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Blickwinkel: Ilona Schmiel – Internationaler Frauentag

„Mehr Mut zum Risiko!“

Im Blickwinkel-Interview zum Internationalen Frauentag macht Ilona Schmiel, Intendantin der Tonhalle Zürich, Frauen Mut, mehr Führung zu wagen.

vonSusanne Bánhidai,

Ilona Schmiel begab sich schon in jungen Jahren in die Verantwortung einer Leitungsposition. Nach vier Jahren als Leiterin der „Glocke“ in Bremen wurde sie Intendantin des Bonner Beethovenfests. Heute ist sie Intendantin der Tonhalle Zürich.

Warum ist der Internationale Frauentag für Kulturschaffende wichtig?

Ilona Schmiel: Generell ist er für alle Frauen auf dieser Welt wichtig. Und wenn ich auf die Kulturbranche schaue, ist er sehr wichtig. Was mich nach wie vor umtreibt ist die Tatsache, dass Frauen in Führungspositionen stark unterrepräsentiert sind. Das gilt für die erste wie auch für die zweite Führungsebene. In der gesamten Frage nach der Gleichstellung von Männern und Frauen, die dieser Tag mit impliziert, muss nachgearbeitet werden. Das gilt für Positionen, finanzielle Gleichstellung und vor allem für die Frage, wie und welche Werte vermittelt werden.

Stichwort „Gläserne Decke“ im Beruf, die viele Frauen nicht durchbrechen können. Man arbeitet sich voran, aber ganz nach oben kommt man nicht. Woran liegt das?

Schmiel: Dafür gibt es drei Gründe. Es gibt noch zu wenige Rollenmodelle, an denen man sich abarbeiten, zu wenige Frauen in ähnlicher Lage, mit denen man sich austauschen kann. Ich kann jeder Frau nur raten, sich eine Mentorin – oder auch einen Mentor – zu suchen und den Weg an die Spitze gemeinsam zu diskutieren. Ein weiterer Grund liegt in den noch stark von Männern dominierten Strukturen. Das ist sicher auch länderspezifisch etwas unterschiedlich. Aber die Auswahlprozesse, wer nach oben kommt, werden sich erst ändern, wenn auch bei den Auswählenden eine gleiche Verteilung der Geschlechter herrscht. Das gilt für Führungspositionen genauso wie für Auszeichnungen. Wenn Jurys, Head-Hunting-Systeme und Findungskommissionen paritätisch besetzt sind, wird es leichter. Und der dritte Punkt ist gleichzeitig ein Appell: mehr Mut zum Risiko! Man muss hinnehmen, dass es beim ersten Mal vielleicht nicht gleich super läuft. Dann heißt es: Anlauf nehmen und nochmal probieren. Frauen wollen immer absolut perfekt sein. Doch es gibt nichts, was man nicht auch an der Spitze noch lernen kann und muss. Ich lerne jeden Tag dazu, und das ist auch gut so.

Würde eine Quote helfen?

Schmiel: Bei Gremien, die Auswahlen treffen, bin ich für eine paritätische Quote. Bei der Besetzung von Stellen tue ich mich immer noch schwer. Es müssen Menschen gefunden werden, die für die Leitungsposition geeignet sind und auch gestalten können. Da hilft eine Quote nur bedingt.

Wie haben Sie die Hürden auf Ihrem Weg an die Spitze genommen?

Schmiel: Die klassischen Vorurteile habe ich selbst zumindest in den ersten Positionen nicht erlebt. Als ich mit dreißig Jahren relativ jung die Künstlerische Leitung und Geschäftsführung bei der Glocke in Bremen übernahm, kam mir eher der Überraschungsfaktor entgegen. Prinzipiell muss jede Frau ihren eigenen Weg finden, mit Vorurteilen umzugehen und ihren eigenen Stil finden, Dinge durchzusetzen ohne sich zu verbiegen. Es ist sehr wichtig, authentisch zu bleiben und sich nicht alles bieten zu lassen. Abgrenzung ist ein wichtiges Thema. Neben der Kompetenz ist die Leidenschaft für die jeweilige Arbeit entscheidend! Wenn die da ist, ist vieles machbar. In den Bereichen, in denen man keine Expertin ist, muss man Berater einbinden und kompetente Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen. Dazu ist wiederum eine große Offenheit sich selbst gegenüber nötig und genügend Selbstreflektion, sich auch Schwächen einzugestehen.

Mit welchen Vorurteilen müssen denn Frauen in Führungspositionen immer noch kämpfen?

Schmiel: Dem Vorurteil „Sie schafft das nicht.“ Bei Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren müssen, sind die Vorbehalte möglicherweise noch etwas größer. Selbstverständlich müssen auch Kulturinstitutionen es ermöglich, dass auch eine Mutter eine Leitungsfunktion übernehmen kann. Dennoch denke ich persönlich, dass es an der Spitze mit sechzig Prozent Arbeitszeit nicht getan ist. Hier in der Schweiz funktionieren Jobsharing- und Tandem-Modelle oft sehr gut. Generell sehe ich das kritisch. Es hat einen leicht defizitären Unterton nach dem Motto: Eine schafft es nicht, also brauche ich zwei. Das ist eine ungerechtfertigte Aburteilung der jeweiligen Arbeitsleistung. Ich plädiere für Einzelbesetzungen. Die Verantwortung, das Beobachtet werden, der Frust, den Druck – das muss man aushalten können. Man braucht selbstverständlich ein großes Netzwerk an Unterstützung und ein gutes Team. Unter dieser Voraussetzung können Frauen in Spitzenpositionen genauso erfolgreich sein wie Männer.

Was ist eigentlich das Tolle daran, Führungskraft zu sein?

Schmiel: Die Leidenschaft, Menschen um einen herum für das zu begeistern, was man tut. Die Verantwortung zu tragen für das, was am Ende dabei herauskommt. Diese ganz große Gestaltungsfreiheit ist einer der Vorteile für mich als Chefin und bereitet mir große Lust.

Ein letzter Appell an die Frauen, die sich an der Spitze einer kulturellen Einrichtung sehen?

Schmiel: Noch einmal: mehr Mut. Nicht warten, bis man diese oder jene Kompetenz noch zusätzlich erworben hat. Niemand ist perfekt. Wenn die Lust da ist und das Angebot: Greift zu!

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