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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Mitridate, re di Ponto

Konkretion und Abstraktion

(Frankfurt am Main, 7.12.2025) Regisseur Claus Guth situiert Mozarts „Mitridate, re di Ponto“ an der Oper Frankfurt in den sechziger Jahren und geht einen Mittelweg zwischen Tagesaktualität und Historisierung.

vonMichael Kaminski,

Der Schauplätze sind zwei. Zum einen wuchtet Christian Schmidt eine Luxusvilla aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Bühne der Oper Frankfurt. Massive Mauerzungen fassen eine in Grund- und Aufriss mannigfach gestaltete, zwei Stockwerke durchmessende Wohnhalle ein, an die sich seitlich ein repräsentatives Arbeitszimmer schließt. Setzt sich indessen die Drehbühne in Gang, dann zeigt sich das Geschehen vor eine durch kleine Löcher tausendfach gerasterte und dominierte Wand verlegt. Schwer fällt, den Blick auf dies ragend-graue Kreissegment zu fokussieren. Unweigerlich gerät das Auge ins Schwanken. Manche Spielarten des Fluxus kommen in den Sinn.

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So korrespondieren denn die Konkretion der Sechziger-Jahre-Wohnhalle und jener die Datierung ins nämliche Jahrzehnt erlaubende abstrakte Raum als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Auch Kostümbildnerin Ursula Kudrna spielt auf das zweite Nachkriegsdezennium an. Der König von Pontos bevorzugt einen Zweireiher in Nadelstreifen-Optik, die Königin eine zeittypische Kombination aus Oberteil und Rock, Ismene wählt ein Kleid in Chanel-Anmutung. Prinz Farnace kommt unauffällig wie ein kleiner Angestellter daher, sein Halbbruder Sifare – ohne Geckenhaftigkeit – elegant vom Scheitel bis zur Sohle. Die Situierung von Mozarts „Mitridate, re di Ponto“ in den sechziger Jahren erlaubt Claus Guth einen Mittelweg zwischen Tagesaktualität und übermäßiger Historisierung.

Szenenbild aus „Mitridate, re di Ponto“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Mitridate, re di Ponto“ an der Oper Frankfurt

Freie Bahn für die Jugend

Ort und Zeit begünstigen das Wechselspiel von Affektpsychologie der opera seria und Vorklängen auf das differenzierte Seelenleben in des Komponisten kanonischen Opern. Allererst gilt dies für Aspasia. Gemartert vom Konflikt ihrer Loyalität zum König von Pontos und der Liebe zu Sifare, drohen feurige Emphase und Gewissensbisse ihr Gemüt zu zerreißen. Wie die Königin sich solcher Qualen fortschreitend entledigt, um Hochachtung vor dem Monarchen bei gleichwohl alternativer Partnerwahl zu beweisen, das lauscht Guth hochsensibel dem musikalischen Idiom Mozarts ab. Sifare darf an der Geliebten wachsen, bis ihm gelingt, seine Empfindungen für diese und den Vater auszutarieren. Der Herrscher vom Schwarzen Meer freilich billigt erst im Sterben seiner Königin und den beiden Prinzen emotionale Selbstbestimmung zu.

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Wobei Guth durchblicken lässt, wie Mitridate Ahnungen vom Ungenügen Aspasias am viel älteren König und dem durch patriarchale Bevormundung irregeleiteten Tatendrang der Söhne anfliegen. Die Titelfigur geht in den Tod, auf dass Königin und Prinzen gestattet sei, ihren Empfindungen zu leben. Der Generationenwechsel war überfällig. Die Jugend zeigt sich der neuen Verantwortung bewusst. Gleichwohl bedeutet psychologischer Realismus für Guth nicht alles. Vor der grauen Hochwand des abstrakten Raumes begegnen die Figuren ihren Doppelgängern und gar Multiples. Monarch, Königin, Prinzen und Prinzessin agieren mit dem vervielfachten eigenen Ich. Ohne diese Selbstbeschau käme es schwerlich zum glimpflichen Ende. Sommer Ulricksons Choreografie verweist auf die Bedingung der Möglichkeit solcher Reflexion, die Schatten des Hades.

Szenenbild aus „Mitridate, re di Ponto“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Mitridate, re di Ponto“ an der Oper Frankfurt

Bedeutsamer Mozartabend

Bezwingend wie die szenische ist die musikalische Seite dieser vom Madrilener Teatro Real an den Main übernommenen Produktion aus dem letzten Frühjahr. In perfekter Korrespondenz von opera seria und präludierter Klassik befeuert und beseelt Leo Hussain das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Wie Kapellmeister und Klangkörper die Dynamik der Partitur auskosten, setzt Maßstäbe. Robert Murray durchmisst für die Titelpartie ein Spektrum von bronzierter Tiefe bis zu fabelhaften Höhen aus. Koloraturfertig, durchschlagskräftig und auf ebenso schönen wie spannungsvollen sanglichen Bögen verkörpert  Bianca Tognocchi die ihre Empfindungen emanzipierende Aspasia. Hinreißend bietet Monika Buczkowska-Ward jugendliche Begeisterung und lyrische Innigkeit für Sifare auf; in „Lungi da te, mio bene“ ins Gemüt greifend begleitet vom Hornisten Alexander Boukikov. Franko Klisovićs, Farnace birst vor Aggression und Tatendrang. Die Ismene von Younji Yi weckt manche Hoffnung.

Oper Frankfurt
Mozart: Mitridate, re di Ponto

Leo Hussain (Leitung & Hammerklavier), Claus Guth (Regie), Christian Schmidt (Bühne), Ursula Kudrna (Kostüme), Sommer Ulrickson (Choreografie, Olaf Winter (Licht), Robert Murray, Bianca Tognocchi, Monika Buczkowska-Ward, Franko Klisović, Younji Yi, Jihun Hong, Kudaibergen Abildin, Philippe Jacq, Tanzensemble, Alexander Boukikov (Bühnenhorn), Frankfurter Opern- und Museumsorchester






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