Opern-Kritik: Badisches Staatstheater Karlsruhe - Serse

Schussfahrt nach Las Vegas

(Karlsruhe, 15.2.2019) Die Händelfestspiele in Karlsruhe eröffnen mit einer großen Serse-Show.

© Falk von Traubenberg

Szenenbild aus "Serse"

Serse/Badisches Staatstheater Karlsruhe: Franco Fagioli (Serse)

Georg Friedrich Händels „Serse“ (oder „Xerxes“) hält einen Spitzenplatz unter den immer wieder inszenierten Händelopern. Mit dem Blick auf das, was sich mittlerweile im Zuge einer anhaltenden Händelpflege in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts daneben noch so an theatertauglichen Schmuckstücken des Barockmeisters auf den Bühnen etabliert hat, versteht sich das nicht mehr so ganz von selbst. Es ist aber auch Geschmacksache. Die Liebeserklärung des Perserkönigs an einen Baum, das Larghetto „Ombra mai fu“ ist höchst populär. Auch der besungene Brückenschlag zwischen Asien und Europa hat einigen Furor. Und dann finden sich, wie immer bei Händel, eine ganze Reihe von schmissigen, aber auch lyrischen Arien bei denen einem das Herz aufgeht.

Bei den 42. Händelfestspielen in Karlsruhe ist eine neue „Serse“-Inszenierung das zentrale Schmuckstück. Neben Göttingen und Halle gibt es dort immer die ersten der drei deutschen Festspiele für den europäischen Komponisten aus Halle an der Saale im Jahreskreis. Damit ist Deutschland Spitze, auch wenn die Briten ihn nach ihrem Brexit am liebsten „mitnehmen“ würden.

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Szenenbild aus "Serse"

Serse/Badisches Staatstheater Karlsruhe

Ein historisches Spezialorchester, Starbesetzung und Originalsprache sind heute auch in Karlsruhe eine Selbstverständlichkeit. Allein Peter Konwitschny, der in diesem Jahr zu seinen Ursprüngen nach Halle zurückkehren wird, versucht sich mit einem deutsch gesungenen „Julius Cäsar“ an einer aparten Ausnahme.

Perfekter Händelsound dank etabliertem Klangkörper

Mit den „Deutschen Händel-Solisten“ hat das Badische Staatstheater Karlsruhe seit 1985 seinen eigenen Originalklangkörper auf (Festspiel-) Zeit im Graben. Der lässt in Sachen Händelsound keine Wünsche offen und hat sich souverän in der Riege der Spezialorchester etabliert. George Petrou steht in diesem Jahr das zweite Mal nach dem „Arminio“ 2016 als Dirigent am Pult. Der Grieche wird 2022 die Nachfolge des Briten Laurence Cummings als Leiter der Göttinger Händelfestspiele antreten. Petrou und seine Musiker halten, was ihre Namen versprechen: sie liefern einen sinnlich frischen Händelklang und lassen den erstklassigen Protagonisten (mit weiblichen und männlichen Diven) allemal genügend Spielraum für ihre Ausflüge in die virtuose Verzierung und die große komödiantische Show!

Denn die ist es diesmal. Von Persien, wo das Stück eigentlich spielt, bleibt so gut wie nichts übrig. Über einer reichlich frequentierten Szene-Bar steht in Anspielung auf die Schwulen-Ikone Tom of Finnland „Tom of Persia“. Max Emanuel Cencic (Regie), Rifail Ajdarpasic (Bühne) und Sarah Rolke (Kostüme) landen nämlich mitten im Las Vegas der Siebzigerjahre! Mit all dem Glamour, der mit dem Namen Liberace verbunden ist, aber auch mit den Nebeneingängen zu Bars, Läden und einschlägigen Sexetablissements, abseits der glänzenden Showpaläste.

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Szenenbild aus "Serse"

Serse/Badisches Staatstheater Karlsruhe

Wenn der exzentrische Superstar der in Karlsruhe erzählten Story mit Künstlernamen Serse mit den Bossen der Plattenindustrie über seine weiteren Karriereschritte verhandelt – da ist nicht weniger als die Eroberung des europäischen (Platten-)Marktes vorgesehen – gibt ein Panoramafenster hinter dem Tisch, an dem der Vertrag unterschrieben wird, das künstliche Stadtbild von Las Vegas frei.

Souverän als Regisseur und Sänger: Max Emanuel Cencic

Als Counter-, Regie- und Produzenten-Multitalent ist Cencic wiederum (wie beim „Arminio“) der Regisseur und als Protagonist der Gegenspieler des Titelhelden. Cencic ist ein Phänomen, weil er als Counter – in der Partie des Arsamene mit gereifter vokaler Gestaltungskraft, Virtuosität und körperlicher Präsenz – seit Jahren zur Spitzenriege seines Fachs gehört. Parallel und nicht nacheinander dazu, hat er auch als Regisseur eine Souveränität entwickelt, die es ihm mittlerweile erlaubt, selbst ein Filetstück aus Händels Opernkollektion so umzukrempeln, dass kaum ein Stein auf dem anderen bleibt.

Las Vegas statt Persien rauskommt. Und das Publikum vor Vergnügen johlt. Der mit zwei Pausen aufgelockerte Vierstünder ist lang – aber zu keiner Zeit langweilig. Die Schauplätze sind durch Kulissenwände und Drehbühne im Handumdrehen veränderbar. Statisten spielen tragende (Cocktail, Sekt u.ä.) oder putzende Rollen, illustrieren das Show-Business im Liberace- oder Hugh Hefner-Format, zeigen Sixpack, rocken, koksen und be-fassen sich miteinander. Die Siebziger-Jahre Mode ist dick aufgetragen, bleibt aber allemal im charmant ironischen Retrorahmen.

„The Serse Show“

Der Regisseur lässt gleich zu Beginn die Katze aus dem Sack: „The Serse Show“ steht über einer entsprechender Bühne unter einem gewaltigen Torbogen aus Klaviertasten. Samt einem rot aufleuchtenden Kasten mit dem obligatorischen „Applaus“-Signal, mit dem bei den Profis die Stimmung bei den TV-Shows angeheizt wird. Und wenn dann der Star, nach einem Quickie in der Garderobe, auf die Bühne gerauscht kommt, aussieht wie eine Mischung aus Liberace und Elton John, und sich ans Klavier setzt, dann spielt er für seine Fans gleich den Hit, den sie alle kennen und lieben, dann gibts eine klavierbegleitete Version von „Ombra mai fu“.

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Szenenbild aus "Serse"

Serse/Badisches Staatstheater Karlsruhe

Was wir an diesem Abend erleben sind Szenen aus dem Leben eines Stars. Wenn man so will eine Opernvariante von Steven Soderberghs „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“. Und weil Franco Fagioli diesen Serse-Liberace Typ mit Hingabe und Lust an der manchmal tuntig überspitzten Komödie spielt und mit aller Freiheit der Verzierung und Selbstironisierung mit atemberaubenden Koloraturen gespickt und langem Atem singt, ist der halbe Erfolg schon mal im Kasten. Weil ein (obendrein sympathischer) Star, den Star mit einem Faible für Glitzerklamotten, Federschmuck und wehende Umhänge verkörpert, weil darüber hinaus die deutschen Übertitel mit dem Jugend-Slang von heute schäkern und sich alle anderen von dieser Ästhetik der Seventies mitnehmen lassen, schwebt diese freche, temporeiche, manchmal laszive Show immer ein paar Handbreit über dem Boden.

Eine Show der Gefühle

Wo Händel sein Arienfutter für die Stars seiner Zeit als Geschichte um Liebe und Eifersucht, ein großformatiges politisches Gewand verpasste, weil das damals die Konvention der Zeit war, darf sich Cencic durchaus darauf berufen, diesen Umweg heute wegzulassen, um gleich die Show der Gefühle zu liefern. Wenn Serse hinter der Geliebten seines Bruders her ist, dann wird ein vokaler Wettstreit von zwei Counterstars wie Fagioli und Cencic zu einer handfesten Intrige hinter den Kulissen. Bei der der eine schon mal seine (Markt-)Macht beim Kampf um die begehrte Frau einsetzt, am Ende aber vor der „Wedding Chapel“ dank Missverständnis doch den Kürzeren zieht. Die junge Amerikanerin Lauren Snouffer ist als Romilda ein ideales Objekt der Begierde.

Vom kraftvoll souveränen Zwitschern bis zum verführerischen Augenaufschlag ist alles da, was die Begehrlichkeiten der Männerwelt nachvollziehbar macht. Katherine Manley nutzt als etwas mannstolle Atalanta jede Vorlage für komödiantische Kabinettstückchen. Ariana Lucas (Arsamene) setzt nicht nur die dunkle Wärme ihrer Stimme ein, um an Serse ranzukommen. Wenn es drauf ankommt nutzt sich auch ihren ganzen stattlichen Körper als Waffe, die einen umhaut. Pavel Kudinov als Wunschschwiegervater Serses und Chef der Plattenfirma und Yang Xu als barock-rockender Elviro ergänzen das ausgesprochen spielfreudige Ensemble (Chor eingeschlossen) auf hohem stimmlichen Niveau. Xerses geht auch anders, aber als „The Serse Show“ wie jetzt in Karlsruhe geht es eben auch. Und es macht obendrein durchweg Spaß!

Badisches Staatstheater Karlsruhe
Händel: Serse

George Petrou (Leitung), Max Emanuel Cencic (Regie), Rifail Ajdarpasic (Bühne), Sarah Rolke (Kostüme), Boris Kehrman (Dramaturgie),
Franco Fagiolo, Lauren Snouffer, Katherine Manley, Ariana Lucas, Pavel Kudinov, Yang Xu

George Friderich Händel

Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe

16. Februar bis 04. März 2024

Die Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe, 1985 aus den sieben Jahre zuvor etablierten Händel-Tagen hervorgegangen, widmen sich jährlich als erstes großes Festival in Deutschland dem Werk des Barockkomponisten. weiter

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