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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Mary, Queen of Scots

Die instrumentalisierte Monarchin

(Leipzig, 16.12.2023) Matthias Foremny und das Gewandhausorchester votieren entschieden für das durch und durch britische Werk von Thea Musgraves. Regisseurin Ilaria Lanzino umschifft klug Gefahr, in der Schottenkönigin das bloße Opfer zu sehen.

vonMichael Kaminski,

Der vermeintliche Retter der Schottenkönigin demaskiert sich als ihr Vergewaltiger. Schamlos nutzt der triebgesteuerte Earl of Bothwell die höchst gefährdete Machtposition Maria Stuarts aus, auf dass er sich das weibliche Objekt der Begierde verschaffe und zugleich die Herrschaft im Reich antrete. Für Bothwell wie die gesamte schottische Nobilität ist die Königin eine bloße Pappkameradin, hinter der die Earls und Lords ihre Kabalen und Rankünen um die Vorherrschaft im Land austragen. Thea Musgraves 1977 in Edinburgh uraufgeführter Dreiakter, für den sie sich als ihre eigene Librettistin Amalia Elgueras Schauspiel „Moray“ anverwandelte, umfasst die Zeitspanne von der Inthronisierung Marys im Jahr 1561 bis zum fatalen Entschluss zur Flucht nach England sechs Jahre darauf. Musgraves Orchester geht nur wenig über eine Kammerbesetzung hinaus. Schlagwerk, Harfe und Truhenorgel setzten zusätzliche Akzente. Die Chorpartie zitiert – mitunter bis zur bloßen Geräuschkulisse verzerrt – schottische Folklore, höfische Renaissance samt für die britische Insel typischer Hymnik. Der Titelfigur gönnt Musgrave oft weit gespannte melodische Bögen, Earls und Lordschaften agieren vokal kurzatmiger bis hin zu abgehackten Phrasen.

Szenenbild aus „Mary, Queen of Scots“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Mary, Queen of Scots“ an der Oper Leipzig

Widerstand gegen die Opferrolle

Regisseurin Ilaria Lanzino umschifft die dem Werk eingeschriebene Gefahr, in der Schottenkönigin das bloße Opfer zu sehen. Zwar setzen ihr der Haudegen Bothwell, der auf den Königstitel erpichte Halbbruder James Stewart und ihr Taugenichts von Gemahl Darnley ebenso rüde wie beständig zu, Lanzino unterstreicht dennoch jene – utopischen – Augenblicke, in denen die Königin ihre Herrschaft unter Verzicht auf Gewalt und Kabalen auszuüben sucht. Obschon der Hochadel die Monarchin omnipräsent belauert, lässt Lanzino sie immer wieder um Intimität und Privatheit ringen. Doch selbst in solchen Situationen meint ihr die adelige Männergesellschaft die Gesprächs- und Tanzpartner vorschreiben zu müssen. Der einzige Thron, den ihr niemand streitig macht, ist das Klosett, auf das sie sich zurückzieht, um ihren Gedanken nachzuhängen und bei sich selbst zu bleiben. Bühnenbild und Kostüme sind klimaneutral hergestellt. Ihre Bestandteile wurden hauptsächlich dem Fundus entnommen, rekombiniert und umgestaltet. Bei Annette Brauns Kostümen gelingt das vollauf. Zwar nicht im Kilt, doch schwarzberockt geistert die Nobilität gespenstisch finster über die Bühne. Die Königin vermännlicht zusehends, bis sie in der Frisur der Lords, harnischgleichem Kleid und Stulpenstiefeln dasteht. Dirk Becker türmt stilistisch und funktional verschiedenste Tische zu einer Installation, deren steile Rampen und Treppen immer wieder neue und gefährliche Gruppenkonstellationen ermöglichen. Proportional zu den Leipziger Bühnenmaßen steht die Szenerie zu klein geraten im Raum.

Szenenbild aus „Mary, Queen of Scots“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Mary, Queen of Scots“ an der Oper Leipzig

Very British, Very Scottish

Auch musikalisch legt man sich an der Pleiße gewinnend für Musgraves Oper ins Zeug. Monumental und durchschlagskräftig lässt Thomas Eitler de-Lind den Chor der Oper Leipzig tönen. Matthias Foremny und das Gewandhausorchester votieren entschieden für das durch und durch britische Werk. Oft gibt sich im freilich spröderen und harscheren Idiom Musgraves die Nachfolge Brittens zu vernehmen. Gleichermaßen strahlkräftig und voll empfindsamer Wärme sowie unter auch spielerisch restlosem Einsatz plädiert Nicole Chevaliers Gestaltung der Titelfigur für Menschlichkeit und Frauenrechte. Eher dramatische Passagen wird sie sich im Lauf der Aufführungsserie erschließen. Selbstbewusst auftrumpfend und – wie die Partitur fordert – ohne jede Empathie mit der königlichen Schwester gibt Franz Xaver Schlecht den James Stewart. Marias Gemahl Lord Darnley ist bei Rupert Charlesworth ein gewissenloser Hedonist. Vom Bühnenrand gestaltet Einspringer Eberhard Francesco Lorenz den fiesen Heerführer Bothwell, während Regisseurin Lanzino die Figur spielt. Als Ausnahmeerscheinung in der düsteren Umgebung des schottischen Hofes lässt Sejong Chang den Sekretär der Königin David Riccio Poesie und Charme versprühen.  

Oper Leipzig
Musgraves: Mary, Queen of Scots

Matthias Foremny (Leitung), Ilaria Lanzino (Regie), Dirk Becker (Bühne), Annette Braun (Kostüme), Steffo Jennerich (Licht), Thomas Eitler-de Lint (Chor), Nicole Chevalier, Franz Xaver Schlecht, Eberhard Francesco Lorenz (Gesang) / Ilaria Lanzino (Spiel), Rupert Charlesworth, Sejong Chang, Randall Jakobsh, Lord Gordon, Richard Morrison, Dan Karlström, Augusta Kling, Leah Weil,  Lena Herrmann, Katharina von Hassel, Vincent Turregano, Marian Müller, Komparserie der Oper Leipzig, Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester

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