Zum 100. Geburtstag von Bernd Alois Zimmermann

Die Sprengung von Raum und Zeit

Schlüsselfigur der deutschen Nachkriegsmusik: Heute wäre Bernd Alois Zimmermann 100 Jahre alt geworden

© Hannes Kilian

Bernd Alois Zimmermann

Bernd Alois Zimmermann

Seine Werke spiegeln die Sinnlosigkeit der Kunst. Sie zeigen die Unzulänglichkeit der musikalischen Sprache. Sie sind die prophetische Stimme des 20. Jahrhunderts. Bernd Alois Zimmermann hat nie akzeptiert, dass ein einzelner musikalischer oder auch politischer Ansatz alle Probleme lösen kann – anders als etwa seine jüngeren Kollegen Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez oder Luigi Nono.

Stattdessen blickte er stets auf die Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten. Er griff nicht nur die serielle Musik und die Strukturiertheit der Darmstädter Avantgarde auf, sondern kombinierte diese Einflüsse auf bisher noch nie dagewesene, einzigartige Weise mit Zitaten historischer Kompositionen und Jazz-Elementen: Ideen und Techniken, die in dieser Form erst in der Postmoderne vorkamen.

Ein Kind zwischen den Generationen

Bernd Alois Zimmermann, der am 20. März 1918 in Bliesheim bei Köln geboren wurde, war ein Kind zwischen den Generationen: Als Musiker war er zu jung, um an den damaligen Entwicklungen der Neuen Musik vor dem Zweiten Weltkrieg teilzuhaben, und zu alt, um widerstandslos in die Gruppe der Avantgardisten aufgenommen zu werden. Nachdem er 1939 zum Kriegsdienst eingezogen wurde, kehrte er drei Jahre später aus Krankheitsgründen von der Front zurück. Seine Hochschulausbildung schloss er 1947 mit dem Schulmusikexamen ab und orientierte sich kompositorisch zunächst am Neoklassizismus.

1948 besuchte Zimmermann erstmals die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik bei Wolfgang Fortner und René Leibowitz. Für ihn stellte diese Tradition einen wichtigen Bezugspunkt dar. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, arrangierte er hauptsächlich Unterhaltungs- und Filmmusik und komponierte Beiträge für Rundfunksendungen. Doch gleichzeitig erhielt er damit auch ein Experimentierfeld, dessen Erkenntnisse er immer wieder in Form elektronischer Musik in seine Werke einfließen ließ.

Diese Zeit markiert auch den Beginn seines eigentlichen Schaffens. Mit seinem ersten seriellen Stück, den 1956 konzipierten „Perspektiven“ für zwei Klaviere, erhält er erste Anerkennung. Er erforscht hier Zeit und Raum mit musikalischen Mitteln und thematisiert die „unbegreifliche Paradoxie alles Zeitlichen“, was ihn zeitlebens beschäftigte.

© Schott Promotion

Bernd Alois Zimmermann

Widersprüchliches zusammenführen

Komponieren war für Zimmermann ab diesem Zeitpunkt hauptsächlich eine Suche: Er setzte sich mit einem bestimmten musikalischen Problem auseinander, für dessen Lösung er alle ihm zur Verfügung stehenden musikalischen Mitteln verwendete – seien sie auch noch so radikal. So versuchte er beispielsweise, Gegensätze zu vereinen, etwa musikantische Motive gepaart mit strenger Struktur. Immer wieder unternahm er den Versuch, Widersprüchliches durch strukturelle Mittel zusammenzuführen.

Auch Einflüsse aus der Dichtkunst, vornehmlich von James Joyce und Ezra Pound, sowie aus der Malerei (hier vor allem der Surrealisten) sind in seinen Werken zu finden, hauptsächlich in Form von Collagen oder Montagen. Diese wurden sogar bald zum Markenzeichen des Komponisten, oft „Zitatenkomposition“ genannt. Zimmermann selbst schlug den Begriff des „pluralistischen Komponierens“ vor. Er wollte eine Reflexion der eigenen Zeit.

Seine Werke sprengen die Einheit zwischen Zeit und Raum

In seinen späteren Werken spielte nun vornehmlich der Zeitbegriff eine große Rolle. Denker wie Henri Bergson, Edmund Husserl und Martin Heidegger haben philosophisch zu ergründen versucht, wie kugelgestaltig die Zeit doch eigentlich ist. Das heißt, wenn die Zeit nicht voranschreitet, sondern zu einer Kugel gekrümmt wäre, dann könnten beispielsweise längst verstorbene Verwandte Zeitgenossen ihrer eigenen Enkel sein. Wie wesentlich diese Unterscheidung zwischen einer gemessenen Zeit und einer für die Kunstwahrnehmung einzig relevanten Erlebniszeit ist, versuchte Zimmermann in seiner Musik schöpferisch nachzuweisen.

Diese Art mit Zeit umzugehen hing sicherlich auch mit seiner intensiven Beschäftigung der Musikgeschichte zusammen, insbesondere mit Werken von Girolamo Frescobaldi (1583-1643) oder aus der Ars nova, einer musikgeschichtlichen Epoche im Frankreich des 14. Jahrhunderts. „Nicht die Tradition schafft den Komponisten, sondern der Komponist die Tradition“, schrieb er.

Schlüsselfigur der deutschen Nachkriegsmusik

Trotz seines überschaubaren Œuvres ist Bernd Alois Zimmermann zu einer Schlüsselfigur der deutschen Nachkriegsmusik geworden. Seine Werke sprengen die Einheit zwischen Zeit und Raum. Durch sie werden die Widersprüche in der Welt sichtbar, hörbar, spürbar. 1965 feierte seine Oper „Die Soldaten“ an den Städtischen Bühnen in Köln Premiere – ein Sensationserfolg, der bis heute nachwirkt. Sie gilt gar als die bedeutendste deutsche Nachkriegsoper.

Doch an der musikalischen Nachkriegs-Moderne, die er selbst an ein Ende gekommen sah, konnte oder wollte er irgendwann nicht mehr teilhaben. Hinzu kamen depressive Tendenzen sowie ein schweres Augenleiden. „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“: Wenige Tage nach der Fertigstellung dieses von Hans Zender in Auftrag gegebenen Werks, nahm sich Bernd Alois Zimmermann mit 52 Jahren das Leben. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Bernd Alois Zimmermanns letztes Werk „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“:

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