Royalen Glanz liefern viele von Georg Friedrich Händels (1685-1759) Opern oft allein schon mit ihrem Titel. Wenn nicht gerade Zauberinnen oder Ritter ihr (Un-)Wesen treiben. Besonders, wenn das titelgebende männliche Personal königlichen Blutes ist, oder falls die Damen im Zentrum stehen, das Objekt königlicher Begierden sind. Auch deshalb eignen sich Händelopern per se für diverse Jubiläen. „Ottone, re di Germania“ ist also keine schlechte Wahl für den Auftakt zum aktuellen Händelfest in Karlsruhe.
Der Benjamin der drei deutschen Händel-Festspiele
Dort hat die deutsche (und internationale) Händelgemeinde gerade einen Grund zum Feiern. Der Benjamin der drei deutschen Händel-Festspiele, mit denen in Karlsruhe im Geburtsmonat des Meisters aus Halle an der Saale der Festspiel-Reigen eröffnet wird, finden zum 45. Male statt. Die Festspiele in Göttingen und Halle sind zwar deutlich älter, aber was in Karlsruhe einst als Marketingidee begann, hat sich längst etabliert.
Der Hallenser oder der Engländer?
Händelfestspiele wie diese mit einem „International“ als Zusatz zu schmücken, ist im Grunde überflüssig. Festspiele zu Ehren des europäischen Barockmeisters par excellence sind gar nicht anders vorstellbar. Schon, weil italienisch oder englisch die Originalsprache ist und es heute zumindest extravagant wirkt, davon abzuweichen. Oder, weil es viele Briten geben soll, die den in der Westminster Abby begrabenen Komponisten für einen Engländer halten. Die Hallenser müssen zwar einräumen, dass er ihre Stadt schon mit Achtzehn verlassen hat. Aber da war er schon mehr als nur das Genie im Wartestand, das er in Hamburg und Hannover, in Italien und England dann wurde. Von den fast durchweg mit historischem Ehrgeiz zu Werke gehenden Interpreten seiner Musik im Graben oder auf der Bühne ganz zu schweigen.
Wer Händel inspirierte
Im konkreten Fall gibt es noch eine Anekdote aus der Entstehungshistorie der 1723 in London, im King’s Theatre am Haymarket, mit durchschlagendem Erfolg uraufgeführten Oper. Die Anregung für das Sujet brachte Händel nämlich von einer (Dienst-)Reise nach Dresden mit. Dort wurde mit der Hochzeit des sächsischen Kronprinzen Friedrich August von Sachsen mit der Erzherzogin Maria Josepha von Österreich nicht nur ein grandioses barockes Staatsspektakel zelebriert und die Hofoper eingeweiht, sondern auch Antonio Lottis Oper „Teofane“ aufgeführt.
Das Stück hatte es Händel angetan. Mit seinem Librettisten Nicola Francesco Haym machte er aus diese „Anregung“ schließlich seinen „Ottone“. Der clevere Unternehmer Händel warb gleich noch diverse Sängergrößen der Szene seiner Zeit für London ab. Starkastrat Senesino war der Ottone. Die streitbare Francesca Cuzzoni (das ist die, die der Meister der Legende nach fast aus dem Fenster geworfen hätte) die Teofane.
Ein melodiensattes Kammerspiel für ein halbes Dutzend Protagonisten
„Ottone“ wurde eines von Händels Opern-Schmuckstücken für den (aus heutiger Sicht) zweiten Blick. Vergleichsweise selten aufgeführt, ist es ein melodiensattes Kammerspiel für ein halbes Dutzend Protagonisten. Für deren Agieren sind ihre historischen Vorbilder zweitrangig; die Winkelzüge des Librettos sogar eher verwirrend. Wie Regisseur Carlos Wagner und sein Ausstatter Christophe Ouvard allerdings die Opulenz der Kostüme und die atmosphärische Wirkung blätternder Historie eines raffiniert wandlungsfähigen Bühnenraumes in eine Balance gebracht haben, ist eine Meisterleistung, die sich nicht nur in den optischen Genuss rettet und die Handlung arienbrav abspult.
Die Inszenierung ist ein Musterbeispiel dafür, wie man ohne Wachskerzenexotik den Protagonisten ihren Raum lassen und das Publikum mit einer sensibel erfundenen Historisierung faszinieren und wie man dennoch bei der Wer-mit-oder-gegen-Wen-Sache bleiben kann.
Eine metaphorische Trümmerlandschaft
Eine ruinös abblätternde, imperiale Fassade, die zugleich eine mehrgeschossige Palastruine sein könnte, beherrscht die Bühne. Mit sichtbaren Treppenhäusern rechts und links und metaphorischen Thronsesseln aus Stein in der Höhe. Bei Bedarf entschwindet das mittlere Segment und gibt den Blick auf imponierend wogende Wassermassen frei. Die Drehbühne präsentiert schließlich noch eine metaphorische Trümmerlandschaft wie nach einer Tsunamikatastrophe. All das wird zum beeindruckenden Ambiente eines subtil auskomponierten Kammerspiels.
Deutschland trifft Byzanz
Dabei soll (und will) der deutsche Ottone (also Otto) die oströmisch byzantinische Teofane heiraten. Der wiederum wird zunächst von der politisch ehrgeizigen langobardischen Königswitwe Grismonda ihr schmieriger Sohn Adelberto als jener Ottone präsentiert, auf den wiederum Ottos Cousine Matilda scharf ist. Ein gefangener Pirat entpuppt sich dann auch noch als Bruder Teofanes.
Erhellendes Wer-mit-Wem – dank der starken Kostüme
Es ist der erhellenden Wirkung der Kostüme zu verdanken, dass hier das Wer-mit-Wem nicht zu einer an Ohr und Auge vorbei rauschenden Wortornamentik degeneriert. Bei den beiden Deutschen (Ottone und Matilda) dominiert uniformdunkel. Die beiden – sagen wir italienischen — Intriganten Gismonda und Aldeberto tragen ziemlich angeschmuddeltes steinernes Barockweiß. Und Teofane funkelt in byzantinischem Gold oder trägt es wie ihr als Pirat getarnter Bruder zumindest unter seiner Piratentarnung. Diese eindeutige Kostümierung macht nicht nur Eindruck, sie erweist sich als echte Orientierungshilfe. Am Ende, nach dem ausgiebig ariengeschmückten Hin und Her, inklusive diverser Folterandrohungen und einer Beinahe-Enthauptung, wirkt diesmal noch nicht einmal das obligatorische lieto fine allzu sehr herbeigewünscht. Es ist ein Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Welt.
Sechsfacher Glücksfall: Die Sängerbesetzung
Und krönt eine Inszenierung, die an ihrer musikalischen Qualität nicht den geringsten Zweifel aufkommen lässt. Ein Glücksfall sind die beiden Counter. Der Ukrainer Yuriy Mynenko glänzt als Ottone mit seiner vitalen, gut fundierten und beweglichen Counterstimme durchweg, in den vielen elegisch ruhigen Momenten, aber auch in der dramatischen Attacke. (Man mag sich gar nicht vorstellen, was es für ihn bedeutet, dass sein Sohn gerade in der ukrainischen Armee kämpfen muss.) Hinreißend mit seinem etwas abgedunkelten Timbre verkörpert Raffaele Pe den wunderbar durchchoreografierten Möchtegernkaiser und Sohn Adelberto.
Zusammen mit Lena Belkina als seiner ehrgeizigen Mutter Gismonda geben die beiden gleich mit der Eingangsszene das hohe vokale Niveau vor, das den gesamten Abend kennzeichnet. Als Teofane ist Lucía Martín-Cartón nicht nur optisch, sondern auch mit ihrer betörend geführten stimmlichen Leichtigkeit ein funkelndes Schmuckstück unter den Protagonisten. Sonia Prina scheut sich nicht, für den auch mit sich selbst kämpfenden Furor der Matilda selbst raue Töne zuzulassen, und Nathanaël Tavernier steuert als der im Piratenkostüm getarnte Bruder Teofanes die beweglich eloquente Bassfarbe für das wunderbare Protagonisten Sextett bei.
Dass Carlo Ipata der richtige Meister am Pult der exzellenten Musiker des Karlsruher Festspielorchesters mit dem treffenden Namen „Deutsche Händel-Solisten“ ist, wird schon in der Ouvertüre klar. Der Ton, den er hier anschlägt, weitet sich zu einem Sound, der dem ästhetisch klugen szenischen Zugang musikalischen Genuss hinzufügt.
Staatstheater Karlsruhe
Händel: Ottone, re di Germania
Carlo Ipata (Leitung), Carlos Wagner (Regie), Christophe Ouvrard (Bühne & Kostüme), Rico Gerstner (Licht), Matthias Heilmann (Dramaturgie), Yuriy Mynenko, Lucía Martín-Cartón, Nathanaël Tavernier, Lena Belkina, Raffaele Pe, Sonia Prina, Deutsche Händel-Solisten