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Operetten-Kritik: Theater Hof – Die Bajadere

Emanzipation und Dekolonialisierung mit hohem Unterhaltungswert

(Hof, 19.12.2025) Regisseur Oliver Pauli weist am Theater Hof in Emmerich Kálmáns „Die Bajadere“ mit Charme und Eleganz auf die Zwiespältigkeit von „kultureller Aneignung“ hin.

vonMichael Kaminski,

Da steht sie, die völlig emanzipierte Frau von 1921, dem Uraufführungsjahr von Emmerich Kálmáns Operette „Die Bajadere“. Nicht einmal am Avancement zur Königin des indischen Lahore liegt ihr, wäre sie doch in diesem Fall lediglich die Gattin an der Seite des Monarchen, ein Anhängsel. So zieht denn Odette Darimonde allen güldenen Diademen die Federkrone auf ihrem Haupt vor. Der Star des mit dem Titel von Kálmáns Operette synonymen Zugstücks im Pariser Théatre du Chatelet erträgt allenfalls einen Prinzgemahl an ihrer Seite, niemals einen gleichberechtigten Partner. Wirklich entsagt Thronfolger Radjami von Lahore seinem Anspruch auf das Herrscheramt um Odettes und ihrer Karriere willen. Der hohe Preis trägt vom Prinzen akzeptierten Lohn ein: Künftig – das Verb ist hier tatsächlich am Platz – „duldet“ die Darimonde den auf die Bretter des Chatelet umgesiedelten Hochadligen als Bühnenpartner und im Privatleben. Die Frage ist nur: Wie lange?

Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof
Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof

Ein Inder in Paris

So liest es sich gewiss nicht im Opern- und Operettenführer, dort wird über des Paares Entschluss zur Krönung in Lahore informiert. Regisseur Oliver Pauli hat das Finale für seine Premiere am Theater Hof umgeschrieben. Der Grund leuchtet ein: Folgerichtig zieht Pauli seine Schlüsse aus Wesen und Sozialisation von Prinz und Diva. Seit anderthalb Jahrzehnten hat der junge Mann Indien nicht gesehen. Beinahe zur Gänze ist er dem Pariser Fluidum erlegen. Seine Rückkehrbereitschaft auf den Subkontinent hält sich in engen Grenzen. Das Bühnen-Lahore ist ihm näher als das tatsächliche Königreich. Die authentische Bajadere tanzt für ihn nicht in Indiens Tempeln, sondern auf der Bühne des Chatelet. Der Prinz aus exotischen Fernen sieht Land und Leute seiner Herkunft mit europäischen Augen.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof
Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof

Ungewöhnliche und entschiedene Sicht auf kulturelle Aneignung

Unter Einsatz beträchtlicher Dosen von Charme und Eleganz verweist Pauli auf die Zwiespältigkeit dessen, was unter „kultureller Aneignung“ zu verstehen ist. Der Prinz muss nicht dekolonialisiert werden, er gibt sich dem Zauber der Seinemetropole hin. Aus deren Reizen und dem Widerschein Indiens im Pariser Unterhaltungstheater seine ganz eigene Welt mit der „Bajadere“ Darimonde im Zentrum imaginierend, gelingt ihm höchstselbst die Befreiung aus den Banden des Kolonialismus. Zumal der Thron, der ihm in Aussicht steht, jener einer Klientelmonarchie von Gnaden des Vereinigten Königreiches ist. In Paris ist dem Prinzen ein britischer Oberst vorgeblich als Ordonnanz, tatsächlich als Aufpasser an die Seite gegeben. Durch seinen Thronverzicht und den Entschluss, in Paris zu bleiben, ist Radjami die britische Kolonialmacht los.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof
Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof

Fröhliche Libertinage

Paris als Stadt der Liebe zeigt seine offen erotische Seite, wenn das Buffo-Terzett (sic!) aus Marietta und den ihr in fliegendem Wechsel angetrauten, von ihr geschiedenen und neuerlich geehelichten Herren Napoleon St. Cloche und Louis Philipp La Tourette über die Bühne wieselt und fegt. Entscheiden sich Marietta und ihre Galane am Ende zu einer offen gelebten Ménage à trois, dann sieht Spielleiter Pauli darin die Institutionalisierung der Dreiecksbeziehung. Prosit! – Das Terzett zeigt sich in Barbara Busers Choreografie tänzerisch gut aufgelegt. Überdies sorgt das Ballett des Hauses für Moulin-Rouge- und Zwanzigerjahre-Flair.

Alles dies siedelt Bühnen- und Kostümbildnerin Esther Bätschmann in einem grafisch perfekten perspektivisch gestaffelten Raum aus Scheiben mit kreisrunden Öffnungen an. Vorhänge und wenige Requisiten erlauben die rasche Verwandlung vom Theater in Ballsaal und Café. Odette präsentiert sich auf der Bühne des Chatelet in großer Revue-Aufmachung, zivil im weißen Marlene-Frack. Auch der Prinz ist Frackträger, freilich mit indischen Schärpen.

Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof
Szenenbild aus „Die Bajadere“ am Theater Hof

Bezwingende Diva und tenorale Noblesse

Wie szenisch, so nimmt die Hofer „Bajadere“ auch musikalisch für sich ein. Unter Ruben Hawer agiert der Chor des Hauses spielfreudig und vokal zugleich präzise und beschwingt. „Die Bajadere“ ist eine Hybridform aus Operette und in etlichen Passagen des zentralen Paars opernhafter Faktur. Am Pult der Hofer Symphoniker wird Michael Falk beiden Anteilen der Partitur gerecht. Kapellmeister und Klangkörper entfalten die opernnahen Züge, ohne sie übermäßig vom musikalischen Unterhaltungstheater abzurücken.

Annina Olivia Battaglia war Mitglied des Detmolder Opernstudios und hatte am dortigen Landestheater Gelegenheit, an der Seite einer ausgezeichneten Operettendiva zu agieren. Jetzt ist sie selbst eine. Und was für eine! Battaglia gebietet für die Titelpartie vokal über satte Tiefe, bestrickende Mittellage und glanzvolle Höhe. Minseok Kim verleiht dem Prinzen Radjami von Lahore menschlich gewinnende, tenorale und spielerische Noblesse und lyrische Emphase. Flott und fesch nimmt sich Inga Lisa Lehrs Marietta ohne Umschweife von ihren beiden Galanen, wonach sie jeweils verlangt. Ein Buffotenor, wie aus dem Handbuch für’s Stimmfach bestellt, verkörpert Markus Gruber ihren Liebhaber und späteren Ehemann Napoleon St. Cloche. Vokal wendig gibt Buffotenor-Kollege Thilo Andersson Mariettas Ehemann und in der Folge Geliebten Louis Philippe La Tourette.

Theater Hof
Kálmán: Die Bajadere

Michael Falk (Leitung), Oliver Pauli (Regie), Esther Bätschmann (Bühne & Kostüme), Barbara Buser (Choreografie), Jürgen Burger (Licht), Ruben Hawer (Chor), Annina Olivia Battaglia, Minseok Kim, Inga Lisa Lehr, Markus Gruber, Thilo Andersson, Peter Potzelt, Hans-Peter Pollmer, Hyo-Seob Yun, Christiane Seidel, Annett Tsoungui, Magda Chichiashvili, Amy Brinkman-Davis, Franziska Petschan, Hofer Symphoniker, Chor des Theater Hof, Ballett des Theaters Hof






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