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Reportage: Orgelretter Sixtus Lampl

Ein Heim für Orgeln

Der oberbayerische Orgelpapst Sixtus Lampl hat sechzig Instrumente der sicheren Verschrottung entrissen – jetzt plant er die Öffnung eines Museums.

vonChristian Schmidt,

Valleys Kulisse würde jedem oberbayerischen Heimatfilm zur Ehre gereichen. Vom Horizont lockt das Wendelsteingebirge, neben der Schlossbrauerei grasen Kühe, die Kirche bimmelt in geordneter Regelmäßigkeit. Auf dem Dorfplatz beim Schlosswirt genehmigen sich Herren mit grau meliertem Haar ihr Feierabendbier. Wenn es nicht allzu sehr stürmt und schneit, sieht man Sixtus Lampl hier jeden Nachmittag gegen halb fünf Uhr mit Frau und Hund durch den Ort spazieren. An jeder Ecke des 3500-Seelen-Dorfs am Flüsschen Mangfall wird er mit Respekt, gar Ehrfurcht gegrüßt. Denn der inzwischen Achtzigjährige hat Valley berühmt gemacht in seiner Welt. Sixtus Lampl ist der Orgelpapst von Oberbayern.

Christlich-abendländische Großleistung

Gezündet hat diese Liebe bei dem Bauernjungen aus dem nahen Schliersee schon, als er mit elf Jahren in ein Klosterinternat am Starnberger See aufgenommen wurde. Das Tastenwunderwerk ließ den Musikfanatiker fortan nicht mehr los. Es gilt ihm als „Großleistung der christlich-abendländischen Kultur“, als eine der ältesten musikalischen Errungenschaften, in Deutschland seit dem neunten Jahrhundert nachweisbar. Und die Orgel begleitet den promovierten Kunsthistoriker bis heute. Erst als Hobbyorganist, später als Landesdenkmalkonservator und Orgelreferent für ganz Bayern.

In dieser Zeit begann die Liste seiner Ehrungen und Würdigungen, Bücher und Konzerte. Und seine Begeisterung für bedrohte Instrumente, besonders jene, die gar nicht kaputt waren, sondern nur aus der Mode. Etwa die aus der Landshuter Martinskirche, die einfach nur einem neuen Instrument weichen sollte. Lampl suchte für den Altbau von 1914, die letzte große romantische Orgel in Bayern, ein neues Zuhause – und blieb erfolglos. Also kaufte er sie schließlich selbst, hatte aber keine bleibende Statt für sie, wie es in der Bibel heißt. Fündig wurde er schließlich im Alten Schloss Valley im Landkreis Miesbach, das zuvor Michael Ende gehört hatte und eine ziemliche Ruine war. Ab 1987 restaurierte er das Haus mit seiner Frau und zog mit der Orgel ein.

Ein Leben für die Orgel: Sixtus Lampl
Ein Leben für die Orgel: Sixtus Lampl

„Damit hat das wohl alles angefangen“, sagt „der Lampl“, der häufig selbstironisch in der dritten Person über sich spricht. Stolze sechzig Orgeln hat er im Laufe der Zeit hier zusammengetragen, 24 davon sind spielbar. Er hat sie vor modernisierungswütigen Organisten, ahnungslosen Denkmalschützern oder geschichtsvergessenen Kirchgemeinden gerettet, vor dreisten Pfeifendieben, verschwenderischen Ignoranten und sturen Diözesanbeamten.

„Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs waren die Kirchen im Westen dank der Wirtschaftswunderjahre zu Geld gekommen und schmähten das romantische Klangideal“, kann sich der alte Herr unermüdlich echauffieren. „Daher ersetzten sie reihenweise ihre teils sehr gut erhaltenen Instrumente durch neobarocke, die seit einer Freiburger Orgeltagung 1937 als modern galten, weil damals die Restaurierung eines barocken Instruments gelungen war.“

Denkmalschutz aus Geldmangel

In Ostdeutschland dagegen, wohin Lampl regelmäßig Exkursionen per Busreise führt, leistete der notorische Geldmangel ironischerweise dem Denkmalschutz gute Dienste, denn er sorgte für den Erhalt der heute wieder geschätzten riesigen romantischen Orgeln. Die hatten sich zur Zeit ihrer Entstehung von ihrer liturgischen Funktion emanzipiert, waren für üppige solistische Konzerte konzipiert und den ausufernden Orchesterbesetzungen angepasst worden – mit einer immensen Fülle neuer Register und damit klanglicher Möglichkeiten.

Die Zollingerhalle auf dem Schlossgelände bietet eine hervorragende Akustik für Konzerte
Die Zollingerhalle auf dem Schlossgelände bietet eine hervorragende Akustik für Konzerte

Natürlich hat „der Lampl“ nicht nur die Landshuter Orgel oder jene aus dem Münchner Liebfrauendom gerettet, sondern auch viele kleinere Instrumente, für die sich niemand mehr interessieren wollte. Doch er brauchte immer mehr Platz für seine Sammelleidenschaft. So holte er nicht nur einen barocken Bundwerkstall für zehntausende einzulagernde Pfeifen auf sein immer weiter wachsendes „Orgelzentrum“-Gelände, sondern auch eine tragbalkenfreie ehemalige Sägewerkshalle aus einem Nachbarort. Mit ihrer genialen Dachkonstruktion versetzter Bretterkassetten erwies sie sich auch akustisch als Glücksfall, so dass hier nicht nur Orgeln gehütet werden, sondern erklingen dürfen. Auch Lampls Chöre und Orchester geben hier Konzerte, und die Gemeinde mietet die Halle für Trauungen.

Zwischendurch total pleite

All das kostete nicht nur viele Nerven, sondern verschlang auch immense Kosten, die Lampl mit seinem Bauernhoferbe und dank zahlreicher Zuschüsse und Zustiftungen tragen konnte. Aber er verhehlt auch nicht, dass er „zwischendurch total pleite“ war. Fragt man den Orgelvater, wie er das alles macht, antwortet er in seiner unnachahmlich trockenen Weise: „Bei so vielen bürokratischen Hürden und Problemen wäre ein anderer wahrscheinlich längst ausgestiegen. Und bisher haben ja alle gesagt, der Lampl ist schon so alt, wie soll das weitergehen?“

Doch auch dafür ist gesorgt. Seine zahlreichen Helfer stehen Gewehr bei Fuß und müssen nur angerufen werden. Wenn ein Handwerker gebraucht wird, findet er sich im örtlichen Männergesangsverein, den selbstredend nur einer leiten kann. Lampls Orgelfreunde aus ganz Deutschland gründeten im August zusammen mit dem ortsansässigen Förderverein eine Stiftung. Unter dem Vorsitz des emeritierten Bürgermeisters Andreas Hallmannsecker soll sie nicht nur Lampls Lebenswerk sichern, sondern auch den bisher recht hemdsärmelig organisierten Konzert- und Führungsbetrieb professionalisieren.

Rund sechzig Orgeln haben in Valley ihr neues Zuhause gefunden
Rund sechzig Orgeln haben in Valley ihr neues Zuhause gefunden

„Wir wollen hier ein richtiges Orgelmuseum gründen“, sagt Hallmannsecker, mit festen Öffnungszeiten und Mitarbeitern für Einlass und Aufsicht, barrierefrei und mit digitaler Technik. Gegen Widerstände seiner ehemaligen Denkmalschutzkollegen setzte Lampl dafür den Bau einer weiteren Halle und den Kellerdurchbruch zwischen Schloss und Konzerthalle durch, wo dann auch eine echte Kinoorgel mit Leinwand zu bestaunen sein wird, dazu ein begehbares Instrument. Und das Fachwissen? Haben bereits drei Fördervereinsmitglieder geerbt, die sich bestens mit den Pfeifenwundern auskennen und selbst auch Führungen anbieten können. Trotz alledem: „Für das, was der Sixtus noch vor hat, muss er hundert Jahre alt werden“, sagt Hallmannsecker. Und der ehrfürchtige Mann sagt das voller Bewunderung, meint es in vollem Ernst.

Nicht vom Alter, sondern von den Spieltischen gebeugt: Sixtus Lampl

Aber kommen nun noch weitere Orgeln hinzu? „Wir haben keinen Platz, der Bestand wird nicht mehr vergrößert“, sagt Sixtus Lampl. Wenn man den alten, hellwachen Mann sieht, wie er – wohl nicht vom Alter, sondern von den Spieltischen seiner Instrumente gebeugt – mit Trachtenhemd und Filzhut in seiner Orgellandschaft steht, hat man seine Zweifel. Wenn es hart auf hart käme, weil irgendein Schatz von irgendwoher sonst für immer verloren wäre, dann würde er wohl doch wieder schwach, der Lampl.

Weitere Infos gibt es unter: www.lampl-orgelzentrum.com

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