Intimer, exotischer Lyrismus und effektvoll rigorose Massenszenen – eingebettet in eine melancholisch-nostalgische Geschichte. Georges Bizets „Die Perlenfischer“ ist gewiss kein Werk, das durch erzählerische Tiefenschärfe hervorsticht. Vielmehr handelt es sich um ein Stück, das – durchaus bemerkenswert für das 19. Jahrhundert – die Freundschaft zweier Männer ins Zentrum rückt und zeigt, wie ihre beiderseitige Liebe zu derselben Frau dieses Band zu zerreißen droht.
Dass die Handlung im damaligen Ceylon angesiedelt ist und Bizets Musik – französisch geprägt, der Grand Opéra nicht fern – mit der tatsächlichen Lebensrealität vor Ort ebenso wenig gemein hat wie seine „Carmen“ mit der Welt der spanischen Gitana, liegt auf der Hand. Warum also eröffnen die Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden ausgerechnet mit diesem exotistischen Spannungsfeld? Möglicherweise, weil es keines ist. Weil die Musik bestechend schön ist – und weil die verhandelten Themen universelle sind: Freundschaft, Liebe, Treue.

Allgemeingültiges Regiekonzept
Genau diesen überzeitlichen Gehalt verortet das Künstlerkollektiv FC Bergman, das sich mit den „Perlenfischern“ erstmals auf das Terrain der Oper wagte, in einem bedrückenden Altenheim. Das Libretto bietet hierfür eine geradezu überraschend stimmige Grundlage, die das Kollektiv klug nutzt. Die Farbpalette – Weiß, Grau, Beige und Mauve – wirkt ausgelaugt, Laternenlicht fällt kalt von der Decke. Die seelische Erosion der Heimbewohner spiegelt der Chor, indem er das Dorf als Ort des Sterbens benennt. Zusammenbrechende Senioren und ein offengelegter Leichensaal untermauern das Geschehen eindrücklich.
Dem gegenüber stehen Zurga und Nadir, nun alte Männer, die mit Wehmut und lebendiger Sehnsucht auf ihre Jugendfreundschaft und die geteilte Liebe zu Leïla zurückblicken. Ihr Erscheinen setzt einen Verjüngungsprozess in Gang. Die Protagonisten brechen immer häufiger aus ihrer Welt der Rückschau aus und treten hinein in das Bild ihrer Vergangenheit.

Sängerische Stärken, aber auch Schwächen
Gesanglich überzeugt am Eröffnungsabend vor allem Elena Tsallagova. Ihr warmer Sopran ist charakteristisch und einnehmend. Die Phrasierung der fließenden Lyrik in Bizets Rezitativen gelingt ihr mit Bravour. Mit durchdringender Präsenz verkörpert sie sowohl die gebrechliche Leïla im Rollstuhl als auch deren jugendliche Erscheinung. Ihre Koloraturen – feinfühlig und nie affektiert – werden vom Publikum zu Recht gefeiert.
Kartal Karagedik bleibt hingegen stimmlich hinter den Erwartungen zurück. Zwar gelingt es dem Bassbariton, die Figur des gealterten Zurga glaubhaft darzustellen, doch bleibt seine Stimme phasenweise kraftlos und wenig nuancenreich. Marc Laho hingegen findet als Nadir eine passende Balance zwischen Verklärung und Realismus. Sein Tenor vermeidet allzu lyrische Sentimentalität und betont eher ein dunkles Timbre. Lediglich in der berühmten Romanze „Je crois entendre encore“ bereiten ihm die wenigen exponierten Sprünge Schwierigkeiten.

Lebendiges Dirigat
Am Pult überzeugt Chin-Chao Lin mit einem unverstellten, enthusiastischen Blick auf die Partitur. Sein Dirigat bleibt stets feinsinnig und durchdacht, ohne in eklektische Beliebigkeit zu verfallen – das Resultat ist ein erfrischend jugendliches Klangbild.
Die „Wiesbadener Perlenfischer“ sind ein gelungener Versuch, sich dem heiklen Thema exotischer Archaik in der Oper szenisch klug und zeitgemäß zu nähern. Doch gerade für die Eröffnung der Maifestspiele mangelt es der Inszenierung an Farbe, an jener frühlingshaften Aufbruchsstimmung, die man sich im Mai erhofft. So durchdacht und berührend die Reflexion über das Vergehen des Lebens auch sein mag – gerade jetzt möchte man sich ihr vielleicht nicht stellen.
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Bizet: Les Pêcheurs de perles (Die Perlenfischer)
Chin-Chao Lin (Leitung), FC Bergmann (Regie, Bühne & Lichtdesign), Judith van Herck (Kostüme), Joé Agemans & Oliver Porst (Licht), Albert Horne (Chor), Kartal Karagedik, Elena Tsallagova, Marc Laho, Eugene Richards III, Bianca Zueneli, Jan Deboom, Patrick Vermeulen, Chor des Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Termintipp
Sa., 03. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Bizet: Die Perlenfischer
Internationale Maifestspiele Wiesbaden
Termintipp
Mo., 05. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Bizet: Die Perlenfischer
Internationale Maifestspiele Wiesbaden