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Opern-Kritik: Landestheater Detmold – Das Feuerwerk

Hokus Pokus Fidibus

(Detmold, 21.10.2023) Das einzige international bedeutende schweizerische Werk für das musikalische Unterhaltungstheater ist eine famose Wiederentdeckung, für die Milena Paulovics grundmusikalisch alle Regie-Register zieht: Sie nimmt Paul Burkhards 1950 am Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführtes mixtum compositum als Steilvorlage.

vonMichael Kaminski,

Nein, ein Zauberstück ist Paul Burkhards „Das Feuerwerk“ nicht, aber eines über die Verzauberung durch die Zirkuswelt. Und wenn sogar bürgerliche Spießer einmal den Duft der Manege einatmen, dann vereinen sich gesellschaftliche und menschliche Gegensätze und mit ihnen sämtliche Figuren der „Musikalischen Komödie“ – wenn auch nur für kurze Zeit – zum mitreißend-rasanten Accelerando des „Hokus-Pokus-Fidibus“. Auf der Detmolder Bühne ist nun kein Halten mehr. Ponydompteuse Iduna und Zirkusdirektor Obolski ziehen singend und tanzend die gesamte Industriellenfamilie Oberholzer in einen Wirbel hinein, der sich zum perpetuum mobile auswüchse, wenn nicht der Pausenvorhang fiele.

Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold
Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold

Zwischen Singspiel, Operette und Musical

Um das einzige international bedeutende schweizerische Werk für das musikalische Unterhaltungstheater inhaltlich zu erfassen, genügen vor der Hand zwei Binsenweisheiten: Erstens kann man sich Familie nicht aussuchen. Und zweitens tragen gerade deren vermeintlich schwarze Schafe oft das Herz auf dem rechten Fleck. Zirkusdirektor Obolski ist ein waschechter Oberholzer, den es früh aus der bürgerlichen Enge hinaustrieb. Als Chef eines führenden Unternehmens der Unterhaltungsbranche steht er auf seine Art dem Erfolg seines Fabrikantenbruders nicht nach. Da prallen zwei Gewinnerbiografien aufeinander. Für die Milena Paulovics grundmusikalisch alle Register zieht. Die Regisseurin nimmt Burkhards 1950 am Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführtes mixtum compositum als Steilvorlage. Aus den gewollt altbackenen Singspielelementen der Partitur erwächst eine Betulichkeit, die sich in peinlich genauer und gerade deshalb oft skurril scheiternder Beachtung von gesellschaftlichen Umgangsformen und Bildungsfloskeln spiegelt. Mit Obolskis eingeübten Posen des Zirkusdirektors und weit ausladender Gestik darf die große weite Welt und mit ihr die Revueoperette punkten. Über Glanz und Glamour des Musicalstars lässt Paulovics die Ponydresseurin Iduna gebieten. Und sorgt für Ambivalenz: Im bluesgetränkten Lied an ihr Zirkuspferdchen durchdringen sich der Dompteuse wahre Empfindung und melancholische Attitüde auch spielerisch bis zur Ununterscheidbarkeit.

Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold
Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold

Bonbonfarbener Salon mit Ausblick

Caroline Luskens Choreografie unterstreicht die Showelemente des Stücks nicht allein in den rasanten Nummern. Der langsame Liebesduett-Walzer, mit dem Burkhard die Oberholzer-Tochter Anna und den Gärtner Robert bedenkt, scheint weit über die nicht eben großzügigen Abmessungen der Detmolder Bühne hinauszugreifen. Für alles dies stellt Anike Sedello einen bonbonfarbenen Salon mit Ausblick auf eine beinahe mediterrane nächtliche Gartenlandschaft bereit. Sedellos Kostüme – hüben Twinsets und Pollunder, drüben demonstratives Schwarz und Pailletten – decouvrieren den realsatirischen Anteil am modischen Gehabe der Spießbürger wie auch am Flitterglanz der Zirkuswelt.

Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold
Szenenbild aus „Das Feuerwerk“ am Landestheater Detmold

Brillantes Ensemble

Aus der Kontrastdramaturgie des Werks springt der musikalische Funke unmittelbar über. György Mészáros gibt sich mit dem Symphonischen Orchester des Landestheaters augenzwinkernd dem Stilmix der Partitur hin und zündet so aus den einzelnen Komponenten tatsächlich ein musikalisches Feuerwerk. Emily Dorn ist die Iduna ins Gemüt und in die Kehle geschrieben. Wie Dorn das oft unter Schnulze firmierende „O mein Papa“ in eine Synthese aus Chanson und Operettenarie (rück-)verwandelt, geht unter die Haut. Zu allem Überfluss ist diese Iduna mit mühelosem Spagat auch tänzerisch eine Wucht. Den Obolski verkörpert Alexander Voigt voll satter tenoraler Jovialität. Dorothee Bienert ist die sich gleich dreifach emanzipierende Anna. Die höhere Tochter nimmt Abschied sowohl vom Oberholzer-Elternhaus wie von ihren Zirkusambitionen und vom Gärtner, in den sie verliebt ist, um in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen. Die dazu nötige Seelenstärke und Selbstgewissheit ihrer Figur beglaubigt Bienert durch ebenso volle wie runde Tongebung. Lotte Kortenhaus ist Annas beständig auf Einhaltung bürgerlicher Konventionen dringende Mutter. Den durch das Auftauchen des Bruders gründlich irritierten Herrn im Fabrikantenhaus verkörpert Andreas Jören. Brigitta Bauma liefert als deftige Köchin der Familie ein Kabinettstück. Unbedingt aufhorchen lässt der verliebte Gärtner Robert des Detmolder Opernstudio-Baritons Franco Oportus Vergara.

Landestheater Detmold
Burkhard: Das Feuerwerk

György Mészáros (Leitung), Milena Paulovics (Regie), Anike Sedello (Bühne und Kostüme), Caroline Lusken (Choreografie), Udo Groll (Licht), Andreas Jören, Lotte Kortenhaus, Dorothee Bienert, Brigitte Bauma, Dieter Goffing, Kerstin Klinder, Nando Zickgraf, Annette Blazyczek, Alexander Voigt, Emily Dorn, Franco Oportus Vergara, Levin Mischel, Josefine Kaus, Symphonisches Orchester des Landestheaters Detmold

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