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Opern-Kritik: Theater Hagen – Vanessa

Die letzte Oper

(Hagen, 7.3.2015) Samuel Barbers spätestromantische Debutoper strahlt im Lichte Hollywoods

vonAndreas Falentin,

Ein Stück über das Warten und das Altern, über die Angst davor und vorm Leben. Das Libretto von Giancarlo Menotti kennt die hoffnungslos-lustvollen Endlosschleifen von Samuel Beckett und spielt immer wieder auf das moderne, realistische Drama an – von Tschechows Kirschgarten bis O’Neills Trauer muss Elektra tragen. Dennoch ist die 1958 uraufgeführte Vanessa vielleicht der letzte Versuch, die überkommene Großform „Oper“ ernsthaft zu erfüllen.

Barber kombiniert das orchestrale Aufrauschen eines Richard Strauss und Puccinis ausschwingende Kantilene hemmungslos mit eigenen Zutaten, von den als Ouvertüre und Zwischenaktmusiken eingesetzten Chorstücken, über die fast penetrant vielen Holzbläsersoli und Geräuscheffekte bis zum geradezu sarkastischen Einsatz des Akkordeons. Manchmal lässt er ein Gewirr von Einzelstimmen wie Raketen über dem Orchestergraben explodieren, dann wieder schreibt er ganz klassisch Arien und Ensembles, wie das resümierende Schluss-Quintett oder Erikas Winter-Song, der jedem Musical zum Glanzlicht gereichen würde.

Beim Philharmonischen Orchester Hagen hört man jede dieser manchmal fast absurden Einzelheiten – und auch, dass sie ein geschlossenes Ganzes bilden. Florian Ludwig dirigiert einen kantigen, differenzierten Barber. Dass das Orchester ein wenig knallig wirkt, dass die Stimmen der drei Protagonisten in exponierten Höhenlagen unrund, fast rissig klingen, mag vor allem der bekannt problematischen trocken-scharfen Akustik des Hauses geschuldet sein.

Billy-Wilder lässt grüßen: Vanessa war ein Filmstar

Die düstere, hoffnungs- und eigentlich endlose Geschichte um Großmutter, Mutter und Nichte und den einen herbeigesehnten Liebhaber, erfährt durch Barbers Partitur nicht nur Versinnlichung. Momente werden gedehnt, Szenen, Zeitebenen übereinander geschoben. Roman Hovenbitzer versucht das zu vermitteln, indem er eine weitere Ebene einzieht. Er bedient sich in Hollywood, vor allem bei den Billy-Wilder-Filmen Sunset Boulevard und Fedora. Vanessa war hier – wie vielleicht auch ihre Mutter – Filmstar. Wie ein Mahnmal, eine Erinnerung an die vergangene Jugend und Schönheit, steht ein Filmprojektor mitten im Raum.

Die Videos von Volker Köster führen klug und hochästhetisch in die Handlung ein, drängen sich aber im Verlauf des Abends immer wieder unnötig in den Vordergrund, bebildern nur noch den jeweiligen Kenntnisstand des Publikums. Auch deshalb fehlt es dieser Vanessa streckenweise an atmosphärischer Dichte, an klaustrophobischer Intensität, um wirklich der Gothic Thriller zu sein, den Barber und Menotti vermutlich imaginiert haben. Dafür ist auch der Raum von Jan Bammes schlicht zu glatt.

Wenige Noten – überlebensgroße Figurenporträts

Die Sängerbesetzung dagegen ist vorzüglich. Ilkka Vihavainen als Doktor – fast eine Parodie der charmant-lebensuntüchtigen Tschechowschen Dorfärzte – und vor allem Gudrun Pelker als alte Baronin nutzen ihre nicht zu vielen Noten für überlebensgroße Figurenporträts. Katrina Sheppard besticht durch Wandlungsfähigkeit. Ihre Vanessa erscheint durch frische Verliebtheit auch stimmlich verjüngt. Kristine Larissa Funkhauser steuert die schönen Farben ihres expressiv geführten, gesunden Mezzos bei, und Richard Furman beeindruckt durch Charme, Durchhaltevermögen und eine bildschöne Mittellage.

So lange sich ein kleines Haus wie das Theater Hagen erfolgreich einer derart gewaltigen Herausforderung wie Vanessa stellen kann, müssen wir keine Angst haben um die deutsche Opernlandschaft.

Theater Hagen

Barber: Vanessa

Florian Ludwig (Leitung), Roman Hovenbitzer (Inszenierung), Jan Bammes (Ausstattung), Volker Köster (Video), Wolfgang Müller-Salow (Chor), Katrina Sheppard, Kristine Larissa Funkhauser, Richard Furman, Ilkka Vihavainen, Gudrun Pelker, Ks. Horst Fiehl, Chor des Theater Hagen, Philharmonisches Orchester Hagen

Weitere Termine: 14.3., 20.3., 31.3., 4.4., 12.4., 22.4., 13.5., 17.5., 22.5. & 28.5.

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