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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Intermezzo

Wie schön ist doch ein deftiger Ehekrach

(Dresden, 1.11.2024) Wie Bühne, Film und Graphic Novel immer neu ineinander diffundieren, das macht den optisch ungemeinen Reiz der „Intermezzo“-Inszenierung von Axel Ranisch aus. Der eheliche Zwist von Pauline und Richard Strauss, der hier zur Oper mutiert, wird samt verliebtem Ausgang zu geistreich-deftigem Streit.

vonMichael Kaminski,

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte sich der Komponist der „Salome“ und „Elektra“ in der Bürgerschreck-Attitüde gefallen. Am Ende des zweiten stimmt er das Loblied der bürgerlichen Ehe an. Und erfindet so gleich ein ganz neues Genre, die Zeitoper. Kein Wunder, dass Paul Hindemith sich angetan zeigte. Ohne die Ehe-Oper „Intermezzo“ wäre seine Anti-Ehe-Oper „Neues vom Tage“ schwer denkbar. Regisseur Axel Ranisch nimmt des Tonsetzers Absicht, „Kinobilder“ zu schreiben, beim Wort, die ausgedehnten Zwischenspiele fordern förmlich dazu auf. Und so wohnt denn das Ehepaar Strauss – in Schwarzweiß auf die Leinwand gebannt – der Uraufführung des Werks am 4. November 1924 im Schauspielhaus der Sächsischen Staatstheater bei, wohin das Opernensemble offenbar der Intimität des Sujets halber überwechselte.

Des Meisters nichtsahnende Gemahlin Pauline zeigt sich einigermaßen konsterniert über ihr für die Bühne fadenscheinig in Christine umbenanntes Ebenbild, sie verlässt die Loge, um sich im Foyer der Semperoper, in die sie offenbar geflohen ist, den einen oder anderen Drink zu genehmigen. Auf der Bühne übrigens bleibt Pauline gegenwärtig, dies in Gestalt von Multiples in Kostümen weiblicher Zentralfiguren von Straussopern. Im Foyer hingegen wachsen sich Paulines Rachephantasien zu einer verfilmten Graphic Novel aus, in der sie zur den Jochanaan-Richard enthauptenden Salome und mit der Axt dreinschlagenden Elektra mutiert.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden

Videokünstler Falko Herold serviert die Mordtaten ebenso karikaturhaft-charmant wie die übrigen cineastisch aufbereiteten Turbulenzen im Eheleben des in seiner Ungleichheit sich wechselseitig ergänzenden Paares. Nach einiger Zeit hält es der Tondichter nicht länger aus und begibt sich auf die Suche nach der Gattin. Schließlich kehren beide in bestem Einverständnis und von Kundgaben der Leidenschaft zerzaust in ihre Loge zurück, um verschworene Blicke tauschend und selig lächelnd das Opernfinale zu genießen.

Ehestreit und Aussöhnung als Liebeselixir

Dazu haben sie besten Grund: Eheliche Zwiste, die recht gerne auch ab und an mutwillig vom Zaun gebrochen werden, sind samt verliebtem Ausgang den Film- wie den Bühnenfiguren hochwillkommen zu geistreich-deftigem Streit. Doch verfügt das Ehepaar meist über ein phänomenales Timing zur Vermeidung von beziehungsgefährdenden Eskalationsstufen. Werden sie tatsächlich einmal erreicht, wie im Krach um des Tonsetzers vermeintliche Geliebte Mieze Maier, erweist sich die eheliche Liebe als dennoch den gegenseitigen Vorwürfen überlegen.

Axel Ranisch beobachtet dies alles präzise. Er ist auf dem Punkt, wenn sich inmitten des Streits Sorgen um Befindlichkeit und Wohlergehen des oder der eben noch Abgekanzelten einstellen. Und gönnt ihnen ohne Vorbehalt die Schwelgerei im großen Strauss-Finale. Wie Bühne, Film und Graphic Novel immer neu ineinander diffundieren, das macht den optisch ungemeinen Reiz einer Herangehensweise aus, die leicht zum medialen Overkill hätte führen können. Saskia Wunschs Bühne wartet mit wie ins Riesenhafte vergrößerten Scherenschnitten von Jugendstil-Interieurs von Salon und Ballsaal, perspektivisch in kühner Untersicht dräuendem Wald und alpinen Gipfeln auf.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden

Eifrig zeigt sich die Untermaschinerie beschäftigt, um Personnage samt Mobiliar aus der Versenkung herauf- und hinabzufahren. Bühnenbild wie ferner Alfred Meyerhofers Kostüme verlegen so die Geschehen ganz an den Beginn des 20. Jahrhunderts, die Zeit jener Eifersuchtsszenen im Hause Strauss, die zwei Jahrzehnte darauf in die Oper fanden. Klar, dass bei dieser Datierung Pauline die Wallungen Salomes und Elektras erfüllen.

Flottes Parlando, geistreiche Selbstzitate und monumentales Finale

Gewinnend wie die szenische gibt sich die musikalische Seite der Strausschen Zeitoper. Patrick Hahn misst mit der Sächsischen Staatskapelle das gesamte Spektrum von delikat bis deftig aus. Satirisch blitzen immer wieder die Klangwelten von „Elektra“ und „Salome“ auf. Die Walzer verraten betonte Operettennähe. Dem Finale werden Monumentalität und Strahlkraft zuteil. Maria Bengtsson beglaubigt eine sich hochsympathisch echauffierende Christine / Pauline.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Semperoper Dresden

Trotz aller Allüre dringt die Neigung zum Gemahl immerfort durch. Beim flott und erwogen parlierenden Christoph Pohl scheint Storch / Strauss in die Launen der Gattin oft regelrecht verschossen. Wenn der Meister vokal auftrumpft, übt er bald schon hausväterliche und beinahe kavaliersbaritonale Nachsicht. Katharina Pittelkow und Erik Brünner gewinnen als Pauline und Richard Strauss des Films ganz unbedingt. James Ley schmeichelt sich tenoral bei Christine / Pauline ein.

Semperoper Dresden
R. Strauss: Intermezzo

Patrick Hahn (Leitung), Axel Ranisch (Regie), Saskia Wunsch (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Fabio Antoci (Licht), Falko Herold (Video), Manuel Ruge (Kameramann), Michael Tucker (Choreografie), Maria Bengtsson, Christoph Pohl, Ute Selbig, James Ley, Bernhard Hansky, Sabine Brohm, Jürgen Müller, Anton Beliaev, Martin-Jan Nijhof, Tobias Kehrer, Sofia Savenko, Katharina Pittelkow, Erik Brünner, Lucie Lange, Frauke Wilke, Leander Wilde, Sächsische Staatskapelle Dresden

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