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Opern-Kritik: Staatstheater Meiningen – Didone abbandonata

Erlesenes Kammerspiel

(Meiningen, 19.9.2025) Die deutsche Erstaufführung der anno 1724 in Neapel aus der Taufe gehobenen Opera seria „Didone abbandonata“ des Domenico Sarro ist eine famose Neu- und Wiederentdeckung.

vonMichael Kaminski,

Karthago ist ein Salon. Zwar bieten dessen Wände gemalte Ausblicke auf weit sich hinstreckende Palastarchitekturen, turmbewehrte Befestigungs- und Hafenanlagen, das Meer und den Schiffsverkehr darauf, doch was für Domenico Sarros auf Pietro Metastasios frühestem Libretto fußende Opera seria „Didone abbandonata“ wirklich essentiell ist, fügt sich in Königin Didos Gemächer: der Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Längst hat die Flucht der Monarchin vor familiären Intrigen ein Ende gefunden; sie hat Karthago gegründet, die Metropole blüht und gedeiht. Die Staats- und Erfolgsfrau kann sich leisten, dem Flüchtling Aeneas Asyl und Liebe zu gewähren. Wenn es diesen zum eigenen Aufbauwerk gen Italien fortzieht, so brüskiert er eine Frau von enormer Charakterstärke und nicht minderer Verletzlichkeit. /Dietrich Hilsdorf entlockt am Meininger Staatstheater der barocken Affektpsychologie des 1724 in Neapel uraufgeführten und sich in Windeseile durch ganz Europa bis hin in die heutige Slowakei verbreitenden Werks seelische Regungen, die auf Ibsen oder gar Sartre vorausweisen. Hilsdorf hebt Sprech- und Musiktheater ineinander auf. Dass Metastasios Verse und Sarros Partitur dies zulassen, spricht allein schon für den Rang ihrer „Verlassenen Dido“.

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Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen

Vielschichtige Frauen, eindimensionale Männer

Bei Hilsdorf sitzen jeder Blick und jede Geste: Wenn Dido angesichts des sich davon machenden Geliebten souveräne Statur anzunehmen sucht und ihn – ausnahmsweise auf Deutsch – heißt, wozu er sich ohnehin anschickt, nämlich sich zu entfernen, dann zeigt sich darin beides, die königliche Größe und die ganze Tragik von Karthagos Monarchin. Im geringschätzigen Blick, mit dem Aeneas gleichzeitig die von ihm begnadigte Intrigantin Osmida und die ihn heimlich liebende Selene – Didos Schwester – bedenkt, schleicht sich Misogynie. Auch daher wohl gehört Hilsdorfs Solidarität den Frauen. Die Tragik der zwischen Liebe zur Schwester und zu Aeneas hin- und hergerissenen Selene steht der Didos nicht nach. Hingegen bleibt der Trojaflüchtling, obschon über seinen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung wort- und koloraturenreich lamentierend, eher eindimensional. Erst recht Maurenherrscher Iarba, der Karthagos Königin in die Ehe mit ihm zu zwingen trachtet. Und weil verschmäht, die blühende Metropole in Schutt und Asche legt. Hilsdorfs Salonkarthago stürzt ein, weil die ganze Stadt in Flammen aufgeht. Schade um beide. Jedenfalls, wenn die Stadt hielt, was die Wandmalereien versprachen.

Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen

Erlesen wie Innenarchitektur und Mobiliar sind die Kostüme, in die Christian Rinke die Personnage hüllt. Bei Selene knistert die Seide, und der Brokat für die Titelfigur wiegt beinahe so schwer wie die Bürden der Staatspflichten und privaten Empfindungen. Umstandslos kommt der Krieger in Aeneas zum Vorschein, wenn er höfischen Frack und zierliche Weste abwirft, um im ledernen Brustpanzer dazustehen.

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Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen

Musikalisch bezwingend

Dass die Meininger Sarros lange beinahe vergessene Oper ausgraben konnten, verdankt sich der Sammelleidenschaft Herzog Anton-Ulrichs von Sachsen-Meiningen (1687-1763), der das Werk bei einem seiner Wienaufenthalte abschreiben ließ, um es seiner Musikaliensammlung einzuverleiben. Im Kontext der Jubelfeiern anlässlich des 200. Wiegenfestes seines Urenkels Georg II. – des „Theaterherzogs“ – gelangt die Rarität nun auf die Bühne des einstigen Hoftheaters. Als ein schönes Zeugnis für das Zusammenwirken von Intendant Jens Neundorff von Enzbergs mit der „Sammlung Musikgeschichte“ der Meininger Museen. Zumal in einer Inszenierung, deren musikalische Seite ebenso besticht wie die szenische. Hochelegant, geschmeidig, flexibel und zugleich Figuren, Situationen und Empfindungen genauestens umreißend, geht Samuel Bächli mit der Meininger Hofkapelle ans Werk, als hätten sich Kapellmeister und Klangkörper Dramen und Romane von Marivaux anverwandelt.

Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Didone abbandonata“ am Staatstheater Meiningen

Gesungen wird ausgezeichnet. Für die Titelfigur bewegt sich Lubov Karetnikova sanglich bis in die Koloraturen hinein ganz auf der Linie von Schönheit, Empfindung und Noblesse. Als einziger Gast in der sonst durchweg aus dem eigenen Haus besetzten Produktion fügt sich der Aeneas von Meili Li ins formidable Ensemble. Hilsdorfs Sichtweise entsprechend, gibt sich Li eher von seiner prekären Lage peinlich berührt als von Zuneigung zur Gebieterin über Karthago. Ins Gemüt greift, wie Monika Reinhards Selene von ihrer heimlichen Liebe zum migrantischen Trojanerprinzen emotional auf die Folter gespannt wird. Marianne Schechtel ist ein durch und durch macchiavellistischer Maurenkönig Iarba. Hannah Gries stichelt als Ränkeschmiedin Osmida wider ihre Königin und Aeneas. Obschon über satten Tenor verfügend, wirbt der maurische Botschafter Araspe in Gestalt von Garrett Evers glücklos um Selene.

Staatstheater Meiningen
Sarro: Didone abbandonata

Samuel Bächli (Leitung), Dietrich W. Hilsdorf (Regie & Bühne), Janine Hoffmann (Realisierung Bühne), Christian Rinke (Kostüme), Lubov Karetnikova, Meili Li, Marianne Schechtel, Monika Reinhard, Hannah Gries, Garrett Evers, Meininger Hofkapelle






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