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Opern-Kritik: Staatstheater Meiningen – Der Freischütz

Wenn ein Junggesellenabschied aus dem Ruder läuft

(Meiningen, 24.10.2025) Im Staatstheater Meiningen hat Philipp M. Krenn den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber in ein Dorf von heute verlegt. Dafür erhält er beim Schlussapplaus ungewöhnlich viel Buhs.

vonJoachim Lange,

Vor der aktuellen „Freischütz“-Premiere in Meiningen freuten sich der Intendant des Hauses, Jens Neundorff von Enzberg, und sein Publikum gemeinsam darüber, dass es die Meininger Hofkapelle in der jüngsten Umfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ in der Rubrik „Orchester des Jahres“ ganz an die Spitze geschafft hat. Das ist der Natur der Sache nach kein Mehrheitsvotum, aber es fanden sich genügend Stimmen, um dieses Traditionsorchester damit ins Scheinwerferlicht landesweiter Aufmerksamkeit zu rücken. Dazu kommt noch, dass Meiningen auch in der Rubrik „Wiederentdeckung“ mit Jochen Biganzolis Inszenierung von „The Wreckers“ der Komponistin Ethyl Smyth goldrichtig gelegen hatte.

Nach der Vorstellung, die mit einer spektakulären Flucht Agathes von der Bühne über den Zuschauerraum nach draußen, also aus der Geschichte, endete, mischten sich beim Erscheinen von Regisseur Philipp M. Krenn und seines Teams so deutliche Buhs unter den Beifall, wie man es so in Meiningen lange nicht erlebt hatte. Das erinnerte an die stürmischen Pro-und-Contra-Zeiten der Intendanz von Res Boshart. Wobei ausgerechnet der damalige „Freischütz“ vor zwanzig Jahren ein gefeiertes Opernregiedebüt genau jenes Philipp Stölzl wurde, der mit seinem zweiten, phantastisch märchenhaften „Freischütz“ für die Seebühne in Bregenz in den letzten Jahren Furore gemacht hat.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen

Die Gassenhauer bedienen oder das Stück nachbessern?

Auch dort übrigens mit einem ganz anderen Samiel als dem in Friedrich Kinds vielgescholtenem Libretto zur gleichwohl, trotz allem von ganzen Publikumsgenerationen heiß geliebten, gar zur Nationaloper hochstilisierten Oper von Carl Maria von Weber. Was natürlich vor allem an dessen unverwüstlicher Musik liegt. Dem Gassenhauercharme von Jungfernkranz oder Jägerchor entkommt man einfach nicht. Und natürlich hat es auch die Wolfsschlucht – vor allem als szenische Gruselherausforderung – in sich.

Für ehrgeizige Regisseure ist die Versuchung gerade beim „Freischütz“ groß, hier und da einzugreifen und „nachzubessern“. Versagensängste, überkommene Rituale und das Gründeln in den Untiefen der deutschen Geschichte seit der Urkatastrophe des Dreißigjährigen Krieges laden geradezu ein, speziell in dieser Oper hinter der Fassade der Putzigkeit nach den Untiefen der deutschen Geschichte und Volksseele zu suchen. Mal unterstellt, dass es die tatsächlich gibt. Der Teufel im Stück hat dafür jedenfalls nicht nur ein Loch gelassen, er hält selbst die Tür für diverse Eingriffe sperrangelweit auf.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen

Von Eingriffen und Übergriffen einer Teufelin

In Meinigen werden diese Eingriffe, die Johannes Hoffmann dem teuflischen Text verpasst hat, unter der Hand mit einigem mimischen Aufwand durch die Teufelin Nicola Lembach schnell auch mal zu Übergriffen, die den Lauf der Musik ins Stocken geraten lassen.

Dass diese Figur als eine Melange aus allgegenwärtiger Spielmacherin, realistischer Zusatzfigur und da auch mal Agathe warnende, unerbetene „Freundin“ im dunklen Arbeitsoverall auftritt, ist keineswegs hochgestapelt. Sie hat (zu) viel zu tun, um sich mit ihren Texten in vermeintlichem Jugendslang oder Alltagssprech ans Publikum geradezu anzubiedern. Sie macht das für sich genommen souverän, doch man erkennt die Absicht und ist trotzdem verstimmt. Vor allem, wenn es zulasten der Musik geht. Dass Kilian und Kaspar zu einer Figur zusammengelegt werden, mag noch angehen. Schon, weil es dank Mark Hightowers auch vokal kraftvoll rauem Lederjacken-Machogehabe nachvollziehbar und für das flotte Ännchen (Hannah Gries) sogar verführerisch umgesetzt ist.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen

Bei Tomasz Wija, der quasi zum fürstlichen Erbförster avanciert, hakt die Zusammenlegung deutlich mehr. Auch die von Samiel wortreich zum russischen Roulette verwandelte Sauferei, zu der Kaspar Max verführt, kollidiert mit der Musik. Abgesehen davon verursacht manche Streichung durchaus Phantomschmerz. So albern einem manchmal Ännchens Ballade vom Kettenhund auch vorkommen mag, wenn sie fehlt, vermisst man sie; so, wie auch den Eklat mit der Totenkrone zum Ende des Auftrittes der Brautjungfern.

Starkes Drehbühnenbild

Was für sich genommen wirklich gelungen ist und Eindruck macht, ist das Bühnenbild von Ausstatter Walter Schütze. Die Drehbühne beherrscht eine Melange aus Dorfplatz mit Schießbude und Hau den Lukas mitten in den Versatzstücken eines desolaten, von der Welt abgehängten, aber ihr nachhechelnden Dorfes von heute. Inklusive eines verwitterten Werbeplakates für eine Erotikmesse im Gemeindehaus. Dahinter verbirgt sich das biedere Wohnzimmer Agathes, in dem der Fernseher das Tor zur Welt ist.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ am Staatstheater Meiningen

Die Szene mit dem Probeschuss rahmt sinnvoll die Handlung – so beginnt und endet hier alles. Dabei gibt auch der Chor sein Bestes. Den gemobbten Max, den Issac Lee souverän singt, stecken sie quasi zur dauernden Demütigung in ein albernes, pinkes Bärenkostüm. Die sehr kraftvoll aufdrehende Lena Kutzner kommt da als Agathe schon besser weg, wenn man vom metaphorischen Rotweinfleck, den ihr die Teufelin aufs Brautkleid macht, mal absieht. Sam Taskinen gibt im Habitus eines Fernsehpredigers als Eremit wohlklingend am Ende seinen Senf dazu. Kens Lui ist am Pult der Hofkapelle nach Kräften und mit Erfolg bemüht, die lobenden Worte vom Anfang zu erfüllen.

Staatstheater Meiningen
Weber: Der Freischütz

Kens Lui (Leitung), Philipp M. Krenn (Regie), Walter Schütze (Bühne & Kostüme), Philipp Weber (Video), Matthias Heilmann (Dramaturgie), Roman David Rothenaicher (Chor), Lena Kutzner, Hannah Gries, Nicola Lembach, Isaac Lee, Mark Hightower, Tomasz Wija, Selcuk Hakan Tiraşoğlu, Chor des Staatstheaters Meiningen, Meininger Hofkapelle






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