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Opern-Kritik: Staatstheater Cottbus – Tristan und Isolde

Was leuchtet da so stern-umstrahlet?

(Cottbus, 28.1.2023) Am Staatstheater Cottbus nimmt Stephan Märki Richard Wagners „Tristan und Isolde“ als Vorlage für ein Wagner-Event.

vonRoberto Becker,

Wenn schon denn schon, mag sich der Cottbusser Intendant Stephan Märki gesagt haben. Wenn schon Wagners Ausnahmewerk „Tristan und Isolde“, dann so, dass er unüberhörbar am (geographischen) Rande der deutsche Stadttheaterlandschaft platziert wird. Und das bedeutet in diesem Fall: die Inszenierung ist Chefsache und als Isolde eben Catherine Foster. Dass jeder, der die Reise nach Cottbus zum ersten Mal macht, eines der schönsten deutschen Opernhäuser, einen architektonischen Jugendstilsolitär, bestaunen kann, gibts gratis dazu.

Catherine Foster war in Märkis Intendantenjahren am Deutschen Nationaltheater Weimar noch während der damaligen Ring-Produktion von der Freia zur Brünnhilde avanciert. Wo sie fortan auch hingehört. Ihre grandiose Brünnhilde in Castorfs Bayreuther Ring bestätigte diesen Prolog überzeugend. Wenn die aktuelle Bayreuther Isolde jetzt nach Cottbus kommt, ist das ein Zeichen von Noblesse und für die internationale Wagnergemeinde ein guter Grund, auch ohne ICE ins einzige noch intakte Mehrspartenhaus des Landes Brandenburg zu reisen. Cottbus ist nicht nur ein Staatstheater dieses Bundeslandes, es ist auch das einzige, das sich für diesen Titel eignet.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus

Ein Protagonistenensemble großartiger Stimmen

Märki ist als Intendant erfahren genug, das Ganze als Event zu organisieren. Da gehört dann die durch Herkunft und wissenschaftliche Expertise ausgewiesene Nike Wagner ins Vormittagsprogramm. Und natürlich eine Besetzung, die mit dem Stargasts mitzuhalten vermag. Jenseits des Verdachtes einer One-woman-Show staunt man, was in Cottbus aufgeboten wird. Mal abgesehen davon, dass oft so gepowert wurde, als wärs ein Vorsingen, das man ohne Hilfsmittel möglichst gleich bis Bayreuth hören sollte, war ein Protagonistenensemble groß(artig)er Stimmen beieinander. Annika Schlicht etwa, deren Brangäne sich mit einem wohltuend deutlichen, dunkel eingefärbten Farb-Kontrast von Fosters Isolde abhob und mit einer beispielhaften Wortverständlichkeit bestach.

Ihren Wagnererfolgen als Fricka und Waltraute im Berliner Herheim-Ring hat sie jetzt das erste Mal eine phänomenale Brangäne hinzugefügt. Auch bei den Herren herrscht eitel Sonnenschein. Bryan Register ist ein intensiv gestaltender Tristan mit viriler Geschmeidigkeit und beachtlicher Kondition in den Fieberphantasien des dritten Aufzuges für die er klug mit seinen Kräften haushaltet. Was gar nicht so einfach ist mit einem so kraftvollen Kurwenal wie Andreas Jäpel an seiner Seite. Wie er, ist auch Nils Stäfe aus dem hauseigenen Ensemble und für Melot (und den Steuermann) der pure vokale Luxus. Bei seinem König Marke gelingt Dimitry Ivashchenko eine selten so faszinierende Balance zwischen dem tief getroffenen einerseits und dem trotz allem mitfühlenden andererseits. Hardy Brachmann komplettiert das Protagonistenensemble als junger Seemann.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus

Kein Tristan im Schongang

Den Opernchor des Hauses hat Christian Möbius auf Kurs gebracht. Bei soviel demonstrierter, kein bisschen schwächelnder Stimmkraft ließ denn auch GMD Alexander Merzyn jede dämpfende Zögerlichkeit fahren und versuchte gar nicht erst, so etwas wie einen narkotischen Rausch zu imaginieren. Er schloss sich im Graben dem Kraftstrom der Bühne an, trug ihn, forcierte ihn. Schon die Streicher im Vorspiel signalisierten das. Kein Tristan im Schongang. Eher ein ungewohnt direkter, vitaler.
Der vokale Betäubungsversuch wurde durch die Bühne von Philipp Fürhofer noch verstärkt. Der opernaffiene, in Berlin lebende Künstler hatte schon in Bayreuth für den so gut wie konzertanten Parsifal im Coronasommer 2021 den Hintergrund der Bühne atmosphärisch bebildert.

Alle altern, nur Tristan und Isolde nicht. Am Ende sind sie auch nicht einfach und profan tot. Sie werden Teil des reichlich strapazierten sternenreichen Universums. Ein schönes Bild, das sich nicht geniert vor der Gefahr, den Kitsch zu touchieren. Eigentlich ist hier alles vom Ende her gedacht. Man sieht, was Isolde singt: Tristan, und dann auch Isolde, sind wortwörtlich „stern-umstrahlet“ – das ermöglichen etliche, in die Kostüme eingewebten Leuchtmittel, die Fürhofer und Hannah Barbara Bachmann ihren Helden verpasst haben.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ am Staatstheater Cottbus

Vereinigung der Liebenden am sternenübersäten Firmament

Das Orchester und eine ohne Konditionsschwäche aufwartende Isolde sorgen für den „tönenden Schall“; die Bühne liefert eine Version von des „Welt-Atems wehendem All“. Beide verlassen den geschlossenen Raum, hier eine mit harmonischen Formen zur Architektur des Opernhaues passendes Mittelding zwischen Kommando- und Holodeck eines imaginären Raumschiffs, für ihre Reise durch die unendlichen Weiten des Wagneruniversums. Und fürs Publikum mit einem nicht enden wollenden Blick ins All, dessen Sterne nur so vorbei rasen und mal den Blick voraus, mal nach hinten, nach oben oder nach unten suggerieren, wo es doch weder das eine noch das andere dort gibt. Nur in den Fieberphantasien liefert eine nächtliche Autofahrt auf ganz irdischen Wegen die Vorlage. Man ahnt, wie die endet. In Cottbus mit einer Vereinigung der Liebenden am sternenübersäten Firmament. Unter dem war es hier nicht zu haben.

Staatstheater Cottbus
Wagner: Tristan und Isolde

Alexander Merzyn (Leitung), Stephan Märki (Regie), Philipp Fürhofer (Bühne), Hannah Barbara Bachmann & Philipp Fürhofer (Kostüm), Christian Möbius (Chor), Bryan Register (Tristan), Catherine Foster (Isolde), Dimitry Ivashchenko (König Marke), Andreas Jäpel (Kurwenal), Annika Schlicht (Brangäne), Nils Stäfe (Melot, Steuermann), Hardy Brachmann (Hirte), Opernchor & Philharmonisches Orchester des Staatstheaters Cottbus

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