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Opern-Kritik: Hochschule für Musik und Theater Hamburg – La clemenza di Tito

Hamburgs alternative Clemenza

(Hamburg, 12.5.2024) An der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bringen die Studierenden der Opernklasse Mozarts „La clemenza di Tito“ mit schlichter Sachlichkeit auf die Bühne des Forums. Als Chor zu einer verblüffenden Einheit findend, sind vor allem die solistischen Fähigkeiten der Protagonisten des Tito, Changwook Jang, und des Sesto, Mengying Jia, hervorragend.

vonKlaus Fuchs,

Genau zwei Wochen nachdem die Staatsoper Hamburg eine musikalisch herausragende, doch wenig mitreißende Inszenierung des gleichen Stoffes vorgelegt hatte, feierte die Hochschule für Musik und Theater Hamburg am Sonntag die Premiere zu ihrer großen Sommerproduktion „La clemenza di Tito“, die im Forum an der Milchstraße noch bis zum 5. Juni zu erleben sein wird . Wo am Gänsemarkt zweifelhaftes Regietheater dazu führt, dass sich der großherzige Milde zeigende und dafür mit Verrat gestrafte Tito am Schluss der Oper am liebsten selbst eine Kugel ins Hirn pusten möchte, profitiert die Hochschule nicht zuletzt von der intimeren Atmosphäre des bei voller Bestuhlung keine fünfhundert Sitzplätze fassenden Forums.

Unter dem Dirigat von Willem Wentzel, der als Professor für Musikalische Leitung am Haus wirkt, gelingt den Symphonikern Hamburg ein erfrischender und schnörkelloser Mozartklang, der vor allem als Brücke zwischen den Studierenden und dem Publikum fungiert. Schon die Ouvertüre gleicht bei all ihrem Paukenwirbel und Trompetenschall, dank akzentuierter, aber dennoch weich abgerundeter Phrasierung, einer herzlichen Einladung ins Stück. Allen voran ist es Fausto Nardi am Cembalo zu verdanken, der mit einem achtsamen Accompagnato auf die eigenwillige Rezitativtechnik der Studierenden Rücksicht nimmt, dass Musik und Gesang so vortrefflich zueinander finden.

Szenenbild zu „La clemenza di Tito“
Szenenbild zu „La clemenza di Tito“

Die Ambivalenz der Titelrolle

Changwook Jang, der als einziger in dieser Hochschul-„Clemenza“ den Tito gibt (alle anderen Partien sind doppelt besetzt), schultert die Verantwortung seiner Unersetzbarkeit spielerisch und gekonnt. Die cremige Stimmfarbe des jungen Tenors schmiegt sich lückenlos in das Klangbild der Symphoniker ein, was bereits die galante Auftrittsarie „Del più sublime soglio“ unter Beweist stellt und in Fragen der Virtuosität in der Schlussarie „Se all’impero, amici Dei“ Ergänzung findet.

Mengyin Jia als Sesto stellt indes die Bedeutung Jangs als Primo Uomo in Frage. Die Mezzosopranistin fühlt sich in der Rolle des Freunds Titos und Intrigant gegen diesen gut ein. Ihre schauspielerische Unterwürfigkeit und Missgunst bei zeitgleicher Reue sind überzeugend. Gesanglich sitzen die Koloraturen dabei sehr gut, wie allein die Arie „Deh, per questo istante solo“ zeigt, in der Sesto um Gnade bittet. Jias starke Interpretation legt nahe, dass die Oper womöglich noch besser „Sesto“ heißen könnte.

Szenenbild zu „La clemenza di Tito“
Szenenbild zu „La clemenza di Tito“

Als Ensemble besonders stark

Die wahre Stärke des Ensembles ist allerdings die Interaktion als Kollektiv. Mag jeder seine solistischen Vorzüge aufweisen, wie der mit kristallklarer Artikulation des Italienischen gesegnete Volodymyr Milushkin (Publio) oder Esther Barski, die in der Rolle von Sestos Freund Annio das Quartett der männlichen Rollen charakterstark komplettiert – als Chorsänger (auch die andere sängerische Besetzung wirkt chorsolistisch mit) harmonieren diese gut zusammen und füllen das Forum mit einem Volumen aus, dass einem größeren Chor in der Wirkung nur wenig nachsteht. Das verzeiht auch die ambitionierte Stimmgewalt von Julia Siegwart, die als Vitellia die eigentliche Strippenzieherin hinter den Umsturzplänen gegen Tito ist und den Rachegelüsten der Rolle mit stimmlichem, aber manchmal noch unpräzisem Übereifer begegnet.

Szenenbild zu „La clemenza di Tito“
Szenenbild zu „La clemenza di Tito“

Sterbender Schwan oder Friedenstaube

Nur teilweise gelungen ist das Regiekonzept, für das Arila Siegert verantwortlich zeichnet. Grundlage des Bühnenbilds ist eine Bildprojektion, auf die wiederum (live) gemalt wird. Mal werden Affekte und Gefühle bildlich dargestellt, mal wird eine schnell gemalte Zwecklandschaft mit dickem schwarzem Pinsel übermalt – die Wechsel der Ausdrucksformen sind dabei so vielfältig wie diese mehrdeutig sind. Mehr noch verdeutlicht dies die halbtänzerische Einlage einer Studentin, die anscheinend als Friedenstaube (oder vielleicht als etwas anderes Allegorisches) über die Bühne huscht. Weniger ist hier mehr, und die schlichte Weißkostümierung mit elegant wandelbaren Treppenaufgängen und Stühlen völlig ausreichend – die Requisiten schaffen es immerhin, Kolosseum, Therme und Palast zugleich zu sein.

Szenenbild zu „La clemenza di Tito“
Szenenbild zu „La clemenza di Tito“

Vor allem gesanglich beweisen die Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, dass man sich um den Nachwuchs kaum sorgen muss; mit etwas mehr schauspielerischer Expressivität ist dessen Erfolg allemal gesichert. Um nochmal auf die Staatsoper Hamburg zurückzukommen: An diesem Premierenabend brauchte sich nun wirklich keiner zu erschießen.

Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Mozart: La clemenza di Tito

Willem Wentzel (Leitung), Arila Siegert (Regie/Bühne), Alba Carlota Reifenrath & Oliver Velthaus (Kostüme), Clara Brezinka, Stefan Czura, Pantelis Tiliakos & Charlotte Wulff (Dramaturgie), Changwook Jang, Julia Siegwart, Lisa Kereselidze, Mengying Jia, Esther Barski, Volodymyr Milushkin, Fausto Nardi (Cembalo), Studierende der Opernklasse, Symphoniker Hamburg

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