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Interview Kristīne Opolais

„Vielleicht werde ich mal Impresario, wer weiß!”

Kristīne Opolais wollte nie einen perfekt vorgepflasterten Weg beschreiten und gab dem Zufall stets eine Chance. So wurde aus der Studienabbrecherin ein Weltstar

vonPeter Krause,

In einem Kaffeehaus unweit der New Yorker Metropolitan Opera sitzt uns Kristīne Opolais gegenüber. Zu Beginn des Gesprächs wirkt sie erschöpft von der Vorstellung der „Madama Butterfly” am Abend zuvor, die sie ausnahmsweise in nicht perfekter stimmlicher Verfassung singen musste. Doch die letttische Sopranistin und Ehefrau von Dirigent Andris Nelsons blüht im Interview schnell wieder auf, blickt mit ihren großen schönen Augen neugierig und Anteil nehmend auf das Leben, schaut kritisch auf den Opernbetrieb und hat dennoch Hoffnung, dass der Gesang mit seiner Verbindung zur Seele die Menschen reich beschenken kann, dann jedenfalls, wenn Künstler als beherzte Überzeugungstäter am Werk sind, so wie die von ihr verehrte Maria Callas.

An die MET pilgern Opernfreunde zuallererst wegen der Sängerstars, nicht wegen der Regisseure …

Der Fokus auf den Gesang ist eine fantastische Sache an der Metropolitan Opera. Ich hoffe, sie wird sich niemals ändern! Im riesigen Rest der Opernwelt fragt aber jeder nur nach einem: dem Regisseur, der wahren Königin der Nacht des Opernbetriebs. Manche von denen sind gut, andere sind verrückt. Ich halte es für falsch, zu viel Geld für sie auszugeben, es wäre aus meiner Sicht besser, es in Krankenhäuser zu investieren.

Wie sollen sich junge Sänger behaupten, wenn sie die Ideen des Regisseurs nicht umsetzen wollen?

Die besten Sängerdarsteller sind heute meist in einem höheren Alter. Die jungen Sänger sind zwar technisch alle fantastisch. Sie wissen, wie man singt. Aber sie sind innerlich leer. Niemand bringt ihnen bei, wie man sich eine Figur wirklich erschließen kann. So treffen dann also verrückte Regisseure auf Sänger, die nicht spielen können. Das Ergebnis kann eigentlich nur lächerlich sein. Junge Sänger können es ja nicht wagen, dem Regisseur „nein“ zu sagen. Ich finde, dieses Opernunwesen muss zusammenbrechen, damit wir es danach wieder grundlegend aufbauen können. Wir brauchen wieder Sänger, die der Dreiklang aus Persönlichkeit, Stimme und Darsteller sind. Und dann brauchen wir wirklich große Regisseure, die wissen, was sie tun, und uns nicht das Stück verderben. Menschen in Jeans sehen wir jeden Tag auf der Straße. Das ist nicht Oper. Die Menschen kommen ins Theater, um etwas Besonders zu erleben, einen Blick in eine andere Welt zu tun. Sie wollen einen Traum sehen.

Sie sind in der Tat eine großartige Sängerdarstellerin. Woraus schöpfen Sie die Ideen für Ihre Figuren?

Kristīne Opolais
Kristīne Opolais © Gregor Burgenmeister/concerti

Aus dem Leben! Was ich spiele, entspringt alles meiner Erfahrung im normalen Leben. Als ich noch Chorsängerin in Riga war, hatte ich nur Wünsche und Ambitionen, aber keine Erfahrungen. Die Musikademie verließ ich so schnell wie möglich, um privaten Unterricht zu nehmen und in die Praxis einzusteigen. An der lettischen Nationaloper konnte ich viele Sänger beobachten, ging nach einer Probe nie nach Hause, sondern folgte meiner Obsession, eine Opernsängerin zu werden. Viele Leute wunderten sich, dass ich eigentlich nie das Theater verließ und fragten sich, was ich denn wohl noch so alles vorhatte. Schließlich war ich jung, blond und schön, fühlte mich frei. So lernte ich extrem viel, auch die Fähigkeit, mir sehr schnell eine Partitur anzueignen. Nach zwei Jahren erhielt ich meine ersten Solorollen, da kamen meinen früheren Kommilitonen gerade erst aus der Akademie. Schauspielunterricht hatte ich nie, traf allerdings im Theater auf einen Regisseur und Intendanten, der auch Schauspieler war. Von ihm stammt meine Erfahrung, mir Rollen zu erarbeiten. Wahrscheinlich bin ich in meinem Herzen eine Schauspielerin. Ich werde sicher nicht für immer singen. Vielleicht werde ich später mal zur reinen Schauspielerin.

War denn das Umfeld in Riga, abseits des internationalen Opernzirkus, von Vorteil für Ihre Entwicklung?

Es war eine gute Basis, allerdings machte ich gute und schlechte Erfahrungen. Ich habe schließlich sehr jung das dramatische Repertoire gesungen, schon mit Mitte zwanzig war ich Aida und Tosca. Das kann manchen jungen Sängern die Stimme kaputtmachen. Aber ich wollte gleich die großen Rollen. Dann kapierte ich, dass ich dieses Umfeld verlassen musste, ich wünschte mir auch mal etwas Leichteres, eine Mimì oder Violetta. Die Berliner Staatsoper mit Maestro Barenboim war dann eine wichtige Station. Es folgte die Rusalka in München, 2014 dann meine erste Butterfly hier an der MET – am Morgen danach rief mich der Intendant Peter Gelb um 7:30 Uhr an und bat mich, am Abend als Mimì einzuspringen. Manchmal muss man in der Lage sein, durch Wände zu gehen.

Angst vor schwierigen Entscheidungen kennen Sie also nicht?

Angst kenne ich zum Glück nicht. Ich fange jede Vorstellung mit dem Bewusstsein an, dass es meine letzte sein könnte. Ich kenne keinen Stress, habe großes Vertrauen. Vor der Vorstellung gestern dachte ich zunächst, ganz ohne Stimme zu sein. Ich telefonierte mit meiner Mutter, die auf meine Tochter aufpasste, da schnappte sich meine kleine Arianna das Telefon und versicherte mir: „Mama, du wirst fantastisch sein!“ Also musste es einfach gut gehen an diesem Abend.

Sie konzentrieren sich derzeit auf ein Repertoire, für das auch die Callas stand – den Verismo, in dem es gerade um die unbedingte Wahrheit des Ausdrucks geht …

Kristīne Opolais
Kristīne Opolais © Gregor Burgenmeister/concerti

Natürlich waren Mozart und die Komponisten des Belcanto absolute Genies. Ihre Musik ist aber weniger nach meinem Geschmack. Ich liebe die Freiheit, und dafür ist Puccini der beste. Da kann man machen, was man will. Natürlich ist das Orchester oft sehr dick, man benötigt eine große Stimme. Auch Mascagni mag ich. Gerade entdecke ich seine Opern, die ja nicht sehr bekannt sind: „Iris” beispielsweise, die Geschichte eines schönen japanischen Mädchens. In diese Repertoire-Richtung würde ich mich gern weiter bewegen, obwohl ja viele Leute unbedingt Wagner hören wollen von mir …

Den „Liebestod” aus Tristan und Isolde haben Sie ja bereits im Konzert gesungen …

Ich liebe Wagner so sehr wie Puccini. Die Elsa im „Lohengrin” wird bald kommen, obwohl ich so meine Probleme mit ihrem Charakter habe. Aber vielleicht kann ich das Image der Rolle der Elsa genauso verändern, wie es mir bei der Mimì gelungen ist. Irgendwann könnte auch die Sieglinde aus der Walküre interessant sein für mich. Aber ich will mich keinesfalls auf Wagner festlegen, sonst werde ich nur noch eingeladen, ihn zu singen. Ich denke allerdings wenig in Bezug auf klassiche Karrierebegriffe nach dem Motto: „Erst arbeitest du zwanzig Jahre für deinen Namen, dann arbeitet dein Name für dich und du kannst singen, was du willst.“ Nein, was mich motiviert, ist, die Menschen im Moment der Vorstellung zu berühren, sie zum Weinen zu bringen.

Kristīne Opolais
Kristīne Opolais © Tatyana Vlasova

Haben Sie noch Träume?

Ich mache keine langfristigen Pläne, vertraue dem Schicksal. Ich bin gelernte Künstlerin und Sängerin. Was ich also machen werde, wenn ich mal den letzten Ton gesungen habe, weiß ich nicht. Ich hoffe, in zehn Jahren noch auftreten zu können. Vielleicht werde ich dann doch eine Regisseurin, sicherlich aber keine Dirigentin. Dafür ist mein Mann zuständig. Sollte aber, wenn ich mal 65 Jahre alt bin, wirklich die ganze Opernwelt kollabiert sein, dann könnte ich ein fantastischer Impresario werden. Wer weiß.

Wie schauen Sie als Künstlerin auf die Welt hier draußen?

Unsere Welt ist im Aufruhr. Ich hoffe, es wird keine Kriege mehr geben. Doch welche Politiker denken wirklich an die Bürger? Eine bessere Welt lässt sich aber doch nur mit Menschen bauen, die voller Enthusiasmus sind und mit dem Herzen sehen, so wie ich als Künstlerin. Eine sehr berühmte Kollegin hat sich kürzlich über mich gewundert, dass ich mit so viel Herzblut singe und spiele. Aber mir reicht eben die professionelle Technik nicht. Wer in der Kunst nur seine Arbeit macht und nicht sein Leben hingibt, kann sich nicht Künstler nennen. Genau diese Leute aber raten mir: „Gib nicht alles!“ Doch die spüren nichts. Diese Einstellung ist schrecklich für mich. Wenn wir alle großzügig in unseren Gefühlen wären, können wir diese Welt retten. Es ist doch ganz erstaunlich, wie das in einer Opernvorstellung im Kleinen passiert: Das Publikum beobachtet uns ganz genau. Manche Menschen sind mit Problemen in die Oper gekommen, befinden sich in einer schwierigen Lebensphase. Sie suchen nun etwas, das sie wieder offen macht. Da haben wir Sänger große Möglichkeiten. Denn die Stimme hat diese Verbindung zur Seele. Wir können den Menschen so viel geben. Deshalb ist unser Beruf wirklich wichtig.

Album Cover für
Puccini: Manon Lescaut
Kristīne Opolais, Jonas Kaufmann, Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden
Antonio Pappano
Sony Classical

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