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Opern-Kritik: Theater Bonn – Nabucco

Wo der Demagoge sein Unwesen treibt

(Bonn, 3.10.2025) In „Nabucco“ am Theater Bonn wirkt Will Humburg mit dem Beethoven Orchester Bonn wahre Wunder. Vielem lauscht man wie zum ersten Mal. Regisseur Roland Schwab deckt die ungeheure Brutalität der babylonischen wie der hebräischen Seite auf.

vonMichael Kaminski,

Die Bonner Stückwahl und Premiere zum Tag der deutschen Einheit sind trefflich. Kein Werk des Musiktheaters steht mehr für die Hoffnung auf Freiheit und nationale Unabhängigkeit als dieses. Dass sich die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit bewirken ließ, dazu leistete die „Bonner Republik“ ihren wichtigen Beitrag. In „Nabucco“ freilich stößt Regisseur Roland Schwab am Theater Bonn die ungeheure Brutalität in der Sprache gleichermaßen der babylonischen und hebräischen Seite auf. Der Hybris des sich selbst vergottenden Königs und der skrupellosen Machtpolitik Abigails tritt in Schwabs Augen bar aller Hemmungen der Masseneinpeitscher Zaccaria entgegen. Ein mit allen manipulativen Wassern gewaschener Demagoge.

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Der Volksverhetzer kennt nur eine Wahrheit, die des Herrschaftsanspruchs seiner Religion über jede andere. Babels Herrscher indessen kommt zunächst als ganz gewöhnlicher Despot daher. Von einer hohen Mauer herab weidet er sich am Anblick der drunten zusammengepferchten Besiegten. Seine Schergen leeren dort Benzinkanister aus. Der König wirft seinen Glimmstängel hinab. Und ergötzt sich am Holocaust. Letzteres ist das seit dem Mittelalter eingeführte Wort für das Verbrennen vieler Menschen. Unerachtet ihrer Herkunft. Auf dem Fleck stellen sich – darüber hinausgehend – Assoziationen an die Shoah ein. Mit prekärem Ergebnis. Denn der babylonische König trachtet bei aller Selbstüberhebung nicht nach industrieller Menschenvernichtung. Bekennt sich am Ende gar selbst zum Gott Israels. Schwab liegt hier fatal falsch.

Szenenbild aus „Nabucco“
Szenenbild aus „Nabucco“

Wenn das Cello Hoffnung weckt

Frappant hingegen der Titelfigur tiefer Fall in den Wahnsinn. Statt vom Blitz getroffen zu werden, stürzen über Nabuccos Haupt LED-Schriftbalken mit Zitaten aus dem Alten Testament bis zu Stalin und Hitler in sich zusammen. Bald schon hängt der Umnachtete buchstäblich in den zugehörigen, ihn gleichzeitig fesselnden und ihm Halt bietenden Kabeln. Dem Cello schreibt Schwab Augenblicke der Versöhnung und Utopie zu. Weniger in Zaccarias vom Instrument eingeleiteter Preghiera, der die auf der Bühne positionierten Musikerdoubles eher ratlos folgen, als beim Ableben Abigailles, deren finale Reue der neben ihr platzierte Solocellist in mildes Verzeihen taucht.

Der einzige Moment, in dem die Usurpatorin Profil über das Klischee der Machtpolitikerin und Gewaltverbrecherin hinaus gewinnt. Auf die Idee, die Hebräer während des Gefangenenchors mit nach und nach aufleuchtenden Mobiltelefon-Displays die Bühne betreten zu lassen, muss man erst einmal kommen. Bühnenbildner Piero Vinciguerra umgibt die Spielfläche dreiseitig mit farblich leicht irisierenden Mauern. Die Rückwand ist zurückklappbar und vermag Platz für Massenauftritte und -abgänge zu schaffen. Die über dem wahnsinnigen Babylonierkönig dräuende Skulptur aus LED-Tafeln und Kabeln ist Hingucker des Abends. Kostümbildnerin Renée Listerdal steckt die Personnage in unverbindlich Heutiges.

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Szenenbild aus „Nabucco“
Szenenbild aus „Nabucco“

Musikalische Sternstunde

Allererst erwirbt der neue Bonner „Nabucco“ musikalische Meriten. Chor und Extrachor des Hauses bewähren unter André Kellinghaus enorme Durchschlagskraft und Klangpracht. Der Gefangenenchor indessen tönt – wie die Partitur will – denkbar verhalten. In seltenen Augenblicken steigt Emphase auf. Wahre Wunder wirkt Will Humburg mit dem Beethoven Orchester Bonn. Die Dynamik lässt sich al fresco vernehmen, nie aber grobschlächtig, die Rhythmik kühn und bisweilen rasierklingenscharf. Was die Noten an orchestralen Farben hergeben, wird ausmusiziert. Vielem lauscht man wie zum ersten Mal. Monumental formatiert Aluda Todua seinen Nabucco.

Ob Gewaltherrscher von Graden, des Wahnsinns Beute oder finaler Konvertit, jede der Facetten birgt vokale und darstellerische Größe. Erika Grimaldi verkörpert Abigailles Machtbesessenheit auf vokal pfeilgerader Linie. Die wenigen lyrischen Augenblicke besitzen Intensität. Die Cabalette vertrügen heftigere Attacke. Höhensicher und tiefensatt peitscht Derrick Ballards Zaccaria die Volksmassen ein. Ioan Hotea ist eine Luxusbesetzung für Ismaele. Höhensicherheit und erlesene Phrasierungskunst sind des Tenors eigenste Anliegen. Unbedingt aufhorchen lässt auch die Fenena von Charlotte Quadt.

Theater Bonn
Verdi: Nabucco   

Will Humburg (Leitung), Roland Schwab (Regie), Piero Vinciguerra (Bühne), Renée Listerdal (Kostüme), Boris Kahnert (Licht), André Kellinghaus (Chor), Aluda Todua, Erika Grimaldi, Derrick Ballard, Ioan Hotea , Charlotte Quadt, Marie Heeschen, Ralf Rachbauer, Christopher Jähnig, Beethoven Orchester Bonn, Chor und Extrachor des Theater Bonn






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