Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Weit ausgreifende Intimität

Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Lash – Acts of Love (UA)

Weit ausgreifende Intimität

(Berlin, 20.6.2025) An der Deutschen Oper Berlin kam mit „Lash“ jetzt das erste Musiktheater von Rebecca Saunders auf die Bühne. Das klingende Resultat unter der Leitung von Enno Poppe beeindruckt sehr, die visuelle Umsetzung von Dead Centre weniger.

vonEcki Ramón Weber,

Sie ist eine der erfolgreichsten Komponistinnen der Neuen Musik: Rebecca Saunders, 1967 in London geboren, seit langem in Berlin lebend. 2019 wurde sie mit dem Ernst von Siemens Preis ausgezeichnet, 2024 mit dem Goldenen Löwen für Musik der Biennale von Venedig. Saunders versammelt in ihrer Musik Klänge wie skulpturale Objekte. Die Qualitäten dieser Klänge und klingenden Gesten sind sorgsam ausgeforscht, sie können subtil und zart, gleichzeitig prall sinnlich sein. Dies und wie Saunders die Elemente miteinander in Beziehung setzt, ist verblüffend und lässt aufhorchen. Neben Kammermusik, Orchester- und Vokalwerken ist sie auch schon mit Klanginstallationen in den Raum vorgedrungen. Bloß vom Musiktheater hat sich Saunders bislang ferngehalten.

Postdramatisches Theater und Performance halten Einzug ins Musiktheater

Die Komponistin, die Samuel Beckett und James Joyce schätzt, hat mehrfach erklärt, sie habe darauf gewartet, den geeigneten Autor für ein Libretto zu finden. 2017 traf sie ihn in Berlin: den britischen Bildenden Künstler, Filmemacher, Schriftsteller und Performer Ed Atkins. Als etwas später der Intendant der Deutschen Oper Berlin, Dietmar Schwarz, dessen Ära mit dieser Spielzeit endet, auf Saunders mit der Anfrage für einen Werkauftrag zukam, war sie für das Wagnis Musiktheater bereit.

Dass dabei keine herkömmliche Oper entsteht, war zu erwarten. In Saunders‘ „Lash – Acts of Love“ halten postdramatisches Theater und Performance Einzug ins Musiktheater. Ein Trend, der lange auf sich warten ließ, aber in den letzten zehn Jahren verstärkt zu beobachten ist. Die Ausgangssituation in „Lash“: Eine Frau unmittelbar an der Schwelle des Todes. Erinnerungen aus ihrem Leben tauchen auf. Es geht um Liebe, Sex, Verlusterfahrungen, auch um Wut und Hadern, Körperlichkeit und die Details der Physis, Augen, Haut, Genitalien, Hände und die im Titel „Lash“ heraufbeschworenen Wimpern.

Szenenbild aus „LASH“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „LASH“ an der Deutschen Oper Berlin

Das englischsprachige Libretto, das Rebecca Saunders und Ed Atkins entwickelt haben, ist ein wildwuchernder Bewusstseinsstrom, eine Assoziationskette mit poetischen und konkreten sinnlichen Bildern. Dabei – very british– blitzen im schnellen Wechsel der Sprachebenen auch immer wieder deftige Slangausdrücke auf. Ebenso skurriler Humor, wenn etwa erörtert wird, wo Säuger in Urzeiten womöglich überall behaart waren, von den Fingerkuppen bis zur Penisspitze, von den Fußsohlen bis zu den Vulvalippen.

Ein durchaus lukullisches Fest der vokalen Stimmen auf der Höhe der Zeit

In der Partitur von „Lash“ ist dieser Bewusstseinsstrom auf vier Darstellerinnen aufgeteilt, in der Uraufführungsproduktion besetzt mit den Sopranistinnen Anna Prohaska und Sarah Maria Sun, der Altistin Noa Frenkel und der Schauspielerin Katja Kolm, deren Rollenfiguren die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen tragen. Die Partien wurden den Künstlerinnen auf den Leib geschrieben. Mit „Lash“ hat Rebecca Saunders das Musiktheater sicherlich nicht neu erfunden. Sie ist auch nicht in gänzlich unbekannte Dimensionen vorgedrungen.

Manches hat man im Vokalen wie im Instrumentalen schon woanders ähnlich gehört. Aber wie sie die vielfältigen Möglichkeiten des Sprechens, nonverbale Artikulation, traditionellen Operngesang und erweiterte Techniken der Neuen Musik mischt und eng zusammenbringt, oft in furiosen Duetten, intim, fragil, exaltiert, obsessiv, das hat eine eigene Qualität, hat Kraft, Spannung, wirkt auch nach der Aufführung nach. So tragen die vier fulminanten Darstellerinnen mit ihrer intensiven Bühnenpräsenz in großem Maße diesen Abend. „Lash“ ist insofern auch ein durchaus lukullisches Fest der vokalen Stimmen auf der Höhe der Zeit.

Szenenbild aus „Lash – Acts of Love“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Lash – Acts of Love“ an der Deutschen Oper Berlin

Es rauscht, rumort und donnert aus dem Orchestergraben.

Das groß besetzte Orchester dient als Rahmen, Hintergrund, Resonanzraum, Echokammer. Diffuse Flächen aus raffiniert erstellten Mischklängen werden gegeneinandersetzt, geschichtet und aneinander gerieben. Glissandi, Schlenker, ausgeweitete Tremoli, gestische Einsätze, rhythmisches Pulsieren reagieren auf die Vokalpartien. Es rauscht, rumort und donnert aus dem Orchestergraben. Das Schlagzeug ist im Orchestergraben geballt besetzt, gegen Ende des zweiten Aktes wirken auf der Bühne vier Große Trommeln mit. Reizvoll ist auch die Verschmelzung des Orchesterklangs mit zwei Synthesizern in 1970er-Vintage-Sounds und einer E-Gitarre.

Im dritten Akt spielen die Pianisten Ernst Surberg und Christoph Grund an zwei Flügeln auf der Bühne, einzelne Streicher, Bläser und Sängerinnen stehen rechts und links auf dem Rang. Die Grenzen zwischen Bühne, Orchestergraben und Zuschauerraum lösen sich auf. Wie Rebecca Saunders in „Lash“ insgesamt zwei Stunden hindurch ohne Pause immer wieder neue Spannungszustände aufbaut, intensiviert und zurücknimmt, ist faszinierend zu hören.

Eine eigene Haltung der Inszenierung fehlt

Die Inszenierung des Regieduos Dead Centre nimmt sich dagegen schwach aus. Es gelingt nicht, eine eigene Position, ja Haltung, überzeugend zu setzen. Auf- und abtauchende Spiegelkuben (Ausstattung: Nina Wetzel) zeigen konkrete Situationen, die letztlich nur das im Libretto Verhandelte verdoppeln: Ein Sterbebett, ein Candle-Light-Dinner, Zärtlichkeit, eine Badewanne, ein Bahnsteig, ein Sofa, eine Bahre in einem Obduktionsraum. Die Darstellerinnen bewegen sich darin in Schlafbekleidung und glitzernden Abendroben. Augen, natürlich Wimpern, Mund, Ohren, Hände, werden per Live-Kamera vergrößert.

Szenenbild aus „Lash – Acts of Love“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Lash – Acts of Love“ an der Deutschen Oper Berlin

Ähnliches ist oft zusätzlich auf einem Riesenvideo von Sébastien Dupouey zu sehen. Über den Abend wiederholen sich diese Eindrücke und nutzen sich auf Dauer ab. Weiterführende Assoziationen oder Kontraste fehlen. Auch ein Zitat aus einem Surrealismus-Klassiker erscheint: In einer Großaufnahme wird ein Skalpell an einen Augapfel gesetzt, unverkennbare Referenz an „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí, auch schon fast 100 Jahre alt.

Dirigent Enno Poppe, als Komponistenkollege von Saunders Experte für Zeitgenössisches, entlockt am Premierenabend dem Orchester der Deutschen Oper und den Gästen mannigfaltige Nuancen. Er hat den Weitblick für den durchgehenden Zug sowie für die subtilen wie brüsken Entwicklungen in der Partitur. Überhaupt hält er das Ganze zusammen, keine Kleinigkeit angesichts der großen Besetzung und der instrumentalen Ausweitung in den Zuschauerraum.

Deutsche Oper Berlin
Saunders: Lash –Acts of Love

Enno Poppe (Leitung), Dead Centre (Regie), Nina Wetzel (Bühnenbild & Kostüme), Sébasten Dupouey (Video), Nadja Krüger (Live-Kamera), Stephan Dood (Licht), Anna Prohaska (A), Sarah Maria Sun (S), Noa Frenkel (N), Katja Kolm (K), Christoph Grund (Synthesizer & Klavier), Ernst Surberg (Synthesizer & Klavier), Adrian Pereyra (E-Gitarre), Orchester der Deutschen Oper Berlin





Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!