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Interview Donald Runnicles

„Die Oper ist meine Leidenschaft“

Donald Runnicles, Generalmusikdirektor der deutschen Oper, über Trojaner, Teamarbeit und die Träume junger Dirigenten

vonArnt Cobbers,

Zum Interview im Hauptfoyer der Deutschen Oper hat sich ein Fotograf angesagt, und so sitzt mir Donald Runnicles mit Krawatte und Schal gegenüber – wo er doch sonst bei der Arbeit lässige Kleidung bevorzugt. Der 56-jährige Schotte, der hervorragend Deutsch spricht, ist seit 2009 GMD des Opernhauses an der Bismarckstraße.

Herr Runnicles, wozu braucht der moderne Mensch die Oper?

Wozu braucht er Kunst? Wir leben alle von Geschichten, als Kinder leben wir von Märchen, einer Welt, in der alles in Ordnung ist oder auch nicht, und man muss darüber nachdenken, warum sie nicht in Ordnung ist und wie man sie verbessern kann. Ich denke, Kunst kann uns helfen, das Leben, unsere Welt besser zu verstehen. Kunst ist universell, jeder hört und sieht etwas anderes in einem Bild oder in einer Skulptur, in einer Sinfonie oder einer Oper. In dem Zusammenhang gibt es einen wunderbaren Spruch: to comfort the disturbed and to disturb the comfortable. Die Musik, die Oper kann ein Trost sein, sie kann uns inspirieren, aufregen, schockieren, indem man über sie nachdenkt, über das, was der Komponist, der Librettist wollte und inwieweit das heute relevant ist.

Sie haben seit Beginn Ihres Berufslebens immer in der Oper gearbeitet. Ist das spannender als Sinfoniekonzerte zu dirigieren?

Nicht unbedingt spannender, eine gute Balance zwischen der Oper, dem Sinfonischen und der Kammermusik ist mir wichtig. Die Oper ist meine Leidenschaft. Was man in der Oper erlebt, wenn das Licht ausgeht und eine Geschichte erzählt wird, das spricht das Kind in uns an. Da kommen alle Künste zusammen. Richard Wagner hat kein Monopol auf das Gesamtkunstwerk, jede Oper ist ein potenzielles Gesamtkunstwerk, durch das Wort, das Bild, die Beleuchtung, den Gesang, das Orchester – das ist so umfassend, das finde ich sehr spannend.

Viele Dirigenten klagen, man müsse in der Oper so viele Kompromisse eingehen.

Es kommt darauf an, was man unter Kompromiss versteht. Kompromisse sind nicht unbedingt negativ. Wenn etwas szenisch Sinn macht, aber nicht ganz musikalisch ist, müssen Regisseur und Dirigent darüber reden. Wenn man das früh genug und offen tut, kann es passieren, dass man sagt: Ach, so habe ich das nie interpretiert, aber es ist schlüssig. Oder sogar: Jetzt habe ich es erst richtig verstanden. Man hilft sich gegenseitig. Teamarbeit ist für mich das wichtigste. Der Regisseur, der Bühnenbildner, der Dirigent – alle kommen aus verschiedenen Richtungen und schließen in diesem Sinne wunderbare Kompromisse: So verstehen wir das Werk und so möchten wir es dem Publikum, der Welt vorstellen.

Die aktuelle Saisonvorschau der Deutschen Oper beginnt mit einer Liste der Sänger. Sind Ihnen schöne Stimmen dann doch wichtiger als der Inhalt, die Regie?

Eigentlich sollten alle vorn stehen. Vorrang haben der Komponist und das Team, das das Stück in die Welt gebracht hat. Und danach kommen wir alle. Letzten Endes geht es darum: Das Ergebnis ist mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Ist das Amt des Generalmusikdirektors der Deutschen Oper ein Traumjob?

Ich bin gerne Chef, weil man nur so in einem Haus auf längere Sicht etwas bewirken kann. Man kann sowohl fordern als auch fördern. Gerade hier im größten Opernhaus Berlins ist es eine wunderbare Aufgabe, weil ich gern das „große“ Repertoire dirigiere, sei es Wagner, Strauss oder Britten, sei es eine der größten Opern überhaupt: Les Troyens von Hector Berlioz.

Warum haben Sie dieses Werk als Ihre erste Premiere gewählt?

Ich habe es konzertant vor einigen Jahren in Edinburgh gemacht, mit der leider viel zu früh verstorbenen Lorraine Hunt Lieberson, und habe es dort lieben gelernt. Es ist seit 1930 nicht mehr in Berlin aufgeführt worden. Insofern ist es höchste Zeit.

Gehört es ins Kernrepertoire?

Unbedingt, aber es ist eine ganz große Herausforderung, vergleichbar vielleicht nur mit dem Ring. Ich finde, jeder sollte das Stück gehört haben – und nicht nur einmal. Berlioz hat es als sein wichtigstes Werk betrachtet, aber nie auf der Bühne erleben können – kein Haus war bereit, es aufzuführen. Trotzdem war der Einfluss des Werks auf viele Komponisten gewaltig. Bis dahin war niemand in der Lage gewesen, das monumentale Thema in Oper umzusetzen. Das ist Berlioz meines Erachtens vollkommen gelungen. Und es ist bemerkenswert, dass man das Werk erst Mitte des 20. Jahrhunderts komplett erleben konnte.

Gehört Berlioz zu den Schwerpunkten, die Sie setzen wollen?

Ich bin offen für alles, aber an Berlioz liegt mir sehr viel. Ich möchte in den nächsten Jahren einige Stücke von ihm auf die Bühne bringen. Auch von Benjamin Britten – mir ist immer noch nicht klar, warum seine Opern nicht zum Kernrepertoire gehören. Janáček würde ich gern weiter fördern. Und ich möchte Werke von Richard Strauss und Wagner, also das Repertoire, für das das Haus sehr bekannt ist, immer wieder neu gestalten. Das ist das Großartige an der Oper: Jede Generation entdeckt etwas Neues.

Erst nach einem Jahr als GMD haben Sie Ihre erste Premiere dirigiert.

Es war sehr angenehm, dass ich nicht das Gefühl hatte, alle Scheinwerfer sind sofort auf mich gerichtet. Durch verschiedene Wiederaufnahmen konnte ich das Haus und die Musiker besser kennenlernen, auch mein Orchester, das wie jedes gute Orchester eine ganz eigene Persönlichkeit besitzt. Premieren sind ungemein wichtig für das Profil eines Hauses. Aber sie sind nicht das einzige, was zählt. Eine Repertoire-Aufführung von Hänsel und Gretel ist genauso wichtig. Das ist ein geniales Werk, und es ist absurd, dass es im Ruf steht, eine leichte Kinderoper zu sein. Das Orchestrale mit der Bühne zu balancieren, ist enorm schwer. Ich dirigiere es wahnsinnig gern. Es ist kein Werk nur für Kinder, sondern für jeden.

Sie sind als Kind ja von Kirchenmusik geprägt worden.

Mein Vater war Organist und Chordirigent in einer anglikanischen Kirche in Edinburgh. Meine ersten musikalischen Erlebnisse hatte ich als Sängerknabe. Ich habe Orgel spielen gelernt und habe meinen Vater manchmal vertreten dürfen. Meine erste musikalische Auseinandersetzung hatte ich mit dem Gesang, das hat mich vermutlich geprägt.

Warum und wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich habe an der Uni in Edinburgh eine Arbeit über Gustav Mahler geschrieben. Dadurch erfuhr ich, dass es Opernhäuser mit einem Repertoire von 50 Stücken gab. Als ich begriff, was er in Hamburg oder Wien in einer Woche dirigiert hat, war ich hin und weg. Gestern Lohengrin, heute Pagliacci, morgen Hänsel und Gretel – ich dachte, in dieser Welt möchte ich leben. Mit 22 habe ich einer Agentur in München vorgespielt, kam dann als Repetitor nach Mannheim, zuerst fürs Ballett, weil mein Deutsch noch nicht gut genug war, ein Jahr später dann für die Oper. Wir hatten 55 Stücke im Repertoire, für einen jungen Dirigenten ein Traum. Sänger, mit denen ich als Repetitor gearbeitet habe, empfahlen mich nach Bayreuth. Ich spielte Wolfgang Wagner vor und wurde Assistent von James Levine und auch von Sir Georg Solti.

Sie haben also nicht nur die klassische Kapellmeisterlaufbahn durchlaufen?

Die habe ich schon durchlaufen, bis ich Generalmusikdirektor in Freiburg wurde. Und ich sage allen jungen Dirigenten: Es lohnt sich, fünf oder zehn Jahre an sich zu arbeiten. Der alte, traditionelle Weg ist immer noch der beste. Träumt von Berlin oder München, aber bleibt erst mal fünf Jahre an einem kleineren Haus!

Warum sind Sie dann in die USA gegangen?

Es hat sich so ergeben. Ich war vier Sommer lang Assistent von James Levine in Bayreuth, 1988 habe ich ihm an der Met assistiert. Eines Tages wurde er krank und ich durfte zwei Lulu-Aufführungen übernehmen. So ging die Tür auf, und ich wurde in Amerika bekannt. 1990 wurde ich eingeladen, vier Ring-Zyklen unter der Leitung von Peter Schneider in San Francisco zu betreuen. Er konnte dann nur zwei Zyklen dirigieren, und man hat mir die anderen beiden angeboten. Danach hat man mich gefragt, ob ich Music Director werden wolle, John Pritchard war kurz zuvor gestorben. Ich kehrte nach Freiburg zurück und erzählte meinem Intendanten Friedrich Schirmer von dem Angebot. Und der sagte: Junge, mach dich auf den Weg. Es ist ein fantastisches Haus mit wunderbarer Akustik, 3500 Plätze, das zweitgrößte Haus in den USA. Ich habe keine Sekunde bereut.

Aber nach 17 Jahren hatten Sie das Gefühl, es sei genug?

Es gab einen Intendantenwechsel. Und genau zu dieser Zeit kam die Anfrage aus Berlin. Ich hatte hier zwei Ring-Zyklen dirigiert und mich sehr wohl gefühlt. Es passte einfach gut zusammen.

Warum haben Sie gleichzeitig die Leitung des BBC Scottish Symphony Orchestra übernommen?

Ich möchte nicht nur Oper dirigieren. In Edinburgh bin ich acht Wochen im Jahr, das ist machbar. Das nimmt mir keine Energie für Berlin – im Gegenteil.

Sie geben für Berlin einiges auf. Sie haben in den letzten Jahren viele große Orchester in aller Welt dirigiert, in dieser Saison konzentrieren Sie sich auf Berlin, Edinburgh und Atlanta, wo Sie Principal Guest Conductor sind, und machen nur ganz wenige Gastdirigate wie in Philadelphia.

Ich will mich auf meine Orchester konzentrieren. Ich habe nicht den Ehrgeiz, überall zu dirigieren. Ich freue mich natürlich, dass ich zum Beispiel regelmäßig bei den Berliner Philharmonikern oder in Philadelphia dirigiere. Aber ich habe so schon nur wenige Wochen für meine Familie frei.

Ist Berlin der Nabel der Klassikwelt?

Die Stadt hat schon eine ungeheure Attraktion. Ich habe weltweit viele Kollegen, die mich beneiden, weil ich jetzt hier arbeiten darf. Ich kenne viele Freelancer in London, die alle nach Berlin wollen. Es ist eine internationale Stadt, eine alte Stadt, die sich ständig neu erfindet. Das ist wahnsinnig spannend.

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