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Opern-Kritik: Meininger Staatstheater – Madama Butterfly

Familienidyll unter Sternenbanner

(Meiningen, 12.4.2024) Puccinis tränentreibende Tragödie „Madama Butterfly“ inszenieren Hendrik Müller und sein Ausstattungsteam am Staatstheater mit ironischer Übertreibung und klarer USA-Kritik. Starke Argumente für Puccini kommen aus dem Graben und vom famosen Sängerensemble.

vonRoberto Becker,

Ob man nun Puccini-Fan ist oder nicht — bei „Madama Butterfly“, die nun am Meininger Staatstheater Premiere feierte, ist ein Quantum Ergriffenheit eingeplant, ja unvermeidlich. Vor allem, weil die Musik des Italieners ein so hemmungsloser Frontalangriff aufs (Mit-)Gefühl ist, dass man dem nur schwer ausweichen kann. In dieser beim Publikum so beliebten Oper brauchte es noch nicht mal den Vormarsch der politischen Korrektheit, um den exemplarisch arroganten Yankee zu verachten, der in aller Welt das Sternenbanner aufpflanzt und sich als Machomann bei den Töchtern des jeweiligen Landes bedient, ohne sich Gedanken über Kollateralschäden bzw. -folgen zu machen. Und es braucht auch keine Überdosis an Empathie mit den Schwächeren und Opfern beim Kampf um globale Vormacht, um das Schicksal der jungen Japanerin zu bedauern, die ihren Traum vom freien Leben, ihren Sohn und dann sogar ihr Leben verliert.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater

Pinkerton im Barbie-Wunderland

Man muss sich szenisch anstrengen, um eine solche Distanz zur Geschichte und ihrer musikalischen Suggestionskraft zu finden, dass der Funke des Mitgefühls nicht auf den Saal überspringt. Und wenn es durch Übertreibung ist. Pinkerton im Barbie-Wunderland reicht nicht – es muss das rote Basecape auf der strohblonden Perücke sein, wie es beim vorigen und womöglich nächsten US-Präsidenten das Markenzeichen ist. Kostümbildnerin Katharina Heistinger hat in dieser Beziehung überhaupt ganze Arbeit geleistet. Bei ihrer Art von Kostümklischeepop sehnt man sich geradezu ins Reich der historischen Kimono-Folklore zu Kirschblüte und Papierwand zurück. Hier stellen die ironisch distanzierenden Kostüme jeden ihrer Träger irgendwie bloß.

Selbst dem wie ein normaler, emphatischer Mensch agierenden Konsul Sharpless fehlen an der Uniform die Ärmel, so dass er beim ersten Auftritt an einen Barbecue-Gastgeber mit Kittelschürze erinnert. Was allerdings zum gestreiften Pyjama-Look, den Pinkerton unterm Raumanzug trägt, passt. Der war zu Beginn im Raumanzug in die Oper bzw. die Welt von Butterfly eingeschwebt. Auch die Frisuren bzw. Perücken sind bei den Amerikanern und bei den Japanern von ausgesuchter Hässlichkeit. Mit der Bühne von Marc Weeger ist es nicht viel anders. Als Astronaut landet der Marineleutnant B. F. Pinkerton in einer ziemlich kaputten, aber pinken Welt. Die vollgestellte Bühne behauptet altes Japan im Untergang, mit schiefem Dach samt angekohltem Sternenbanner.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater

Phasenverschiebungen bei den Protagonisten sind noch keine Vergegenwärtigung

In diesem Ambiente vor einem projizierten Himmel, der zwischen nächtlichem Sternenfunkeln und farbigem Wolkenspiel changiert, erzählt Regisseur Hendrik Müller die Geschichte gleichwohl konventionell. Mit kleinen Verweisen in die Gegenwart, wie eine Spielzeugraumfähre für den Sohn von Pinkerton und Cio-Cio-San. Auch der Ersatz des vom Kuppler herangeschafften alten reichen Fürsten Yamadori durch einen Popsänger mit Boygroup (Leo Weiche) deutet in die Richtung. Diese Phasenverschiebungen bei den Protagonisten führen nicht wirklich zu einer Schärfung oder Vergegenwärtigung, sie wirken alle eher wie eine Bildstörung.

Suzuki etwa ist zu Beginn eine Frau, die kurz vor einem Rollenspiel als Domina mit Sharpless steht, dann ist sie aber doch nur die treusorgend pragmatische Dienerin Cio-Cio-Sans. Sie ist zwar sichtbar glücklich, als die sie einmal küsst, nimmt aber jedes der Dollarbündel inklusive des Schecks, die ihr die so attraktive wie arrogante Frau von Pinkerton als Preis für dessen Jungen zusteckt. Dass der nur im Traum vom Familienidyll als lebendiges Kind auftaucht und sonst nur als Puppe mit von der Partie ist, gehört auch zur großen Distanzierung vom sentimentalen, tränentreibenden Image der Oper. Wirklich überzeugend funktioniert dieses Er-satzkind nicht. Oder nur insofern, als Butterfly hier eine Frau ist, die bei weitem nicht nur das Opfer ist, sondern ihren eigenen (Lebens-)Plan verfolgt. Der schließt den Bruch mit ihrer Familie und ihrem Herkommen ebenso ein, wie die Benutzung des Kindes, um ihre Pläne durchzusetzen.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater

Ein vokales Bravourstück: Deniz Yetim als Cio-Cio San

Dass sie hier nicht das jugendlich naive Opfer ist, macht Deniz Yetim als Cio-Cio San mit dem ersten Blick vom Video in der Großaufnahme und dann vor allem von ihrem ersten Ton an unmissverständlich deutlich. Sie ist eine Butterfly, die sich so in die Rolle wirft und deren Dramatik auskostet, dass es mehr an eine chinesische Prinzessin, als an eine japanische Geisha erinnert. Das ist zweifellos ein vokales Bravourstück, das freilich nur deshalb nicht aus den Fugen gerät, weil ihr eine so eloquent dunkel leuchtende Suzuki wie Tamta Tarielashvili zur Seite steht und der Einspringer-Pinkerton (Alex Kim war bei der Premiere erkrankt) Nenad Čiča mit seinem höhensicher strahlenden Tenor zwar standhält, aber vokal und szenisch, bildlich gesprochen, die zweite Geige spielt.

Johannes Mooser ist als US-Konsul Sharpless ein sonor singender und mitfühlend mahnend spielender Sympathieträger. Tobias Glagau hat da als Heiratsvermittler Goro eh keine Chance, aber sein Kupplerrock und die bunten Haare geben dieser Figur den Rest. Selcuk Hakan Tiraşoğlu dagegen darf bei seinem donnernden Auftritt als Bonzo zu seinem Prachtbass auch noch das üppigste Kostüm des Abends vorführen. Bei dem kurzen Auftritt von Sara-Maria Saalmann als Kate Pinkerton bedauert man vor allem, dass sie so wenig zu singen hat. Den arroganten Habitus so mancher US-Amerikaner hat sie so überzeugend drauf, wie ihn auch Čiča nach seiner Miniprobenphase als Einspringer hinbekommt.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ am Meininger Staatstheater

„Madama Butterfly“ mit Premierenjubel

Im tief abgesenkten Graben hat Pultgast Chin-Chao Lin die Hofkapelle bestens im Griff, lässt sie zwar auch auftrumpfen, aber überdeckt nie die Sänger. Was an diesem Abend vom Orchester, aber auch vom Chor (Einstudierung: Roman David Rothenaicher) zu hören ist, ist allemal das überzeugendste Argument für den Puccini-Sound, den die Opernfreunde so mögen. In seinen Jubel für die Musik und die Protagonisten schloss das Meininger Premierenpublikum auch das Produktionsteam ein.

Meininger Staatstheater
Puccini: Madama Butterfly

Chin-Chao Lin (Leitung), Hendrik Müller (Regie), Marc Weeger (Bühne), Kostüme (Katharina Heistin-ger), Roman David Rothenaicher (Chor), Deniz Yetim, Tamta Tarielashvili, Sara-Maria Saalmann, Nenad Čiča, Tobias Glagau, Johannes Mooser, Selcuk Hakan Tiraşoğlu, Leo Weiche, Raphael He-ring, Tomasz Wija, Heejoo Kwon, Dorothea Böhm, Julie Mooser, Chor und Statisterie des Staatstheater Meiningen, Meininger Hofkapelle




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