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Opern-Kritik: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin – Don Giovanni

Schmutzigem mit Seife begegnen

(Schwerin, 13.9.2024) Zu einem facettenreichen und daher Aufmerksamkeit fordernden Regiekonzept erzeugt Dirigentin Catherine Larsen-Maguire am Mecklenburgischen Staatstheater einen „Don Giovanni“ mit gravitätisch-noblen Längen.

vonPatrick Erb,

Ein gigantischer gen Himmel ragender Obelisk trifft auf Pornoheftchen, protzige Autos, männliche wie weibliche Playboybunnies, aber auch Posaunenengel, Totenkopfmasken und schließlich eine Heroinspritze. Zudem verlieren während der Feier auf Don Giovannis Anwesen im Finale des ersten Aktes falsche Mozartköpfe unter der Guillotine ihre Porzellanhäupter – es lebe die Freiheit.

Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin eröffnet seine Spielzeit mit einem neuen „Don Giovanni“, in dem sich die metaphorischen wie konkreten Eindrücke überhäufen. Schlag auf Schlag, von Szene zu Szene wechselt das Bild, gar die Zeit, in der man es verortet. Damit Darstellende und Zuschauende in der beanspruchenden Bilderflut nicht untergehen, findet Dirigentin Catherin Larsen-Maguire den treffenden Zugang zu Mozarts Oper der enthemmten Liebesbeziehungen. Behutsam moderiert sie den Abend und entlockt der Staatskapelle in den Arien, der Ouvertüre und in der finalen Komturszene eine für Mozart ungewöhnlich gravitätische und noble Klangarchitektur.

Szenenbild zu „Don Giovanni“
Szenenbild zu „Don Giovanni“

Von „How I met your mother“ zu „Highway to Hell“

Dieser musikalische Rettungsanker ist unverzichtbar, um in der Reizüberflutung nicht unterzugehen, denn schon die Ouvertüre nutzen Regisseurin Franziska Kronfoth und der für Video und Live-Kamera verantwortlich zeichnende Martin Mallon, um sitcomartig das zu zeigen, was das Publikum perspektivisch nicht sehen kann: Privates und Intimes, unzählige Liebschaften des Dons, und auch so manche eifersüchtige oder verliebte Gesichtsregung fängt die Kamera ein – hinten wie in der Bühnenmaschinerie. Sie bildet den Abschnitt eines Highways. Der Zuschauer sieht somit in rhapsodischer Bildfolge das Road-Movie-Pendant zu „Don Giovanni“ und seinem „Highway to Hell“. Entschleunigt wirkt das Dirigat Larsen-Maguires indes nicht. Die pointiert und pfiffig auskolorierten Rezitative gewinnen mit zunehmendem Druck auf Don Giovanni an Tempo.

Szenenbild zu „Don Giovanni“
Szenenbild zu „Don Giovanni“

Maßgeschneiderte Rollen

Den erfüllt wiederum Martin Gerke im besten Sinne des Regiekonzepts mit Leben. Zusammen mit seinem Diener Leporello (darstellerisch wie basshölzern ausgereift: Tiziano Bracci) durchstreift er das Land, verführt Frauen und feiert in seinem Anwesen eine – zumindest nach christlichen Maßstäben – skandalträchtige wie exzessive Party samt Drogen, Alkohol, Ziegenbockkostüm und Vergewaltigung. Mit Leichtigkeit verkörpert Gerke die Aura eines abstoßenden Lüstlings. Dass der als Don Giovanni verkleidete Diener daraufhin ans Kreuz genagelt wird, erscheint fast wie eine göttliche Ungerechtigkeit.

Die Frauen des Abends zeigen mehr individuelle Züge, als Leporellos Registerarie und das dazu passende Fotoalbum es vermuten lassen: Sopranistin Cornelia Zink spielt mit stimmlicher Souveränität eine Donna Elvira, die Don Giovannis Lüsternheit mit verführerischem Äther Paroli bietet, Nina Sveistrup Clausen ist als Donna Anna mit sehr kraftvollem Sopran überzeugend die Rächerin ihres Vaters, den wiederum Young Kwon mit ausladendem Bass die nötige räumliche Tiefe verleiht.

Szenenbild zu „Don Giovanni“
Szenenbild zu „Don Giovanni“

Der Komtur erscheint allerdings nicht zum Gastmahl, sondern zu einem Schaumbad. Nachdem er einen Mord begangen hat und für Ehebruch und Vergewaltigung verantwortlich ist, versucht Don Giovanni vergeblich, sein schmutziges Leben reinzuwaschen. Vergebens, denn erneut den Drogen verfallend, verpasst er sich mittels Heroinspritze den goldenen Schuss.

Schwerins neuer „Don Giovanni“ überzeugt mit fachkundigem Dirigat und solider, mit Applaus gefeierter Sängerleistung. Die aufwändige und oftmals auch fordernde Inszenierung vermochte jedoch nicht, das gesamte Publikum zu überzeugen.

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Mozart: Don Giovanni

Catherine Karsen-Maguire (Leitung), Franziska Kronfoth (Regie), Christina Schmitt (Ausstattung), Martin Mallon (Video & Live-Kamera), Jakob Klaffs (Video), Frank Kraus (Licht), Aki Schmitt (Chorleitung), Judith Lebiez (Dramaturgie), Friedeman Braun (Continuo), Martin Gerke, Tiziano Bracci, Cornelia Zink, Nina Sveistrup Clausen, Sebastian Köppl, Anna Cavaliero, Laurence Kalaidijan, Young Kwon, Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters, Mecklenburgische Staatskapelle






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