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Albumfenster: Duo Praxedis

Zwei Rosenkavalierinnen vereint zum Gesamtkunstwerk

Das Schweizer Duo Praxedis lässt seit 15 Jahren die Tradition des Duos von Harfe und Klavier neu aufleben. Die aktuelle CD „Baba Bussi“ bettet Johann Strauss in die Geschichte der Salonmusik von Schubert bis Kreisler ein und weist musikalisch weit über einschlägige Klischees hinaus.

Dass Familienmitglieder sich zu Ensembles zusammenschliessen, ist unter Musikern keine Seltenheit. Aber selten ist deren Bindung so eng wie im Fall des Schweizer Klavier- und Harfenduos Praxedis. Die Namen der beiden Musikerinnen ähneln sich fast wie ein Zwilling dem andern. Und doch haben hier zwei Generationen zusammen gefunden: Die Mutter und Harfenistin Praxedis Hug-Rütti und deren Tochter, die Pianistin Praxedis Geneviève Hug.

Dass die beiden Schweizer Musikerinnen – zusammen mit Praxedis Hug-Rüttis Mann – in Zürich und in der Zentralschweiz im selben Haushalt wohnen, hat dabei praktische Gründe. «Weil wir uns gut verstehen und das für die Zusammenarbeit praktisch ist, hat sich das ganz natürlich so ergeben», lacht die Tochter. «Wir können so auch mal nachts in letzter Minute arbeiten.» Im Voraus geplant war dies jedoch nicht. „Geneviève wollte als Kind zuerst Harfe lernen, einfach weil sie das von mir kannte“, erzählt die Mutter: „Ich schlug ihr stattdessen das Klavier vor, von dem man später auch gut zur Harfe wechseln kann. Aber sie blieb dann später einfach beim Klavier.“

Alles begann mit einem Hauskonzert

Auf die Idee, in dieser heute exotisch wirkenden Besetzung gemeinsam zu Musizieren, wären sie aber nicht von selber gekommen. Erst als ein Freund sich von ihnen ein gemeinsames Hauskonzert wünschte, kamen sie auf den Geschmack. „Wir arrangierten Mozarts Sonate für zwei Klaviere für Klavier und Harfe und stellten fest, dass sich die beiden Instrumente wunderbar ergänzen“, erzählt die Mutter.

Bald entdeckten sie, dass sich die Kombination für ein breites Stilspektrum eignet. Die CD-Aufnahmen und Konzerte des Duos dokumentieren das vom Barock (Bachs Goldberg-Variationen) über originale Salon-Literatur aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu Astor Piazzolla, Chillout-Jazz und Auftragswerken von zeitgenössischen Komponisten wie dem Schweizer Carl Rütti, dem Bruder der Harfenistin. Auf der Suche nach Originalliteratur stellten sie fest, dass Duos mit Klavier und Harfe in der Salonkultur von etwa 1750 bis nach 1900 fest etabliert waren. „Franz Liszt trat zum Beispiel mit dem damals berühmtesten Harfenisten, Elias Parish-Alvars auf. Und dieser bildete mit dem Pianisten Carl Czerny sogar ein festes Duo“, sagt Praxedis Geneviève Hug, die mit kriminalistischem Spürsinn in Bibliotheken nach unbekannter Literatur forscht: «Aber auch andere Klaveervirtuosen wie Johann Dussek oder Friedrich Kalkbrenner traten im Duo mit Harfe auf.»

Duo Praxedis
Duo Praxedis

Harfe und Flügel verschmelzen zum Hybridinstrument

Das ist insofern erstaunlich, als beide Instrumente mit der Möglichkeit zum akkordischen Spiel sich selbst genügen und ihnen dafür ein Melodieinstrument fehlt. «Ein Reiz liegt gerade darin, dass sich beide Instrumente ähnlich und klanglich trotzdem sehr verschieden sind», sagt die Harfenistin Praxedis Hug-Rütti: «Zudem verfallen wir nicht ins Muster, dass die eine die andere nur begleitet».

In ihren eigenen Arrangements liegt die Kunst darin, die unterschiedlichen Möglichkeiten beider Instrumente zur Geltung zu bringen. «Leidenschaftliche Dramatik», räumt Praxedis Hug-Rütti ein, «ist auf der Harfe nicht zu schaffen». Dafür ist das Klavier zuständig, und da kommt Praxedis Geneviève Hug zugute, dass sie sich in ihrer Solo-Karriere als Pianistin auf das Werk von Franz Liszt spezialisiert hat: «Liszts Klaviertechnik ermöglicht nicht nur einen vollen Klang, sondern auch eine filigrane Leichtigkeit, die sich gut mit der Harfe verbindet.»

Die Glissandi und Arpeggi der Harfe verweisen dagegen auf eine Klangeigenschaft, die dieses Instrument gegenüber dem Flügel voraus hat. Die Tochter nennt es den «offenen Klang»: «Anders als beim Flügel schwingen die Saiten bei der Harfe frei weiter, ohne dass es wie eine Sauce klingt.» Glissandi sind noch aus einem anderen Grund eine Spezialität auf diesem Instrument: «Mit den sieben Pedalen – drei auf der linken, vier auf der rechten Seite – kann ich jeden Ton um einen Halbton erhöhen oder erniedrigen», erklärt die Mutter: «Dadurch kann man auf der Harfe Glissandi über bestimmte Akkorde spielen und nicht nur, wie beim Klaver, auf den schwarzen oder weissen Tasten».

Duo Praxedis
Duo Praxedis

Walzerschwung mit fein verästeltem Innenleben

Mit all diesen Möglichkeiten eignen sich auch orchestrale Werke für Arrangements für diese Besetzung, wenn sie «nicht zu monumental sind.» Das zeigen die raffinierten – eigenen – Arrangements auf der aktuellen Doppel-CD «Baba Bussi». Der österreichische Ausdruck (etwa «Tschüss, Küsschen») verweist auf Wien und rückt zu seinem 200. Geburtsjahr der Wiener Walzerkönig Johann Strauss mit Walzern und Polkas ins Zentrum. Darum herum zeigen Stücke von Schubert bis zu Fritz Kreisler, wie sich diese Tanzmusiktradition aus Hauskonzerten entwickelt und bis in die Salonkultur um 1900 fortgesetzt hat.

Der Reiz der Arrangements der Werke von Strauss liegt darin, dass sie deren Innenleben kammermusikalisch fein auffächern und doch den Schwung und rauschhaften Klang suggerieren, den man von den Orchesterfassungen kennt. Walzerseligkeit stellt sich etwa im «Du und Du»-Potpourri (nach Strauss` «Fledermaus») oder im Klassiker «Wiener Blut» ein, wo vollgriffige Akkorde des Klaviers von den Arpeggi der Harfe klangvoll gedehnt und aufgefächert werden. Die zahlreichen Lagenwechsel – bis hin zu singenden Tenormelodien des Flügels – simulieren instrumentale Farben und Registerwechsel. Das Grundmuster, in dem klar gezogene Melodielinien und markante Bässe des Tasteninstruments eingesponnen werden in duftig-zauberische Klangschleier der Harfe, wird dabei vielfältig variiert und umgekehrt. Wenn sich in der «Indigo Quadrille» der glöckelnde Klavierton mit spinnwebenzarten Harfenfigurationen vermischt, klingt diese Duo-Kombination wie ein überdimensionales Hybridinstrument.

Man kann sich diese Strauss-Adaptionen gut im Ambiente von Schlosssälen vorstellen, in denen sich das Duo Praxedis bis hin zum verspielt-eleganten Outfit (auch das Eigenkreationen) als massgeschneidertes Gesamtkunstwerk präsentiert. Die Bearbeitungen von Ländlern Schuberts verweisen dagegen mehr auf eine intime Hausmusik, obwohl selbst hier das natürliche Grundmuster – mit Melodie und Bass im Klavier und einem farbigen Mittelbau der Harfe – vielfältig variiert wird.

Überraschungen und Entdeckung zwischen «Rosenkavalier» und Prokofjew

Die grössten Überraschungen und Entdeckungen finden sich aber auf der zweiten CD, die stärker auch mal eines der beiden Instrumente in den Vordergrund rückt. So werden Prokofjews Bearbeitungen von Schubert-Tänzen hier zu einem pianistischen Paradestück, bei dem der kraftvoll-saftige Klang des Flügels von der Artikulation der Harfe zugespitzt wird. Im Walzer aus Richard Strauss` «Rosenkavalier» (ein Höhepunkt dieser Doppel-CD) durchmischen sich die beiden Instrumente zu einer grossorchestral anmutenden, intensiv und geschmeidig ausgedeuteten Kammermusik. Die Harfe entführt in Leopold Godowskys fein verästeltem «Alt Wien» in ein Feenreich zauberischer Klangeffekte. Und wenn sich in Werken von Fritz Kreisler pianistische Virtuosität («Caprice Viennois»)  und träumerischer Feinsinn der Harfe («Liebesleid») abwechseln, stellt man am Ende erstaunt fest, dass man sich an diesen raren Klangmixturen noch immer nicht satt gehört hat.

Da hat man eindeutig Lust auf mehr. Befriedigen soll diese eine vom Duo gegründete Stiftung, die diese Besetzung populärer machen will. Sie wird Arrangements und einen Teil der Originalliteratur für Harfe und Klavier – schätzungsweise über 700 Stücke – anderen Musikern zugänglich machen. Praxedis Geneviève Hug arbeitet zudem in einem Buch die Geschichte der Klavier-Harfe-Duos im 19. Jahrhundert auf. Das dürfte auch Veranstaltern helfen, die nicht wissen, wo sie das Duo einordnen sollen. «Als Solo-Instrumente erwartet man Klavier und Harfe in einem Rezital, aber im Duo sind sie doch Kammermusik», lacht Praxedis Geneviève Hug. Auf CD allerdings, das zeigen diese Aufnahmen, sind sie wunderbar Eins.

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