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Opern-Kritik: Greek National Opera – Otello

Toxische Männlichkeit

(Athen, 5.3.2022) Robert Wilson bleibt seiner lichtdurchfluteten, artifiziellen Slow Motion-Ästhetik auch in Verdis Alterswerk treu. Doch der „Otello“ in Athens spektakulärem neuen Opernhaus gewinnt an diesem Abend dennoch ungeahnte tumultartige politische Aktualität. 

vonPeter Krause,

Robert Wilson ist und bleibt der Magier der Langsamkeit und des Lichts. Er will in seinen Inszenierungen nicht psychologisieren, geschweige denn politisieren. Im Interview über seine Sicht auf Giuseppe Verdis „Otello“ gibt der der Amerikaner dezidiert zu Protokoll: „Meine Arbeit ist nicht politisch“. Im Zeitalter des Regietheaters mit all seinem Aktualisierungsfuror ist das schon eine klare Ansage. Doch in Athen, wo der Meister des Schreitens und der maskenhaften Mimik nun seine bereits 2019 für die Festspiele in Baden-Baden erarbeitete Produktion neu einstudierte, kehren sich seine ästhetischen Absichten kurzerhand in ihr Gegenteil um.

Ein junger Tänzer betritt vor der Vorstellung die Bühne des spektakulären neuen Kulturkomplexes der Greek National Opera. Um die Schultern trägt er eine Flagge in den Nationalfarben der Ukraine. Er hat einen Zettel in der Hand, von dem er in griechischer und englischer Sprache seine Botschaft verliest. Die heutige Vorstellung sei der Ukraine und den Opfern der mörderischen russischen Invasion gewidmet. Der Künstler, selbst halb Grieche, halb Ukrainer, bittet um eine Schweigeminute, die das tief bewegte Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Haus im Stehen absolviert – so wie es sonst im Gedenken an berühmte Verstorbene üblich ist.

Aleksandrs Antonenko, Tassis Christoyannis und Cellia Costea in Verdis „Otello“ an der Greek National Opera
OTELLO
Giuseppe Verdi
Conductor
Stathis Soulis
Director, design, lighting
Robert Wilson
Co-Director
Nicola Panzer
Associate set designer
Serge von Arx
Costumes
Jacques Reynaud, Davide Boni
Associate lighting designer
Marcello Lumaca
Hair & Make-up artist
Manuela Halligan
Video
Tomasz Jeziorski
Dramaturgy
Konrad Kuhn
Chorus master
Agathangelos Georgakatos
Children’s chorus mistress
Konstantina Pitsiakou
With the GNO Orchestra , Chorus and Children’s Chorus (as part of its educational mission)
23, 27 Feb 2022
02, 05, 08 Mar 2022

Stilles Gedenken an die ukrainischen Opfer trifft auf altkommunistische Putinversteher

Als Tassis Christoyannis dann später im zweiten Akt als fratzenhaft lächelnder Jago sein nihilistisches Glaubensbekenntnis in den Saal schleudert – von jenem grausamen Gott, der nur den Tod und das Nichts kenne – dringt in Robert Wilson artifiziell ausgefeiltes Spiel etwas Ungeahntes ein. Da lässt sich Jagos „La morte e nulla“ eben gar nicht mehr trennen vom Vernichtungswerk des russischen Despoten. Nur wollen nicht alle Mitglieder der Nationaloper das Statement so stehen lassen. Gut eine Handvoll gewerkschaftlich organisierter Chorsänger tritt nach der Pause vor den Vorhang: Auf die Rede folgt die Gegenrede.

Man identifiziere sich nicht mit dem einseitigen Statement zu Anfang des Abends, da die russische Position nicht zur Sprache gekommen sei. In Publikum entstehen tumultartige Szenen, denn die Griechen, deren Vorfahren einst die Demokratie erfanden, wollen die dem uralten, doch nie vollends überwundenen Geist kommunistischer Prägung entsprungene Gegenrede nun ihrerseits nicht so stehen lassen. Erst Aleksandrs Antoņenko kann die Situation klären: Der lettische Heldentenor ukrainischer Abstammung befördert die Putinversteher kurzerhand von der Bühne. Die Vorstellung kann fortgesetzt werden – und entwickelt eine Dichte, die erschüttert und berührt.

Aleksandrs Antonenko, Tassis Christoyannis und Cellia Costea in Verdis „Otello“ an der Greek National Opera
OTELLO
Giuseppe Verdi
Conductor
Stathis Soulis
Director, design, lighting
Robert Wilson
Co-Director
Nicola Panzer
Associate set designer
Serge von Arx
Costumes
Jacques Reynaud, Davide Boni
Associate lighting designer
Marcello Lumaca
Hair & Make-up artist
Manuela Halligan
Video
Tomasz Jeziorski
Dramaturgy
Konrad Kuhn
Chorus master
Agathangelos Georgakatos
ChildrenÕs chorus mistress
Konstantina Pitsiakou
With the GNO Orchestra , Chorus and ChildrenÕs Chorus (as part of its educational mission)
23, 27 Feb 2022
02, 05, 08 Mar 2022

Ein Otellosänger wie aus längst vergangenen Zeiten großer Heldentenöre – und ein griechischer Jago von Weltklasse

Denn just Antoņenko singt in der Titelpartie ja die brutale Erkenntnis „Ecco la fine del mio cammin… Otello fu“ — „Dies ist das Ende meines Wegs… Otello war.“ Otellos verhärtete, tragisch toxische Männlichkeit, seine Verführbarkeit durch Jago, die zum Mord an seiner Frau führt, wird im Korsett der Wilson-Statik an diesem Abend nicht verwässert, sondern geschärft. Aleksandrs Antoņenko beweist mit seinem heldentenoralen vokalen Metall, dass er weiterhin der führende Vertreter der extrem schwer zu besetzenden Partie ist. Seine auf monumentale Fortissimi setzende Durchschlagskraft (die ihm dennoch ein im zarten Piano intoniertes „Venere splende“ am Ende des Liebesduetts mit Desdemona ermöglicht) erinnert an große Otello-Sänger der Vergangenheit wie Jon Vickers, Vladimir Atlantow oder Mario del Monaco, weniger an den schönstimmig bronzetönenden, einst führenden Otello namens Plácido Domingo.

Bester Sänger des Abends ist dennoch der einzige Grieche unter den drei Hauptpartien. Denn Tassis Christoyannis ist zu einem mephistophelischen Jago von Weltklasse herangereift. Robert Wilson lässt ihn die Figur zwar als maskenhaften Marionetten-, ja Bilderbuchbösewicht mit hochgezogenen (und entsprechend geschminkten) Augenbrauen und diabolischem Grinsen darstellen. Doch der grandiose Bariton reichert Wilsons Schwarz-Weiß-Zeichnung mit derart unendlichen Stimmfarben an, wägt die Worte so bedacht und wohlartikulierend, dass er das Schematische der eingefrorenen Bilder gleichermaßen erfüllt wie transzendiert. Eine dialektische Meisterleistung.

Zwar ist sie (unschulds-)weiß gewandet, doch den lyrischen Liebreiz der Desdemona will die Rumänin Cellia Costea lieber nicht bedienen. Ihr herb dunkler, schon zur Vibratoreife tendierender Sopran passt freilich gut zu Antoņenkos dramatischem Otello-Furor. Aus dem Ensemble lassen aufhorchen: Dimitris Paksoglou als Cassio, der bassmächtige Petros Magoulas als Lodovico und die Mezzosopranistin Violetta Lousta, die mit ihrer idealen Körperspannung große Lust an Wilsons Slow Motion-Regie verströmt.

Szenenbild aus Verdis „Otello“ an der Greek National Opera
OTELLO
Giuseppe Verdi
Conductor
Stathis Soulis
Director, design, lighting
Robert Wilson
Co-Director
Nicola Panzer
Associate set designer
Serge von Arx
Costumes
Jacques Reynaud, Davide Boni
Associate lighting designer
Marcello Lumaca
Hair & Make-up artist
Manuela Halligan
Video
Tomasz Jeziorski
Dramaturgy
Konrad Kuhn
Chorus master
Agathangelos Georgakatos
ChildrenÕs chorus mistress
Konstantina Pitsiakou
With the GNO Orchestra , Chorus and ChildrenÕs Chorus (as part of its educational mission)
23, 27 Feb 2022
02, 05, 08 Mar 2022

Wenn Statuen von der Akropolis auf die Opernbühne wandern

Seinen legendären Anti-Naturalismus weicht Robert Wilson in seinem „Otello“ für seine Verhältnisse weit auf: Es gibt also tatsächlich das Intrigenwerkzeug des Taschentuchs, es gibt Otellos selbstmörderischen Dolch. Die von Verdi leitmotivisch überhöhten Küsse deutet Wilson immerhin an, wenn das Paar die Liebesgesten zwar nicht realistisch austauschen darf, aber die eigene Hand dennoch von den Lippen zum Partner erhebt – freilich ohne sich je direkt zu berühren.

Wo politische Rede und Gegenrede an diesem Opernabend wechselseitig Widerspruch auslösen, akzeptiert das Publikum Wilsons Bildwelten problemlos. Ob das mit der ureigenen DNA der Griechen zu tun hat? Wer vor der Vorstellung das Akropolismuseum unweit des heiligen Berges des griechischen Altertums besucht, kann schließlich all die allzu menschlichen Göttinnen und Götter bewundern, die hier als Statuen stehen – mit ihren charakteristischen wie idealisierten Gesten und Blicken, die im Auge des Betrachters sprechend und bedeutend und lebendig werden.

Nichts anderes wagt Wilson. Seine Statik schafft die Ruhe, sich ganz auf die Musik einzulassen, die den zum Mythos geronnenen Figuren auf einmal neues Leben einhaucht. Stathis Soulis am Pult steuert dazu einen passioniert prallen, mitunter knalligen Orchesterklang bei. Sein Zugriff geht zwar zu Lasten von absoluter Raffinesse und dynamischer Differenziertheit, doch die Direktheit der musikalischen Botschaft geht direkt ins Herz.      

Greek National Opera
Verdi: Otello

Stathis Soulis (Leitung), Robert Wilson (Regie, Bühne & Licht), Nicola Panzer (Co-Regie), Jacques Reynaud & Davide Boni (Kostüme), Tomasz Jeziorski (Video), Aleksandrs Antoņenko, Cellia Costea, Tassis Christoyannis, Dimitris Paksoglou, Yannis Kalyvas, Petros Magoulas, Marinos Tarnanas, Pavlos Sampsakis, Violetta Lousta, GNO Orchestra, Chorus and Children’s Chorus

Weitere Termine: 8., 11., 15. & 19.3.2022

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