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Operetten-Kritik: Staatstheater Cottbus – Messeschlager Gisela

Hochmodisch

(Cottbus, 18.10.2025) „Messeschlager Gisela“ ist in Cottbus fürwahr ein Hit des musikalischen Unterhaltungstheaters. Durch Katja Wolffs Inszenierung bleibt kein Zweifel, weshalb das Werk nach dem Mauerbau nicht länger erwünscht war.

vonMichael Kaminski,

Wirklich und wahrhaftig, der vorgeblich real existierende Sozialismus der DDR hatte ein sympathisches Angesicht. Jedenfalls auf der Bühne. Und meist dort allein. Gerd Natschinski und sein Librettist, der Kabarettist und Texter Jo Schulz, haben mit ihrem 1960 im Berliner Metropol-Theater uraufgeführten „Messeschlager Gisela“ pointensattes und umwerfend charmantes musikalisches Unterhaltungstheater auf die Bühne gestellt. Ein Amalgam aus Operette und Musical um die verkrusteten Strukturen im „Volkseigenen Betrieb Berliner Chic“, dessen geckenhaften und talentfreien Direktor und die junge Designerin Gisela samt ihres bahnbrechenden Entwurfs für ein multifunktionales, den vielen gesellschaftlichen Rollen emanzipierter Frauen entsprechendes Kleid.

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Gegen den Widerstand des Modepatriarchen, doch mit Unterstützung des betrieblichen Kollektivs reüssieren die Jungdesignerin und ihre Auffassung von zeitgemäßem Outfit für Frauen auf der Leipziger Messe. Eine Liebesgeschichte darf nicht fehlen. Zwar zeigt sich die völlig uneitle Gisela erbost über die Eigenmächtigkeit des Journalisten Fred Funke, der sie gegen ihren Willen auf die Titelseite einer Modezeitschrift lanciert. Doch selbstredend finden die beiden final einander. Für seine Partitur hat Natschinski fraglos Gershwin und Cole Porter studiert, ebenso manche Revue-Operette. Viele Nummern erweisen sich als Schlager, einigen eignet das Zeug zum Evergreen: So dem Auftrittslied des „rasenden Reporters“ Fred Funke, später einem Duett von Designerin und Journalist, in dem ein Männerbild jenseits von Patriarchat und Machismo aufscheint, ferner bei weit fortgeschrittener Handlung die große ins Gemüt greifende Arie der Titelfigur.

Szenenbild aus „Messeschlager Gisela“
Szenenbild aus „Messeschlager Gisela“

Nahe am Kabarett

Alles dies gerät am Staatstheater Cottbus zur Sternstunde des musikalischen Unterhaltungstheaters. Zumal das Haus eine besondere Historie mit dem Werk verbindet, war es doch das erste, das sich seiner nach der Uraufführung annahm, bevor 23 weitere Bühnen es nachspielten. Bei Katja Wolff bleibt kein Zweifel, weshalb „Messeschlager Gisela“ nach dem Mauerbau nicht länger erwünscht war. Den offenen, ja scharfzüngigen, kaum ein Blatt vor den Mund nehmenden Ton, der darin herrscht, die im Jahr der Uraufführung noch einigermaßen selbstverständliche Freizügigkeit innerhalb des geteilten Berlin und in das „kapitalistische Ausland“ bis hin in die Modemetropole an der Seine, Ostblock und Westen zu Gast auf der Leipziger Messe, die Regisseurin lässt solche Lizenzen voll ausspielen.

Die Apparatschiks bekommen ihr Fett weg, aus dem realsozialistischen Vokabular trieft Ironie. Wiederholt geht es nahe am Kabarettistischen zu. Die Liebesgeschichte erzählt Wolff zugleich als Lerngeschichte. Anfangs einzig auf ihre Entwürfe fokussiert, begreift Gisela, wie sehr sie, um ihre Vorstellungen zu realisieren, der Kolleginnen und Kollegen bedarf. Journalist Funke sieht ein, wie arg noch so gut gemeinte Publicity für die Geliebte von dieser als Vertrauensbruch erfahren wird. Reichlich Zucker spendiert Wolff ihrem Publikum, wenn das Ensemble Berliner und Leipziger Idiom samt der damit einhergehenden positiven Vorurteile trefflich bedienen darf.

Bühnenbildnerin Cary Gayler siedelt das turbulente Treiben in einem Einheitsraum an, dessen Wände die abstrakten Muster der Entstehungszeit zieren. Deren Mode beschwört Saskia Wunsch. Die Damen zeigen sich mit Zeittypischem von der Kittelschürze bis zu allerlei Farbenfroh-Dreiviertellangem bedacht, die Herren der Modebranche bevorzugen extravagante Schnitte und – selbst wenn gedeckt – nicht minder auffälliges Kolorit. Giselas multifunktionaler Messeschlager präsentiert sich Schwarzweiß, doch vor allem wandelbar vom Straßenkleid über das Kleine Schwarze bis einerseits zur Abendrobe und andererseits zur Strandnixe. Ein Hingucker sondergleichen.

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Szenenbild aus „Messeschlager Gisela“
Szenenbild aus „Messeschlager Gisela“

Musikalisches Amüsement in Potenz

Wie szenisch, so ist die Cottbuser „Gisela“ musikalisch eine Wucht. Der Chor des Hauses beweist unter Christian Möbius auch vokal ausgeprägten Sinn für die seinem Part innewohnende Ironie. Johannes Zurl fetzt mit dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters jazzig einher. Selbst den Blues haben Kapellmeister und Klangkörper drauf. Südamerikanische Rhythmen ohnehin. Parodistische Anspielungen auf Oper und klassische Operette werden weidlich ausgekostet. Anne Martha Schuitemaker singt und spielt sich zum Inbegriff der Titelfigur.

Ob leicht ansprechende Eleganz oder lyrisch ausgreifende Kantilene, immerfort lässt sich Schuitemaker reich facettiert vernehmen. Für den Journalisten Fred Funke bietet Hardy Brachmann seinen gleichermaßen feschen und wendigen Tenor auf. Der den Gütekontrolleur Heinz Stubnick verkörpernde Nils Stäfe verfügt über einen ebenso substantiellen wie beweglichen Buffotenor. Seine nicht immer auf dem Pfad ehelicher Treue wandelnde Gemahlin und Chefsekretärin sowie Tratschbase des „VEB Berliner Chic“ Marghueritta Kulicke treibt die zudem tänzerisch gewandte Julia Klotz auf die karikaturhafte Spitze. Famos auch alle weiteren Ensemblemitglieder.

Keine Frage, „Messeschlager Gisela“ in Cottbus ist ein Hit.   

Staatstheater Cottbus 
Natschinski: Messeschlager Gisela

Johannes Zurl (Leitung), Katja Wolff (Regie), Cary Gayler (Bühne), Saskia Wunsch (Kostüme), Thomas Heep (Choreografie), Christian Möbius (Chor), Anne Martha Schuitemaker, Thorsten Coers, Gesine Forberger, Heiko Walter, Julia Klotz, Nils Stäfe, Hardy Brachmann, Dirk Kleinke, Angela Budich, Florentine Beyer, Judith Urban, Martina Vinazza, Pia Wäbs, Anna-Friederike Wolf, Philharmonisches Orchester und Opernchor des Staatstheater Cottbus






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