Venedig. Ist Lucrezia Borgia eine skrupellose Mörderin oder eine liebende Mutter? Machtbewusste Ehefrau oder bloß Spielfigur im politischen Machtspiel ihres Vaters Papst Alexander VI.? Lebefrau oder Giftmischerin? Um die berühmteste Tochter Rodrigo Borgias ranken sich Mythen genug, um mehrere Biografien zu füllen: ihr Name wird mit diversen Morden in Verbindung gebracht, sie wurde mehrfach verheiratet, von ihrem machiavellistischen Bruder Cesare bedrängt und überlebte den Fall der Borgias, um später als Herzogin von Ferrara an der Seite Alfonso d’Estes hochgeachtet zu sterben. Die Stoffmenge wusste wiederum Donizetti in seiner gleichnamigen Oper „Lucrezia Borgia“ durchaus gut zu nutzen.
Schlagzeilen, farbästhetisch ansprechend gestaltet
Am Nationaltheater Mannheim ist das vergleichsweise selten gespielte Werk nun in einer Inszenierung von Rahel Thiel zu sehen, die das spekulative Zerrbild der Fürstin ins Zentrum rückt. Das für alle Aufzüge einheitliche Bühnenbild (Fabian Wendling) spielt virtuos auf der Klaviatur des Boulevard-Journalismus: Wände voller Schlagzeilen, die Lucrezia in ein reißerisches, zweifelhaftes Licht rücken; die dominierenden Farben Rot, Weiß und Schwarz – Primärfarben des Populismus – spiegeln sich in den optisch ansprechenden Kostümen (Rebekka Dornhege Reyes & Isabel Garcia Espino) wider, die zwischen stilisierter Renaissancemode und venezianischem Karneval changieren. Letzterer bildet zugleich den Schauplatz des ersten Giftmordes im Prolog.
Die Idee, das Bild Lucrezia Borgias auf den Eklat zu reduzieren, trägt grundsätzlich. Im Belcanto zählt selten die nüchterne Betrachtung, sondern Pathos, Affekt und die schillernde Überhöhung einer Figur. So verwundert es kaum, dass die Titelheldin scheinbar aus dem Nichts unter jenem Schleier hervortritt, hinter dem nicht etwa ein Wappen, sondern die riesigen Lettern ihres Namens prangen und sobald das „B“ fällt, bleibt nur noch „ORGIA“– die Kernbotschaft dieser auskomponierten Giftorgie, der am Ende neben dem geliebten Sohn Gennaro ein halbes Dutzend Männer zum Opfer fällt.

Dramaturgisch schweres Stück
Doch trotz der stimmigen ästhetischen Setzung fehlt dem einheitlichen Bild mitunter Bewegung. Donizettis ungewöhnlich schematische Arien brechen selten aus dem engen Korsett aus Liebe, Leidenschaft und Intrige aus, was auch erklärt, warum „Lucrezia Borgia“ weniger häufig gespielt wird als etwa die raffinierteren Opern des Tudor-Zyklus. Wirkung und musikalischer Charakter laufen gelegentlich auseinander; der sehr präsente Chor steht auf der aufgeräumten Bühne bisweilen etwas verloren.
Elternrollen mit Erfahrung, die Jugendrollen mit Esprit
Umso wichtiger ist die Musik, die hier besonders lebendig wirkt. Estelle Kruger, seit über einem Jahrzehnt feste Größe des Hauses, überzeugt in der Titelrolle mit einer großzügigen Bandbreite zwischen zögernden Ritardandi und dynamischer Impulsivität. Ihre Koloraturen sind zielsicher und prägnant ausformuliert; ihre Lucrezia wandelt sich bis zuletzt überzeugend von einer selbstbewussten skrupellosen zu einer zutiefst desillusionierten, sich Fehler eingestehenden Frau.
Der polnische Bassbariton Bartosz Urbanowicz, ebenfalls ein stilsicherer Gestalter des Hauses, zeichnet seinen Alfonso d’Este als gleichgültigen Wüstling von zweifelhaftem Charakter. Seine wenigen Auftritte nutzt er für tadellose und nachhaltig prägende Momente basaler Raumergreifung. Shachar Lavi gestaltet die Hosenrolle des Orsini mit einem zärtlich-eleganten Mezzosopran und feinem Gespür für wohlklingende Koloraturen; mehr dynamische Entschiedenheit könnte ihm zusätzlich Profil verleihen. Das Brindisi Orsinis, „Il segreto per esser felici“, gerät kompositorisch wie technisch zum glänzenden Höhepunkt des Abends.

Hauptfigur und GMD: zwei Macher
Der koreanische Tenor Sung Min Song, seit der Spielzeit 2024/25 im Mannheimer Ensemble, beeindruckt mit überregionaler Strahlkraft als feinsinniger Heldentenor lyrischen Timbres. Schon im vergangenen Jahr überzeugte er als jugendlich frischer Alfredo in „La traviata“ – eine Anlage, die in der emotional fordernden Partie des Gennaro, der zwischen Bewunderung zu Lucrezia und der Treue zu seinen Kameraden schmerzlich abwägen muss, erst recht Hoffnung macht.
GMD Roberto Rizzi Brignoli wiederum widmet sich dem italienischen Kernrepertoire mit hörbarer Freude und Kennerschaft. Die Farbigkeit des Abends entsteht aus klar phrasierten Streichern, während die Bläser als feiner „Liedschatten“ das orchestrale Makeup abrunden. Besonders überzeugend gelingt die Balance zwischen Männerchor und Orchester, die präzise und nah an der Hand geführt werden und einander nie überwältigen.
Bildhaft schön anzuschauen und musikalisch stimmungsvoll getragen, überzeugt die Mannheimer „Lucrezia Borgia“ vor allem durch einen vielversprechenden Tenor.
National Theater Mannheim (OPAL)
Donizetti: Lucrezia Borgia
Roberto Rizzi Brignoli (Leitung), Rahel Thiel (Regie), Fabian Wending (Bühne), Rebekka Dornhege Reyes & Isabel Garcia Espino (Kostüm), Florian Arnholdt (Licht), Alistair Lilley (Chor), Estelle Kruger, Bartosz Urbanowicz, Sung Min Song, Shachar Lavi, Sung Ha, Raphael Wittmer, Dominic Lee, Ilya Lapich, Herrenchor und Orchester des Nationaltheaters Mannheim
Termintipp
So., 14. Dezember 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Lucrezia Borgia
Estelle Kruger (Lucrezia), Bartosz Urbanowicz (Alfonso), Sung Min Song (Gennaro), Shachar Lavi (Maffio Orsini), Sung Ha (Gubetta), Raphael Wittmer (Liverotto), Dominic Lee (Vitellozzo), Roberto Rizzi Brignoli (Leitung), Rahel Thiel (Regie)
Termintipp
Di., 16. Dezember 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Lucrezia Borgia
Estelle Kruger (Lucrezia), Bartosz Urbanowicz (Alfonso), Sung Min Song (Gennaro), Shachar Lavi (Maffio Orsini), Sung Ha (Gubetta), Raphael Wittmer (Liverotto), Dominic Lee (Vitellozzo), Roberto Rizzi Brignoli (Leitung), Rahel Thiel (Regie)
Termintipp
Di., 23. Dezember 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Lucrezia Borgia
Estelle Kruger (Lucrezia), Bartosz Urbanowicz (Alfonso), Sung Min Song (Gennaro), Shachar Lavi (Maffio Orsini), Sung Ha (Gubetta), Raphael Wittmer (Liverotto), Dominic Lee (Vitellozzo), Roberto Rizzi Brignoli (Leitung), Rahel Thiel (Regie)
Termintipp
Do., 25. Dezember 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Lucrezia Borgia
Estelle Kruger (Lucrezia), Bartosz Urbanowicz (Alfonso), Sung Min Song (Gennaro), Shachar Lavi (Maffio Orsini), Sung Ha (Gubetta), Raphael Wittmer (Liverotto), Dominic Lee (Vitellozzo), Roberto Rizzi Brignoli (Leitung), Rahel Thiel (Regie)
Termintipp
Do., 08. Januar 2026 19:30 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Lucrezia Borgia
Estelle Kruger (Lucrezia), Bartosz Urbanowicz (Alfonso), Sung Min Song (Gennaro), Shachar Lavi (Maffio Orsini), Sung Ha (Gubetta), Raphael Wittmer (Liverotto), Dominic Lee (Vitellozzo),Anton Legkii (Leitung), Rahel Thiel (Regie)

