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Operetten-Kritik: María de Buenos Aires – Theater Erfurt

Sauberes „Tango-Märchen“

(Erfurt, 27.9.2025) Das Milieu der kleinen Leute und Kleinkriminellen wirkt in der Erfurter Neuproduktion von Piazzollas „María de Buenos Aires“ mal gar nicht anrüchig, sondern wie frisch gewaschen. Regisseurin Stephanie Kuhlmann tappt dafür mitnichten in die Fallen des Stücks. Es gibt frenetischen Beifall.

vonRoland H. Dippel,

Große Bühne frei für die Milonga-„Operita“ Astor Piazzollas und des argentinischen Tango-Experten Horacio Ferrer. Dieser hatte für den Tango- und Bandoneon-Star ein allegorisches Mysterienspiel mit surrealistischen Momenten geschrieben. Die Form: Eine artifizielle Milonga – also eine Tango-Suite wie in Argentinien oder auf dem Weimarer Theaterplatz, wo sich Tango-Maniacs einfinden. Die Uraufführung in Buenos Aires 1968 wurde erst nach leeren Reihen und Piazzollas Hartnäckigkeit, mit der er eigene finanzielle Mittel in die anfängliche Publikumsflaute pumpte, zum Erfolg.

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Heute ist „Mariá de Buenos Aires“ an deutschen Häusern wie zuletzt am Pfalztheater Kaiserslautern in der Regie von Martina Veh ein Erfolgsstück. Nächste Produktionen in Heidelberg und der Deutschen Oper am Rhein folgen in den kommenden Monaten. Im großen und auffallend gut besuchten Theater Erfurt hagelte es nach der Premiere Blumen, Begeisterungsrufe und frenetischen Beifall.

Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt

Mut zu Schönheit

Hank Irwin Kittel kickte das einzige Bühnenwerk des Schülers von Nadia Boulanger aus der sparsamen B-Oper-Sparsamkeit und unterzog die „operita“ einem bei Broadway-Musicals üblichen Veredelungsprozess. Die „mala vida“, das Milieu der kleinen Leute und Kleinkriminellen, wirkt wie frisch gewaschen. Stefano Cascioli betont am Pult die warme Sinnlichkeit der Musik. Nie fährt das im erzgebirgischen Carlsfeld perfektionierte und zum argentinischen Nationalinstrument gewordene Bandoneon mit exzessiver oder gar scharfer Attacke in den Sound. Elegante Wechsel vom lockenden Piano in die üppig lockende Fülle sitzen perfekt.

Der für ornamentale Arrangements geforderte und von Markus Baisch formidabel präparierte Chor trägt schlichte Stoffe und Farben. So gerät die Ärmlichkeit zur Behauptung. Zahlreiche aus Argentinien stammende Künstler wie die Tangotänzer Hector Corona und Carlos Miguel Cisneros finden sich im Cast.

Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt

Tango als Trostspirale vom Himmel

Packende Aufführungen von Piazzollas Hauptwerk setzen wilde Achterbahnfahrten: Zeigt man den Tango als Trostspirale vom Himmel oder als Klang gewordene Fleischlichkeit? Im Theater Erfurt sieht und hört man ersteres, kommt also nur selten in impulsive Tuchfühlung zum Tanz auf dem metropolitanen Vulkan der ausgezehrten Armen.

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Deutlich separiert sind die zeitgenössischen Tanz-Elemente in der Choreographie von Elli Treptow und der Tango Argentino in der Verantwortung von Silvina Machado. Am Ende stehen mehrere Mariá-Inkarnationen aller Lebensalter an der Mitte und machen sich davon. Das „Tango-Märchen“ ist aus – das Martyrium der Frauen, ihre von nur kurzer Lust durchbrochenes Leiden, nicht.

Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt

Makellose Argentinien-Topographie

Es ist der am Theater Erfurt bisher vor allem als Regisseurin für Junges Theater geschätzten Stephanie Kuhlmann hoch anzurechnen, dass sie „María de Buenos Aires“ nicht aus der Perspektive des mitteleuropäischen Feminismus betrachtete. Die Kehrseite des sinnlichen Lebens sind illegitime Schwangerschaftsunterbrechungen. Sonst agieren die Frauen mit den Männern wie im Tango fast immer auf Augenhöhe, bewahren auch in der Erniedrigung persönlichen Stolz und Energie. Santiago Bürgi singt die Soli des Polyador, eines Straßensängers, mit idiomatischer Weichheit und viriler Leichtigkeit. Ole Xylander integriert sich mit diszipliniertem Ensemblegeist in der Sprechrolle des Duende (Kobolds), welche der Librettist Ferrer in eigenen Auftritten immer wieder umgestaltete.

Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt
Szenenbild aus „María de Buenos Aires“ am Theater Erfurt

In den Mezzo-Regionen Marías agiert die mit exemplarischer Souveränität und Sicherheit im hohen Sopran und Koloraturlagen fokussierte Argentinierin Candela Gotelli sehr vorsichtig. Gotellis Piazzolla-María ist wie die puertoricanische María in Bernsteins „West Side Story“, die sich in die Soul-Tiefen ihrer Freundin Anita bequemen muss und da mit nur allzu nachvollziehbarer Vorsicht agiert. Als junge Titelfigur ist Gotelli authentisch, nie exaltiert und zutiefst ehrlich. Wenn sie als Schatten aus dem Totenreich zurückkommt, übernehmen ihre tanzenden Parallelfiguren (Dagmar Hunzinger und Elli Treptow) die szenische Führung. Gotelli bewahrt den Abend von outrierten Flachheiten und den glatten Reizen einer blankpolierten Folklorevision.

Theater Erfurt
Piazzolla: María de Buenos Aires

Stefano Cascioli (Leitung), Stephanie Kuhlmann (Regie), Elli Treptow (Choreographie Contemporary Dance), Silvina Machado (Choreographie Tango Argentino), Hank lrwin Kittel (Bühne & Kostüme), Florian Hahn (Licht), Markus Baisch (Chor), Candela Gotelli, Ole Xylander, Santiago Bürgi, Silvina Machado, Hector Corona, Carlos Miguel Cisneros, Dagmar Hunzinger, Elli Treptow, Philharmonisches Orchester Erfurt, Opernchor des Theater Erfurt, Tänzerinnen und Tänzer Esquina del Tango (Erfurt), Statisterie





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