Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Dalibor

Held ohne Musik

(Frankfurt am Main, 24.2.2019) Regisseurin Florentine Klepper blockiert die Synapsen von der Szene zu Smetanas herrlicher Musik irreparabel.

© Monika Rittershaus

Szenenbild aus "Dalibor"

Dalibor/Oper Frankfurt: Gordon Bintner (Vladislav) und Ensemble

„Dalibor“ ohne Geige ist wie „Der Rosenkavalier“ ohne silberne Rose. Florentine Klepper nutzt in ihrer Bespiegelung gegenwärtiger Tendenzen Richtung Transparenzgesellschaft deren Phänomene perfekt: Visuelle Informationen in einer sich verhärtenden Mediokratie und deren Gefahrenpotenzial. Poetische Dimensionen des Textbuches von Josef Wenzig und Ervin Špindler bleiben unberücksichtigt, musikalische sind der Regisseurin gleichgültig. Deshalb wurde alles amputiert, was Florentine Kleppers anfangs durchaus packender, doch nach der Pause verwässernder Perspektive auf die mit Komplexen behaftete tschechische Nationaloper zuwider läuft. So brachte sie den Applaus eines Großteils des Premierenpublikums zum eisigen Verstummen.

Mediendiktatur

Selten erlebt man ein derartiges Auseinanderdriften von Dramaturgie und szenischer Realisierung. Im Programmheft dringt ein Aufsatz des im Dezember 2018 verstorbenen Feuilletonisten Hans-Klaus Jungheinrich zu spannenden Details der Semantik des Werks und seiner polarisierenden Wirkung durch. Dabei bezog sich Jungheinrich auf Teile der Partitur, die in der Frankfurter Produktion mit der deutschen Übersetzung von Kurt Honolka gnadenlos gestrichen wurden.

Bei diesen Strichen handelt es sich nicht nur um Vergröberungen, sondern schlichtweg um Betrug am Publikum, dem man gleich mehrere aberwitzig schöne Stellen vorenthält. Trotz einiger Grobheiten war da Roland Schwab in seiner mit Sex und Gewalt überhitzten Deutung am Staatstheater Augsburg weit näher am inneren Puls der Oper und auch an deren Brüchen zu den Geschlechternormen des 19. Jahrhunderts.

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Szenenbild aus "Dalibor"

Dalibor/Oper Frankfurt

In Hinsicht auf Körperlichkeit erweist sich die Regie von Florentine Klepper als zukunftsfähig: Sex darf es bei ihr nur noch in seiner metaphorischen Form mit den omnipräsenten Kameras geben. Wenn es zwischen der Revolutionärin Jitka (lyrisch-dramatische Edel-Granate: Angela Vallone) und Vítek (luxuriös: Theo Lebow) zur Sachen gehen soll, haut die Polizei sofort mit Schild und Schlagstock dazwischen.

Dalibor: Randale und Liebe

Auf engsten Raum sind auf Boris Kudličkas Drehbühne ein TV-Studio mit Stimmungsmache-Statisterie, eine Überwachungszentrale nebst Videos (Kai Ehlers mit drei weiteren Personen am Set) als Spielräume installiert: Echtzeit und Aufzeichnung, Fake und Verifizierung werden zunehmend krude nach reißerischen Schockern wie dem blutigen Haupt von Dalibors totem Freund Zdenek, frei Haus im praktischen Post-Paket. Unklar auch: Ist die Klägerin Milada eine professionelle Doku-Actrice oder gefühlsecht? Was ist dran an der schwulen Vergangenheit des Angeklagten Dalibor, der als idealer Projektionsmagnet für Mitleid oder Entrüstung dient? Dafür kommt er schon am Ende des ersten Aktes auf den elektrischen Stuhl und führt danach seine Schattenexistenz vor laufenden Kameras weiter.

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Szenenbild aus "Dalibor"

Dalibor/Oper Frankfurt

In der nahen Medien-Zukunft gibt es nur noch Medien-Dummies oder randalierende Revoluzzer. In beiden Funktionen schlägt sich der Chor der Oper Frankfurt unter Tilman Michael (meistens sogar im Wortsinn) hervorragend. Der König des spätmittelalterlichen Böhmen wird zum König der Showmaster auf Roller-Skates, dem die Maske vor der auf Live gestellten moralischen Jammerarie nochmal die Nase pudert. Verräterisch bleibt nur Gordon Bintners zwischen heller Höhe und schwarzer Tiefe chamäleonartig wechselnder Bariton. Die Kausalkette von Rache, Vergeltung, Allianz, Revolution und martialischer Ruhestiftung ist verkürzt auf die telegene Frage: Schuldig? / Nicht-Schuldig? Dazu läuft der Quotenticker.

Die Regie verspinnt sich in der Sackgasse ihres theoretischen Kokons

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Szenenbild aus "Dalibor"

Dalibor/Oper Frankfurt

Spätestens ab der Pause ist die Regie aussichtslos versponnen in der Sackgasse ihres theoretischen Kokons. Mitdenken wird zwecklos, die Synapsen von der Szene zur Musik sind irreparabel blockiert. Zeichen dafür: Milada bringt Dalibor ins Gefängnis nicht die Geige, utopisches Symbol für Liebe unter Männern und nationale Identität, sondern stülpt Dalibor einen Kopfhörer mit seinen Lieblingshits über.

Musikalische Spitzenleistung

Aber auf musikalische Höchstleistungen muss man zum Glück nicht verzichten. Unverständlich, wie Stefan Soltesz diesen Strichen zustimmen konnte, einer sogar vor den schönsten Modulationen in Dalibors erster Kerkerarie, ein ganz langer in der für die Charakterisierung der Titelrolle zentralen Szene im dritten Akt, und am Ende fehlt der stratosphärisch abhebende Frauenchor mit Smetanas „Message“.

Ein musikalischer Rausch im Zeitalter seiner banalen Konsumierbarkeit

Soltesz zelebriert Smetanas Partitur mit dunkler epischer Grundierung, auf der die vielen kammermusikalischen Soli leuchten wie Brillanten in einer slawischen Königskrone: Edel, erlesen tönt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und mit jener ernsten Liebe zum Detail, wie sie dieser noch immer unterschätzten Oper zukommt.

In allen Partien hört man guten und von den zentralen Partien großen, bewegten und bewegenden Gesang, der durch eine genauere musikszenische Durchdringung noch packender hätte werden können. So strahlt wenigstens die echte Freude an dem warm pulsierenden Sopran von Izabela Matuła als Milada, an dem hell timbrierten und Dalibors verbliebene Romanzen zu den erwarteten Höhepunkten des Abends machenden Aleš Briscein. Beide zeigen Zeichen von szenischer Unterforderung, für die man vokal reich entschädigt wurde. Ein musikalischer Rausch im Zeitalter seiner banalen Konsumierbarkeit.

© Monika Rittershaus

Szenenbild aus "Dalibor"

Dalibor/Oper Frankfurt

Oper Frankfurt
Smetana: Dalibor

Stefan Soltesz (Leitung), Florentine Klepper (Regie), Boris Kudlička (Bühne), Adriane Westerbarkey (Kostüme), Tilman Michael (Chor), Aleš Briscein (Dalibor), Izabela Matuła (Milada), Angela Vallone (Jitka), Gordon Bintner (Vladislav), Simon Bailey (Budivoj), Thomas Faulkner (Beneš), Theo Lebow (Vítek), Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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