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Opern-Kritik: Theater Aachen – Die Zauberflöte

Märchenhafte Familienunterhaltung

(Aachen, 8.12.2024) Es funktioniert eben doch bestens, Mozarts immergrünes Meisterwerk schnörkellos am Stücktext entlang zu erzählen, wie es Regisseurin Geertje Boeden im klassizistisch inspirierten Ambiente tut.

vonMichael Kaminski,

Der Säulenportikus des Aachener Theaters zählt – wie auch der nahe Elisenbrunnen – zu den bedeutenden Bauten des preußischen Klassizismus. Beide sind Werke des heimischen Architekten Johann Peter Cremer. Doch mehr noch: Cremers Entwürfen verlieh niemand Geringerer als dessen Vorgesetzter Karl Friedrich Schinkel letzten Schliff. Für das Theater der Kaiserstadt Anlass genug, um im 200. Jahr seines Bestehens die ikonischen Bühnenbildentwürfe des preußischen Geheimen Oberbaurats fürs Heute zu revitalisieren. Zumal sich mit Tim Berresheim ein der Digitalität verschriebener bildender Künstler in räumlicher Nachbarschaft des Hauses angesiedelt hat. Das Gute scheint daher nahe zu liegen. Was dann auf der Aachener Bühne zu besichtigen ist, gibt sich als nahezu treue Reproduktionen des Sternenzelts für die Königin der Nacht und Sarastros Garten einerseits, andererseits als überwiegend freier und assoziativer Umgang mit einzelnen Elementen der Schinkelschen Entwürfe zu erkennen.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“

Launig-farbenfrohe Settings aus dem Geiste des Klassizismus

Dreidimensionale Säulen, auf Kulissenschals gemalte oder mindestens scheinbar mit dem Pinsel ausgeführte Architekturen samt ganz offensichtlich digital generierter und neckisch durcheinanderpurzelnder Versatzstücke aus den Dekorationen des Geheimen Oberbaurats ergänzen sich wechselseitig zu launig-farbenfrohen Settings. Keine Spur von der bezwingenden Synthese aus klassizistischer Strenge und romantischer Poesie, wie sie die Gouachen Schinkels auszeichnet. Dafür kunterbunt-märchenhaftes Theater für die ganze Familie. Kindgerecht sind eine ganze Reihe von Vorstellungen am Morgen oder frühen Abend angesetzt.

Zuerst die Bilder, dann die Regie

Fantasy und Märchen bestimmen denn auch die Gewandungen. Kostümbildnerin Sarah Antonia Rung teilt Berresheims Vorliebe für Mischexistenzen: die Vogelmenschen Papageno und Papagena ebenso wie die Sphingen in Sarastros Garten. Die Frauen des nächtlichen Reiches sind hybride Wesen aus Mensch und Pflanze. Sarastro und seine Priesterschaft zieren Reptilienschwänze. Allein Tamino darf ganz Mensch bleiben. Der Prinz scheint wie durch ein Wurmloch in ein fremdes Universum gefallen. Bei solcher Bilderflut gerät Regie zur Nebensache; sie ist immerhin vorhanden. Doch beschränkt sich Geertje Boeden wiederholt auf dem vielteiligen Bühnenbild willfahrende Arrangements. Meist aber erzählt Boeden schnörkellos am Stücktext entlang. Der charmanteste Einfall bleibt bis zum Schluss aufgespart: Noch im Finale zeigen sich Sarastro und Königin der Nacht versöhnungsunwillig, bis sie das Vogelmenschenpaar gegeneinander schubst und zum den Frieden besiegelnden Handschlag nötigt. Die Situation ist gerettet. Es jauchzet Groß und Klein.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“

Vokal auf der Erfolgsspur

Musikalisch ist vieles auf der Habenseite zu verbuchen. Chor und Extrachor des Hauses unter Jori Klomp agieren vokal raumgreifend. Selbstredend lässt sich Christopher Ward mit dem Sinfonieorchester Aachen historisch informiert vernehmen. Gewiss werden die Streicher im Lauf der Aufführungsserie an Drive und Glanz zulegen. Ángel Macias gibt einen akzeptablen Tamino. Strahlkraft in den Höhen und Phrasierungskunst sind ausbaufähig. Laia Vallés verkörpert eine Pamina aus dem Hör- und Bilderbuch. Lyrik und charakterliche Courage gehen bei Vallés vokal und spielerisch Hand in Hand. Seinen Sarastro salbt Sung Jun Cho mit vokalen Spezereien aus dem gehobenen Segment. Alma Ruoqi Sun beweist stimmliche Wendigkeit und tupft ihre Königinnen-Spitzentöne ins Auditorium. Jorge Ruvalcabas Papageno ist der stimmlich-spielerische Sympathiebolzen, der er sein soll. Ihm zur Seite steht Evelyn Grünwald als quicke Papagena.

Theater Aachen
Mozart: Die Zauberflöte

Christopher Ward (Leitung), Geertje Boeden (Regie), Tim Berresheim (Bühne u. Video), Sarah Antonia Rung (Kostüme), Manuel Michels (Licht), Jori Klomp (Chor), Ángel Macias, Jorge Ruvalcaba, Laia Vallés, Evelyn Grünwald, Eva Diederix, Irina Popova, Anne Lafeber, Alma Ruoqi Sun, SungJun Cho, Ronan Collett Andreas Joost, Lotta Bongers, Julia Els, Darya Özdemir, Keara Lindert-Knöppel, Noah Gerstenhauer, Julia Weber, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor und Extrachor Aachen



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