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OPERN-KRITIK: BREGENZER FESTSPIELE – ERNANI

Groteskes Gemetzel

(Bregenz, 19.7.2023) Die Bregenzer Festspiele gehen mit starken Statements der Politik und einem Frühwerk Giuseppe Verdis an den Start, das in der Inszenierung von Lotte de Beer für Kontroversen sorgt.

vonPeter Krause,

Der jugendlich tollkühne Giuseppe Verdi schrieb seinen „Ernani“ zur venezianischen Uraufführung von 1844 auf Victor Hugos seinerzeit noch frisches (ja erst 1830 erschienenes) Drama „Hernani ou l’Honneur castilian“. Der französische Dichter wie dann auch der italienische Librettist Francesco Maria Piave verlangen darin für die Umsetzung auf der Bühne ein derart blutrünstiges Gemetzel, dass man Angst und Bange hat, wie denn ein Inszenierungsteam damit verfahren würde. Denn sowohl die Verankerung im 16. Jahrhundert mit ihrem Verweis auf die historischen Persönlichkeiten um den spanischen König Don Carlos und späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, als auch eine beherzte Übertragung in die Gegenwart bergen die Gefahr der Lächerlichkeit.

Nicht nur, weil mit Schwertern wedelnde Chorgruppen allzu leicht in die Stereotypen von Opas Oper abgleiten, sondern auch, weil die Vorlage mit ihren sprunghaften emotionalen Wechselbädern und sich gegenseitig überbietenden Racheschwüren einer dramaturgischen Logik entgegenstehen. Hier huldigen die Autoren einem Romantizismus des ungefilterten, durch keinerlei Korrektiv des Intellekts angekränkelten Gefühls. Diese frühromantische Haltung gebiert zwar fantastische Musik, theatralische Stringenz und glaubwürdige Psychologie aber stehen auf einem sehr anderen Blatt.

Saimir Pirgu (Ernani) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen
Saimir Pirgu (Ernani) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

Verdis Frühwerk als tragikomische Farce

Was liegt da näher, als die Flucht nach vorn anzutreten? Und die Regie-Rettung in der Groteske zu finden? Folglich die unfreiwillige Komik des Stücks durch eine freiwillige Komik des absurden Theaters gleichsam zu überholen? Lotte de Beer hat zuvor für ähnlich herausfordernde Stücke immer wieder verblüffend originelle Lösungen gefunden. Zumal ihr Zugriff auf Rossinis „Moses in Ägypten“ im Jahr 2017 am selben Ort des Bregenzer Festspielhauses darf als ein gelungenes Beispiel hierfür gelten. Diesmal hat die Niederländerin, die jüngst ihr Amt als Intendantin der Volksoper Wien angetreten hat, weniger Fortune. Wobei sie sehr wohl einen Plan hat, Verdis Frühwerk als eine tragikomische Farce zu inszenieren, die aufs Allgemeingültige derselben zielt und nach den tödlichen männlichen Ehrbegriffen fragt, die hier verhandelt werden.

Drei Männer begehren dieselben Frau: Der alternde Don Carlo höchstselbst, der uralte spanische Grande Don Ruy Gómez de Silva und der junge Held und Bandit Ernani, den die mehrfach angebetete Elvira einzig liebt. Ernanis Vater, der Herzog von Aragón, wurde einst von einem Mitglied der spanischen Königsfamilie getötet. Eine Spirale der Rache zwischen den nachgeborenen Männern nimmt ihren Lauf. Und die leidend-liebende Frau Elvira steht als erotisierende Verhandlungsmasse zwischen den Männern. Man denkt anhand der verwickelten Dramatik immer wieder an Verdis „Il Trovatore“, der ja auch durch seine zündende Melodik wie seine verstörende Unlogik in seinen musiktheatralischen Bann zieht.

Szenenbild aus Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen
Szenenbild aus Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

Überzeichnung mit Methode und multiplen Mitteln – aber ohne emotionale Erschütterung

Lotte de Beers Überzeichnung hat nun also Methode, und sie spart nicht an Mitteln, um ihrem Konzept Nachdruck zu verleihen. Der famos singende Prager Philharmonische Chor trifft also auf die krassen Jungs der Stunt-Factory, die ihre Körper filmreif durch die Lüfte fliegen und das Theaterblut in Hektolitern auf die Bühne von Christof Hetzer spritzen lassen. Das sorgt für einige Heiterkeit im Premierenpublikum, für emotionale Erschütterung sicher nicht.

Eine spannende Umwertung erfährt indes der gar nicht mehr würdige König Don Carlo. Franco Vasallo singt ihn mit der bombig heldischen Höhe seines genuinen Verdi-Baritons und bringt seine ganze Rollenerfahrung mit Verdis Hofnarren Rigoletto ein. Dieser König wird zum „Buffone“, der sich als in die Jahre gekommener Lüstling an die schöne Elvira heranmacht und dazu schon mal ungelenk durchs Fenster in ihr Schlafzimmer kraxelt. Durchaus berührend zeichnet der Italiener die Wandlung seiner Figur zum verzeihenden wie verzichtenden Mann mit Weisheitszuwachs nach: Er möchte letztlich die Ehe zwischen Elvira und Ernani stiften: Es kommt im grandios komponierten Ensemble-Finale des dritten Aktes zu einem Fast-Schon-Happy End.

Franco Vassallo (Don Carlo) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen
Franco Vassallo (Don Carlo) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

Saimir Pirgu unterstreicht als Ernani seinen tenoralen Ausnahmerang

Der an den Gehwagen gefesselte alte De Silva, dem Goran Jurić seinen imposanten wie wohltönenden Bass leiht, vereitelt freilich die positive Wendung. Und das Schlachten und Sterben gehen weiter. Das Liebespaar geht in den (Liebes-)Tod. Was nun in der Charakterisierung des Don Carlo gut gelingt – die Sprengung des Werks ins Absurde –, setzt Lotte de Beer in den anderen Hauptfiguren nicht konsequent fort. Ob dies an mangelnder szenischer Probenzeit lag? Ganz im Sinne des im frühen Verdi noch lebendigen Belcanto legt Guanqun Yu ihre Elvira aus dem lyrischen Strömen ihres stupenden Soprans an, „denkt“ die Partie von der Höhe aus, gleitet dann bruchlos durch alle Lagen, setzt auf feine Detailarbeit.

Saimir Pirgu unterstreicht als Ernani seinen tenoralen Ausnahmerang: Der Albaner amalgamiert Schmelz, Stamina und Stimmkernigkeit mit jener Prise an südländischer „Dolcezza“, die es für die ideale Interpretation des überschwänglichen Heroen auch braucht. Nur: So wunderbar das utopische Liebespaar auch singt, seine Figuren bleiben in Lotte de Beers Regie blass. Sie berühren uns nur stimmlich. Man folgt im Laufe des Abends nicht gebannt dem Fortgang der Handlung, sondern vollzieht den Schematismus des Bauprinzips nach, dem die frühen Verdi-Opern folgen, wenn auf eine langsame Arie stets eine schnelle folgt und dann nach einem Ensemble der nächste Sänger „dran“ ist.

Saimir Pirgu (Ernani) und Guanqun Yu (Elvira) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen
Saimir Pirgu (Ernani) und Guanqun Yu (Elvira) in Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

Schönheit statt Schmutzigkeit

Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker kann dem wenig entgegensetzen. Das Orchester huldigt einem gut gearbeiteten Schönklang, doch die schmissige Schmutzigkeit der folkloristischen italienischen „Banda“-Kultur, die den Belcanto-Linien einen dem Leben abgelauschten Wahrheitsbezug verleihen müsste, hat in seiner Lesart keinen Raum. Den Bezug vom durchaus auch politischen Leben zur Kunst und ihrer Freiheit hatten am Vormittag der Premiere die anspruchsvollen Reden im Festakt zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele hergestellt. Festspielpräsident Hans-Peter Metzler betonte, wie sehr die Kultur im Erinnern ans Gestern stets Zukunft erträumt und zu deren aktiver Gestaltung aufruft.

Der österreichische Vizekanzler Werner Kogler hob die Bedeutung von Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten in einer längst nicht mehr klar deutbaren Welt hervor, stellte sich damit klar gegen die populistischen Vereinfachungen der extremen Rechten in seinem Land. Bundespräsident Alexander van der Bellen schärfte diese Perspektive noch weiter, als er einen mutigen Zukunftsentwurf für die liberale Demokratie skizzierte. Welchen Stellenwert die Künste darin haben, musste er gar nicht gesondert erwähnen. Das Festspiel als gesellschaftlicher Ort des gemeinsamen Diskurses und gern auch konstruktiven Streits folgt zwingend aus seinem Gedankengang.

Bregenzer Festspiele
Verdi: Ernani

Enrique Mazzola (Leitung), Lotte de Beer (Regie), Christof Hetzer (Bühne & Kostüme), Alex Brok (Licht), Ran Arthur Braun (Choreographie), Peter te Nuyl (Dramaturgie), Saimir Pirgu, Franco Vassallo, Goran Jurić, Guanqun Yu, Aytaj Shikhalizada, Omer Kobiljak, Stanislav Vorobyov, Prager Philharmonischer Chor, Wiener Symphoniker

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