil. Rigoletto, der missgestaltete Hofnarr, ist ein amoralischer seelischer Krüppel: Er verhöhnt Graf Monterone, der die Entehrung seiner Tochter durch den Herzog von Mantua anprangert, versucht aber seinerseits, die ängstlich gehütete eigene Tochter Gilda vor gleichem Schicksal zu bewahren … Mit dem Fluch des Monterone gegen den hochmütigen Rigoletto beginnt die Oper – ein düsteres Blechbläserthema, das Rigoletto nicht vergessen kann … Gegensätzliche kraftvolle Situationspaare: – die glänzende Festszene – mit einer „Banda“ (eine Militärkapelle hinter der Bühne) und das zwielichtige Gespräch zwischen Rigoletto und dem Meuchelmörder Sparafucile  – Cello und Kontrabass singen dazu eine böse Melodie, – das väterlich besorgte Duett Rigolettos mit Gilda, die ihm ihren Verehrer verheimlicht, und das ungestüme Liebesduett Gildas mit dem armen Studenten Gualtier Malde (alias der Herzog), – der perfide Chor der Höflinge, die Gilda entführt haben, und die verzweifelte Arie des Rigoletto, der seine Tochter sucht – sie wird eine Tür weiter vom Herzog verführt, – das „klassische“ Quartett im nächtlichen Mantua – Verdi probte es einhundertfünfzigmal, und die wilde Gewitterszene – mit schaurigen Chorvokalisen im Hintergrund, die das Heulen des Sturms und das Unheilvolle des Geschehens ausdrücken. Die berühmte Tenorarie La Donna e mobile fügte Verdi erst kurz vor der Premiere ein – die Spatzen sollten sie nicht schon von den Dächern pfeifen. Rigoletto wurde noch im Jahr der Uraufführung an sämtlichen italienischen Opernhäusern nachgespielt, es folgten Buenos Aires, New York, Tiflis, Braunschweig, Alexandria und Konstantinopel – es war der erste „Welterfolg“ einer Oper! (Mathias Husmann)
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