Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Eine Frau, die weiß, was sie will

Operetten-Kritik: Musikalische Komödie Leipzig – Orpheus in der Unterwelt

Eine Frau, die weiß, was sie will

(Leipzig, 24.5.2025) Regisseurin Maria Viktoria Linke bringt mit ihrer Sicht auf Offenbachs Mythenverwurstung „Orpheus in der Unterwelt“ frischen Wind in die Musikalische Komödie Leipzig.

vonRoberto Becker,

In Jacques Offenbachs Klassiker „Orpheus in der Unterwelt“, den Maria Viktoria Linke jetzt auf die Bühne der Musikalische Komödie in Leipzig gebracht hat, stimmt der Titel nicht so ganz mit dem überein, was man zu sehen und zu hören bekommt. Hier könnte das Genderteufelchen getrost „Eurydike in der Unterwelt“ aus dem Titel machen. Obwohl es Jeffery Krueger ist, der als Orpheus seine Gattin mit seinen künstlerischen Ergüssen auf der Geige nervt und damit zu den Szenen einer offensichtlich kaputten Ehe das Kapitel Scheidung provoziert. Schnell wird klar, dass Friederike Meinke als Eurydike hier in Wahrheit die erste Geige spielt.

Eine Erfahrung, die ihr Entführer Pluto noch machen wird und die Jupiter nur wegen seiner notorischen Sucht nach neuen Spielarten von Liebe und Sex erspart bleibt. Sie ist eine Frau mit Selbstbewusstsein, voll im Saft ihrer besten Jahre, eine, die sich kein Schlankheitsideal einreden lässt, sondern stolz jedes einzelne Pfund ihrer Figur zu seinem Recht kommen lässt. Das funktioniert auf Erden und in der Hölle ganz fabelhaft. Meinke ist aber nicht nur mit ihrer barocken Präsenz, sondern auch vokal eine Stütze dieses durchweg äußerst spielfreudigen Ensembles.

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

Instinktsicheres Crescendo-Timing

Obwohl diese Begegnung von Menschenkindern und (auch nicht wirklich erwachsen wirkenden) Göttern aller Arten vergleichsweise verhalten beginnt, ist es das instinktsichere Crescendo-Timing der Personenregie von Linke und der Choreografie von Mirko Mahr fürs tanzende Zugabe-Personal, die mitreißen und die musikalischen Höhepunkte zielsicher ansteuern. Mit den dosiert modernisierten Zwischenrufen liefert Stephanie Theiß als Öffentliche Meinung die Atempausen, um dann umso wirkungsvoller die Musik sprechen zu lassen. Dabei wird der atemberaubend schnell gespielte Höllen-Cancan, bei dem hier Frauen- und Männerbeine fliegen, zum passgenauen Höhepunkt.

Dass Michael Nündel und das Orchester der Musikalischen Komödie mit Offenbach in ihrem Element sind, ist an diesem Abend vom ersten Ton an zu spüren. Sie spielen eine eigene Mischfassung (aus den Versionen von 1858 und 1874) und bieten als Novität die Eigenkreation einer Collage aus den beiden Ouvertüren, die (so Michael Nündel im Programmheft) der Verlag Boosey & Hawkes extra für die MuKo editiert hat!

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

Muntere Erotik-Hölle

Auf den ersten Blick ist die Optik, die Ausstatterin Annika Lu diesem Offenbachklassiker verpasst und seinen Akteuren auf den Leib geschneidert hat – zumindest für die Musikalische Komödie – ungewöhnlich. Erst ein stilisiertes Häuschen, die Hecke und das mustergleiche Kleid der gelangweilten Hausfrau. Dann der Olymp, auf dem sich die offensiv fantasievoll kostümierten Götter wie in einer überdimensionierten Teetasse um Jupiter drängeln und den Aufstand proben, weil sie sich nicht mit Moralpredigten eines ziemlich einfallsreichen Fremdgehers drangsalieren lassen wollen.

Dann die Hölle, mit ihren stilisiert verfremdeten Insignien der Erotik und als den Ort, wo sich Jupiter als Riesenfliege mit juchzend quietschendem Erfolg an Eurydike heranmacht und auch die übrigen Götter allesamt endlich mal die Sau rauslassen können.

Höherer Nonsens

Es ist eine Farb- und Bildästhetik, die entfernt an die Stilisierungen des Theaters von Robert Wilsons oder die knalligen Phantasieexplosionen erinnert, mit denen Ersan Mondtag oder Herbert Fritsch Furore machen. Das Ganze bleibt aber als ein in sich geschlossener Wurf sozusagen bei sich und im Dienste Offenbachs. Wobei jeder den Raum bekommt, um sich so zu profilieren, dass insgesamt wirklich „höherer Nonsens“ und die „virtuose Parodie voll subversivem Witz“ rauskommt, die die Regisseurin an dem klassischen Schmuckstück des Großmeisters der Operette so fasziniert.

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

Ihr gelingt das Kunststück, dass sich auch ohne allzu plakative optische Verweise jeder selbst seinen göttergleichen Dealmaker und Fake-News-Produzenten von heute dazu denken kann. Wenn der Wallebart-Jupiter (Milko Milev) und der wendig einschmeichlerische Pluto mit teuflischer Frisur (Björn Christian Kuhn) kumpelhaft paktieren, ist ein assoziativer Link zum Oval Office im Weißen Hause nicht allzu weit entfernt.

Tolles Tohuwabohu

Aber sie kochen eben auch alle ihr eigenes Show-Süppchen. Grandios, mit welch dosierter Wucht Sabine Töpfer als Jupiters Hausdrachen Juno zwischen die Pläne ihres Gatten zu grätschen versucht. Oder, wie Olivia Delauré bei jedem ihrer Auftritte als Venus ihre markante Stimme mit dem Ausstellen ihrer elegant verpackten Rundungen verbindet. Aber auch Da-yung Cho als jungenhaft trällerndem Cupido, Nora Lentner als forscher Diana, Sandro Hähnel als Merkur, Michael Raschle als polterndem Mars und Kyle Fearon-Wilson in seinem Trauben-Bacchus-Kostüm fehlt es nicht an Möglichkeiten, ihr fantasievolles Götteroutfit mit Leben zu füllen.

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

Dass das Hausballett sich mal als Einheitsschafe und dann als ziemlich individuelle Fliegen in der Unterwelt bestens in das Tohuwabohu einfügen und das auch für den Chor des Hauses gilt, versteht sich an diesem Haus von selbst. Auch, dass Andreas Rainer mit seinem Hans Styx, der einst Prinz war in Arkadien und hier mit seinem Staubwedel schon zu Beginn Dienst tut, etwas aus dem Rahmen fällt und dann natürlich seinen Hit zu einem Kabinettstück macht.

Musikalische Komödie Leipzig
Offenbach: Orpheus in der Unterwelt 

Musikalische Leitung: Michael Nündel (Leitung), Maria Viktoria Linke (Regie), Mirko Mahr (Choreographie), Annika Lu (Bühne & Kostüme) Inken Meinst (Dramaturgie), Mathias Drechsler (Chor), Friederike Meinke, Jeffery Krueger, Stephanie Theiß, Björn Christian Kuhn, Milko Milev, Da-yung Cho, Nora Lentner, Olivia Delauré, Sabine Töpfer, Michael Raschle, Andreas Rainer, Sandro Hähnel, Kyle Fearon-Wilson, Chor der Musikalischen Komödie, Chor, Extrachor, Ballett und Orchester der Musikalischen Komödie






Auch interessant

Rezensionen

  • „Kein Stress bei Bach!“
    Interview Kian Soltani

    „Kein Stress bei Bach!“

    Cellist Kian Soltani über den richtigen Zeitpunkt für bestimmte Stücke, jahrelange Weihnachtsvorbereitungen und über Wettkämpfe an der Spielekonsole.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!